8/21/2008

Elegy, Isabel Coixet

Coixet hat sich vor allem auf Körpersprache verlassen. Cruz und Kingsley zeigen überraschend viel Haut, aber zur Handlung passt das allemal. Auch Dennis Hopper zeigt herbe Körperlichkeit als Schlaganfallpatient.

Das zentrale Thema ist selbstredend die Liebe und die unterschiedlichen Definitionen von Nähe - besagte Haut ist ja nicht die einzige Barriere, die Schutz gegen die tosende Umwelt verspricht. Und manchmal kommen die Verletzungen, die der Beziehungsphobiker Kepesh so konsequent verhindern will, von allein und von innen: Consuela wird krank und bittet um eine Aufhebung der gezogenen zwischenmenschlichen Grenzen.

8/17/2008

Deadwood, Pete Dexter

Deadwood ist mehr als ein Western. Es ist gleichzeitig ein historischer Roman und fiktionalisiertes Sachbuch. Charlie Utter, Wild Bill Hickock und Calamity Jane treten auf, ab, und verwickeln sich und andere in allerlei Widrigkeiten.

Dass Dexter Thriller schreiben kann, ist seit Paris Trout bekannt. Hier in Deadwood geht er ähnlich sorgfältig mit seinen Figuren um und verheizt sie keinesfalls als bloße Duellisten und Skalpjäger (obwohl sie beiden Tätigkeiten freilich nachgehen). Einer historischen Verklärung macht er sich nicht schuldig. Die groteske Persönlichkeit von Martha "Calamity" Jane Cannary-Burke veranschaulicht er durch leise Drolligkeit.

Und derb ist es damals auch gewesen: enorm verdreckte Menschen rutschen zwischen einer riesigen Bordellkultur und improvisierten Badehäusern umher, Mexikanerköpfe werden gesucht und gefunden und für Chinesen werden Krematorien improvisiert. Zurückgebliebene "Weichköpfe" reichen Schwämme und sammeln Flaschen. Stumpfe Gewalt durchdringt Stadt und Land. Fast denkt man wieder an McCarthy, aber nur fast.

Als Illustration hier der Hatfield Clan 1897. Weder örtlich noch zeitlich hat diese Sippe etwas mit Deadwood als Ort oder Roman zu tun, doch bei der Lektüre spukte das Bild trotzdem hinter der Stirn herum. Erstens ist der kleine Junge rechts, der vor der unscharfen Zwergin steht, eine sehr eigentümliche Erscheinung - ernst, überbewaffnet und debil steht er da. Er scheint den Wilden Westen in Realität und Klischee darstellen zu wollen. Zweitens soll die historische Familienfehde durch ein genetisch bedingtes Phäochromozytom verursacht worden sein - einen Tumor, der womöglich Aggressivität und Brutalität verursacht. Das stimmt auch nachdenklich, denn anders kann man sich den ungeheuren Tatendrang der Hatfields und der Akteure von Deadwood nicht erklären. Ruhelos walzt sich die Welt voran, man schürft und schießt und hurt und schuftet und säuft bis man vom Schlamm verschluckt wird. Kurzum: der gemeinsame Nenner von diesem Bild und Deadwood als Fiktion und Dokumentation ist der prächtig schlammverkruste schopenhauersche Wille. Erbarmungslos, quasi.

Lullaby, Chuck Palahniuk

Worte, die töten. Nur weil CP hier einmal das Paranormale aus dem Zylinder kramt, macht er noch lange keinen Potter. Es geht um ein Lied zur Euthanasie - einen Reim, der Menschen sauber ausschaltet. Freilich kommt das lullaby aus Afrika, wo der Mensch eh viel näher am wuchtigen Tode existiert.

Carl untersucht plötzliche Kindstode. Muster ergeben sich. Er kommt den mörderischen Worten, die ihm die eigene Familie kosteten, auf die Spur. Er verbündet sich mit Helen, der es ebenso erging. Helen makelt Gruselhäuser. Zusammen mit zwei goth twens machen sie sich auf die Suche nach den tödlichen Texten - alle vier formen die wohl unwahrscheinlichste Familie, die je den Weltuntergang verhindern wollte.

Die tötenden Worte sind freilich virulent, denn sie befallen Gedächtnisse. Sobald der Reim in Carls Kopf ist, fallen ihn nervende Zeitgenossen um. Carl muss seine Wut kontrollieren. Lullaby ist eine frevelhaft-treffende Arbeit über die Überinformationskultur der Gegenwart und die fortwährende Berieselung mit inhaltlichem und akustischem Müll. Nur taubstumme Nachbarn ohne Möbel, Gliedmaßen und Besuch sind gute Nachbarn - Carl hat so recht. Dauerhafter Radiokonsum ist Zeichen hochgradiger Kulturdemenz (oder dessen Ursache?).

Das Totenlied und das Grimoire, das schließlich gefunden wird, sind hochinteressante Pistolen in der Wand. Carl ist bald im Superheldendrama gefangen: wie kann man verantwortlich mit all der Macht umgehen? Was nutzt "Du sollst nicht töten" wenn andere Menschen das anders sehen? Da kann man die Nekrophilen ja fast schon in Schutz nehmen.