Die Überraschung kam gegen Ende bzw. nach der Lektüre: das Buch wurde bereits
mit Christina Ricci verfilmt und
Elizabeth Wurtzel scheint mit dem Ding eine Berühmtheit geworden zu sein. Somit ist das Thema Depression also nicht nur seit
Frau Kuttner ein Thema für die Textmärkte.
Achtung, verdächtiger Klischee-Gedanke: mit einer attraktiven jungen Frau verkauft sich wohl alles gut. Aber die Autorinnen können ja nichts dafür, dass sie un-alt sind und zwei X-Chromosomen haben. Das hielt den Verlag aber nicht davon ab, eine entsprechende Cover-Gestaltung vorzunehmen.
Hier bei Amazon.de.Doch wenn man mal dieses Brimborium außen vor lässt, so kann man die Lektüre als spannend und unterhaltsam beschreiben. Wirkliche Spannungskurven gibt es nicht, da Wurtzel autobiographisch schreibt und es gerade bei dieser Erkrankung selten zu kathartischen Höhepunkten kommt. Ähnlich wie bei Frau Kuttner ist es der Ton, der die Musik macht: Wurtzel hat eine wunderbar spritzige Schreibe, die das Drama zwar nicht versüßt, aber eben doch auf bittere Art erträglich macht. Die eigentliche Hauptrolle in diesem eigentlich sehr journalistisch zu sehenden Text spielen die USA und ihre vollkommene Überforderung mit dem trendy Thema Depression: in einer Nation ohne Gesundheitssystem erhöht die Geldfrage den Leidensdruck der Patienten/Bürger ungemein. Prekäre Familiensituationen werden nur noch weiter verschärft und Wurtzel taumelt durch Therapien und Arzneischränke wie ein heulsüchtiges Zicklein.
Es kommt einem in den Sinn, dass die Depressive in einem anderen Zeitalter von Dritten eventuell als Hysterische wahrgenommen werden könnten. Vielleicht ist das eine Methode, mit der Attraktivität (und somit der interpersonellen Macht) der Patientiennen (in diesem Beispiel) fertig zu werden. Die Flügel der Schönen müssen gestutzt werden, um den tumben Trott der Masse nicht zu gefährden. Uh, welch subversives Potential diese Idee hat.
Ausgezeichnet sind die zwei Nachwörter des Romans. Mit sehr präzisen Worten beschreibt Wurtzel das Schicksal und die Aura der Depression in den USA um die Jahrtausendwende. Sie berichtet vom Grunge-Chic und von schockierten Lehrern, die in ihren Schülern furchtbares Leid erahnen. Sie berichtet
nicht von dem destruktiven Potential eines faschistoiden Hurra-Staates sondern von einer furchtbaren Tendenz weiter Teile der Bevölkerung, darunter besonders viele junge Menschen: es ist der Hang zur Auto-Destruktion; es ist die Auflösung der amerikanischen Seele anhand der massenhaften Korrosion der individuellen Seelen (und Seelchen) der Bürger. States of depression in the State of Depression. Wie soll das nur weitergehen?
Als weiterführender Topos (will heißen: Einstiegsraum in die Thematik) muss an dieser Stelle zumindest die
Antipsychiatrische Bewegung genannt werden, die ihre Wurzeln keineswegs nur in den 68ern hat. Vielleicht ist gerade die Depression eine erzwungene Bankrotterklärung der behandelnden Ärzte, die ihren Patienten, die als Kinder der Moderne keinerlei Autorität (und sei es die wohlwollende eines Heilers) mehr akzeptieren
können, nur noch Aushaltedrogen reichen können. Vielleicht ist aber auch alles ganz anders.
Gutes Ding. Und jetzt bitte den Film, Modethema hin oder her. Die Ricci wird's schon richten.