10/25/2007

Ratatouille, Brad Bird

Ein Hoch auf die Stofflichkeit. Das Wasser der Seine fliesst besser als echtes Wasser. Das Küchenkupfer kupfert wunderbar. Das glaubt man gern doch es selbst zu sehen ist durchaus angenehm. Die perfekte Oberfläche hinter der sich nichts verbirgt.

Etwas verstörend: die Augsburger Puppenkiste ist allgegenwärtig. Ob Pixar das weiss? Jedenfalls wirken die menschlichen Figuren im Film wie aus Holz geschnitzt und in Kleider gesteckt, eben aufgrund besagter Stofflichkeit. Inhaltlich wird das auch aufgegriffen bei der Steuerung des Küchenjungen durch die Manipulation seines Skalps durch die Ratte. Ob das bei Robots auch so war? Kybernetik, Steuerung, Maschinenwerk?

Reinheit und Kontamination. Beim Vergleich mit Nemo kommt die Rattensause schlechter weg, denn unter Wasser ist es gemütlicher. Da ist man stets gewaschen und rein und in der Stadt ist Ungeziefer am Ruder. Paris ist Frankreichs zentrale Menschengeschwulst. Weitab von den Produktionsstätten der Zutaten bietet famose Kochkunst hier eine kurze Flucht in die Sinnlichkeit. Das Gericht als sauberes Mikroversum, eine flüchtige Inkarnation der Idee von Harmonie und Proportion. Mein Tellerrand so sauber wie mein Seelenrand es sich wünscht zu sein.

Mit Steamboat Willie hat das wenig zu tun. Musik und rhythmische Ordnung haben ihrer Stellenwert beim Unternehmen Unterhaltung im Animationsfilm verloren. Lieder sind old school. Keiner singt hier, auch kein Stinktier.

10/22/2007

Rule of the Bone, Russell Banks

Affliction war so gut. Ein grimmiges Buch in der amerikanischen Arbeiterödnis, zu vergleichen mit nichts geringerem als Springsteens Album Nebraska. Schneematsch auf der Motorhaube, trüber Horizont, gestohlene 9 mm vielleicht im Handschuhfach, zusammengehalten von grauem Klebeband. White Trash ohne Ha-Ha.

Das vorliegende Werk, auch schon wieder ein Jahrzehnt alt, ist der Adoleszenz-Roman von Mr. Banks. Einige Kapitel sind vorab schon als Prosa veröffentlicht worden. Beim Lesen bleibt das Gefühl des Fragmentarischen, so als hätte sich der Autor nie ein Bild vom Ganzen gemacht. Die Odysseen des jungen Chappie aka Bone reihen sich wie Perlen aneinander und wie immer ist das Motiv der Reise verknüpft mit Lebenslektionen. Reisepartner kommen und gehen; manche retten, manche reissen den driftenden Erzähler in etwas rein. Wer kommt mit aufs Floss und wo geht es überhaupt hin und wo gibt es was zu rauchen? Diese Anordnung mag zunächst kurzatmig und allzu simpel sein, doch es trifft das Herz des Genres doch trotzdem: eine Vernarbung folgt der anderen und der junge Geist kann nichts anderes als weiteratmen bzw. –rennen.

Inhaltlich gesehen sind Ortswechsel und Bewegung ständige Pflicht beim Semi-Obdachlosen Bone. Der Stiefvater ein Triebtäter, die Mutter eine dämliche Kuh voller Angst, der beste Kumpel dumm wie Brot, der Chef der örtlichen Biker-Gang aufgepumpt und klotz-psychotisch und so weiter. Der Knochen-Junge gibt sich selbst einen neuen Namen, er will mit einem preiswerten Tattoo seine Herkunft wegtaufen.

Bone ist nicht so gut wie Affliction. Hier ist der Knochen in der Mitte und hält alles zusammen, konzentrische Kreise der Qual scharen sich um ihn herum. Bei Affliction wurde eine Verschachtelung des Unglücks und der Armut erreicht. Banks ist aber trotzdem super. Statt epischer Wucht liefert er rasend schnelle Unterhaltung ab. Jede Frisur ein Abenteuer und am Ende wird viel gestorben.

Letters from Iwo Jima, Clint Eastwood

Gleich nach dem Zweitkonsum von Flags of our Father also Letters from Iwo Jima. Die Geschichte wird hier weitaus direkter erzählt – Kern der Handlung ist diese furchtbare Schwefelinsel, nicht auch noch ihre Rolle in der heimatlichen Öffentlichkeit.

