12/24/2008

Mit freundlichen Grüßen an alle potentiellen Diabetiker

Ticktack, ticktack. Tempus fugit.

Nach dem wilden Billy von letztem Jahr hier etwas Versöhnlicheres, wenn auch süßlich Verunstaltetes. Zur Rehabilitation des Ur-Produkts wird auch diese Interpretation nicht führen. Bei Jimmy Eat World ist ja immer irgendwie Weihnachten.



Zum Ehrentag aller Konsumisten und ihrer Bürgerpflicht verbleibt der Konsumgraben mit freundlichen Grüßen und besten Wünschen für eine erfolgreiche Jagdsaison. Guten Appetit!

Transsiberian, Brad Anderson

Jetzt aber. Anderson präsentierte einst den faserig-schönen Maschinisten mit Chrissi Bale und nun darf er sich in fast klassische Thriller-Untiefen begeben.

Die Optik ist dezent und unterstreicht die (freilich auch menschliche) Kälte der eisigen Wildnis. Beengte Räume sorgen ja meistens für Spannung und in der Geschichte kommt das urtümliche Prinzip der Eisenbahn schön zur Geltung (es geht nur vorwärts, Abteile sind eindimensional angeordnet, die Haltestellen sind festgelegt, die Geographie wird blind durchschnitten...). Schuld und Sühne und Lügen und Gier verheddern sich zwischen zwei Stahlschienen zu einer gefährlichen Machtstruktur. Tschu-tschu-tschu.

Transsiberian und seinen Schauspielern ist nichts vorzuwerfen. Nur nach dem Crescendo geht das Ganze fast ein wenig zu gefällig aus.

Frisk, Dennis Cooper

Sonderbare Minderheitensexualität? Einst (19. Jahrhundert) Vampirgemumpe, heute (die millenniale Epoche der Umwälzung) der Zoo der Perversionen. Ist das sozialkritischer Realismus oder nur Spaß oder Hölle, Hölle, Hölle?

Nach Closer also Frisk. Wieder eine Novelle voller bizarrer Körperwelterfahrungen mit grenzgängerischen jungen Männlichkeiten. Wieder gibt es Koprophilie, -phagie, S trifft M, die Erforschung (und Freilegung) des sinnhaft Inneren. Einige Themen, die bei The Sluts so rockten, sind hier schon angelegt: der sogenannte "Autor" wird zum Ich-Erzähler und erzählt und schockt und sagt dann, es sei alles nur erfunden. Doch allein die Geschichte schürt das Interesse an den Tabus, die sie bricht. Wem ist zu glauben? Welches Snuff-Theater arrangiert hier eigentlich wer? Wo die Protagonisten sich der brutalst-möglichen Körperinspektion widmen wird Herr Cooper zum Gespenst. Und was ist eigentlich die Geschichte hinter den neon-grellen Bizarrerien? Hoppla! Ja, wer ist denn da im Lunar Park gelandet?

Wieder ein wichtiges Buch, und dabei überhaupt nicht schön.

Cooper ist jenseits von populären Feuchtgebieten und Argumenten und es ist eine (seltsame) Freude, ihm zu folgen. Er gibt keine Antworten und lässt den Leser fein schmoren, ohne eine bestimmte Garzeit festzustellen.

12/17/2008

Before They Are Hanged, Joe Abercrombie

Die Qualität des Vorgängers wird hier tatsächlich gehalten. Der noch ausstehende dritte und letzte Teil der Reihe ist bereits akquiriert und wird bald mit Optimismus seinen Weg in den Graben finden.

Inhaltlich gibt es sowohl eine Fortführung als auch diverse Variationen des im Genre so beliebten ewig gleichen. Es gibt ein transkontinentales Quest, Artefakt-Gehusche und Schlachten gegen moralisch irrelevante Angreifer. Immer noch erfrischend ist der angehärtete Ton mit fliegenden Körperteilen, öffentlichen Ausdärmungen und Zahnverlusten. Jawohl, Abercrombie referiert über die Rolle der Narbe in der Phantastik: der Barbarenberserker hat zuviele, der Florettist bekommt seine erste, der selbst verstümmelte Folterknecht produziert sie und das ominöse Dämonenweib (wie Grace Jones in Conan 2) hat sich durch Selbstvernarbung an ihrem Zuhälter gerächt.

Yippie ya yay, Schweinebacke.

The Promised Land, David Hewson

David wer? Die Lektüre dieses Thrillers war eine unangenehme und die erste Hälfte reichte nicht aus, um die zweite Hälfte auch noch zu durchpflügen.