Die japanischen Charaktere kommen nie hölzern daher, doch wirken sie ein wenig überzeichnet. Wenn die Herren wirklich so waren, dann ist die Realität mal wieder besser als die Fiktion. Mal ehrlich: ein Pferd im Stellungskrieg? Das ist grotesker als ein Hund im Büro.

Historisch gesehen ist die erbärmliche Ausstattung der Verteidiger höchst niederschmetternd. Durchfall und Munitionsmangel lassen Verzweiflung regieren – die Modernisierung des Krieges kam in Japan offenbar nur schwerlich voran. Feudale Strukturen bestimmen und besiegeln Schicksale. So könnte man auch das unsägliche Pferd erklären. Tote Tiere sind überhaupt allerhand: man bedenke noch den freundlichen Hund, den der Ex-Militärpolizist erschiessen musste. Tiere tragen keine Uniformen, sie sind blankes Leben und nie Vertreter von Ideologien und Machtstrukturen. Vielleicht ist deshalb ihre Rolle so seltsam in modernen Kriegs- und Friedenszeiten. Bedeutet zivilisatorischer Fortschritt auch das Ende der Abhängigkeit und der Huldigung des Tieres im menschlichen Leben?

Nochmal zurück zum Film. Die Kämpfenden begegnen sich nicht. Wer das Mündungsfeuer sieht, hat keine Zeit für Konversation. Das kurze Auftauchen des amerikanischen Kriegsgefangenen ist darum umso bedeutsamer – in der vorliegenden DVD-Version spricht selbiger auch unsynchronisiert Englisch. Er ist der Fremde.

Interessant wäre es zu erfahren, ob und wie der Film in Japan selbst aufgenommen wurde. Es ist nicht schwer, nach den beiden Filmen am Singular der Geschichte zu zweifeln – jede Nation hat ihre, jede/r Betroffene hat seine/ihre. In Flags of our Fathers wird sie noch einmal dupliziert und zum hyperrealen Massenspektakel. In Iwo Jima sind es die verlorenen Briefe der verlorenen Briefschreiber die die unbarmherzige Zersplitterung der einen Geschichte zeigen. Welcher Staatsakt könnte sich mit jeder einzelnen dieser Stimmen befassen? Der Aspekt der Pluralität destabilisiert somit die gewünschte Homogenität des Staatsgebäudes. Was sagen Kaiser hierzu?

Flags of our Fathers, Clint Eastwood

Jaja, man hats gesehen. Der Krieg, ein Sieg und seine Zeugen. Eastwoods Film über den Krieg im Pazifik kann artig als künstlerischer Kommentar zu embedded journalists und Propaganda im Allgemeinen gesehen werden. Das ist aber nicht alles. Desillusioniert kann man sagen, dass dies eine allzu romantische Schilderung der Unreinheit des modernen Krieges ist. Wer mit dem Hinterfragen auch nach einem solchen Werk aufhört, den hat die Propaganda eben doch gekriegt – nur eben eine andere als die im Film dargestellte.

Bei diesem Zweitkonsum fiel auf, dass die Geschichte hinter der Geschichte, die Eastwood zur Schilderung letzterer benutzt, eigentlich sehr einfach ist. Im Kino lag das Werk zunächst quer im Magen, da mit der Kontinuität gespielt wurde: Rückblende, Erinnerung, flashback. Die Erkennbarkeit der Einfachheit einer Geschichte ist aber durchaus nützlich und hier auch vollkommen angebracht.

Der grosse Vorteil dieses Filmes gegenüber Apocalypse Now, Full Metal Jacket u. ä. ist die Sanftheit der Erzählung. Freilich gibt’s Gewaltdarstellungen und heutzutage wäre deren Unterlassung auch fragwürdig. Aber das Hinterfragen geht weiter. Grandiose Bildpoesie stösst sanft an statt aufzurütteln. Der Vater stirbt und zum Schluss gehen die Jungs schwimmen. Die Zeit löst sich auf und die Vergangenheit bleibt als unverdaulicher Klumpen bestehen.

Die Flagge der Väter war mit einer anderen Art Mühsal verbunden als die Flagge der Söhne und Töchter – ein einfaches Stück Tuch war sie wohl nie. Clint ist gut.