Es geht um einen frisch aus der Todeszelle entlassenen Ex-Polizisten, der freilich die Umstände seiner Einkerkerung in Erfahrung bringen will. Dann gibt es noch einen deutlich jüngeren weiblichen Sidekick mit Migrationshintergrund. Gähn. Die Figuren sind unglaubwürdig und flach und des Autoren Stimme ist dünn und schlichtweg un-cool. Mit einem entsprechenden body count und sonstwelchen Gewaltphantasien wäre alles gut geworden, doch gegen so erhabene Noirologie wie Hustons Shotgun kommt dieses Ding überhaupt nicht ran.

Ein ähnliche Enttäuschung wie Becketts Chemiebaukasten.

Noch ein Link

Einen Blog jenseits der Unterhaltung und der Ablenkung findet man unter http://bigstormpicture.blogspot.com/.

Die hier zu findenden Inhalte sind entweder inspirierend oder niederschmetternd, jedenfalls verdeutlichen sie die eigene Nichtigkeit als Konsument recht gut.

12/15/2008

Verdauungshilfe durch Vorfreude dank Vorschau

Nach dem jüngst geschluckten Unsinn muss die Kategorie Kino tüchtig gespült werden. Dank des folgenden Trailers ist der Appetit auf Weltenende und (tatsächlicher) Menschheitsvernichtung (Anthrozid? Anthropozid?) wieder neu entfacht.

LINK

Es kann nur einen Messias geben, und der heißt John Connor und erlöst uns von den Konsequenzen unserer Handlungen. Und dieser John hieß sogar einmal Bruce, da kann doch eigentlich nichts schiefgehen.

Lieber McG, bitte mach es richtig und überlasse den Erfolg dieses Produktes nicht den Marketing-Affen oder dem Umstand, dass ein Kino Schutz vor schlechtem Wetter bietet.

Der Tag, an dem die Erde stillstand, Scott Derrickson

Nach Sichtung dieses Werkes eines Regisseurs, der sich durch Düstere Legenden 2 und dem Exorzismus von Emily Rose überhaupt nicht ruhmreich hervorgetan hat, stellt sich die Frage nach dem Grund für den Kassenerfolg dieses mäßig unterhaltsamen Remakes. Er scheint einfach zur rechten Zeit (nach The Dark Knight) am richtigen Ort (einem beheizten und besesselten Raum, der in der Freizeit aufgesucht werden kann) zu sein.

Das Original wurde hier noch nie verscharrt oder ausgebuddelt. Es ist aber über ein halbes Jahrhundert alt und wird wohl seinen Beitrag zur Begründung des Genres geleistet haben. Damals war die Geschichte bestimmt auch innovativ und beunruhigend. Heute langweilt der Ökoquatsch ein wenig und Herr Reeves erregt ein wenig Mitleid, da er in solchen Filmen wohl ewig der Neo-Klon bleiben wird. Aber Naniten rocken. Schade, dass die Effekte so spärlich sind.

Schade auch: die Abwendung der Apokalypse ereignet sich jenseits aller Argumente. Natürlich muss die Menschheit vernichtet werden! Die Rettung des Planeten ist ohne den unbezähmbaren karzinogenen Schleim, den die menschliche Population (die ja nunmal dem nachhaltigen Verfall einer ausdifferenzierten Welt förderlich ist) über seiner Geographie darstellt, viel sicherer als durch zweite Chancen. Ah, das ist der Begriff des Erhabenen im RTL-Eventkino. Doch. Doch!

Die Kassen klingeln freilich, da dieser Film neuartig beworben wird. Es wird sich zeigen, ob diese Art der Promotion sich nicht auch irgendwann abnutzen wird.

12/08/2008

Zwei neue Links

Ein "Hussa!" auf die Kritik der reinen Unterhaltung - analog, autonom und monochrom. Zweierlei neue Orte hierfür wurden gefunden:

Bei den Bookgeeks handelt es sich um eine bibliophile Vereinigung mit Lesezirkeln. Sie haben "zombies" als tag. Hussa!

The Cimmerian hat sich der Pflege des schwer zu überschauenden und zu überschätzenden Vermächtnisses von Robert E. Howard angenommen und betont seine Bedeutung seit nunmehr fünf Jahren. Eine ganze Menge howardeskes wird natürlich auch genannt und zerkaut.

Where the Roots Reach for Water, Jeffery Smith

Kein Roman, sondern ein Erfahrungsbericht. Smith versinkt in betäubender Melancholie und sucht Hilfe. Nachdem das Zoloft nach einiger Zeit nicht mehr wirkt, wähnt er sich am Ende seiner Existenz. Er setzt alle Medikamente ab und versucht auf andere Art und Weise, sein Leben irgendwie fortsetzen zu wollen.

Das Buch ist ein Spaziergang mit einem Betroffenen, nicht mehr und nicht weniger. Es ist kein "Zehn Schritte zum Hurra"-Ratgeber. Smith stellt viele literatur- und kunstgeschichtliche Quellen vor und positioniert seine eigene Biographie vor diesem Hintergrund. Allerdings erscheinen einige Einschübe aufgrund der schweren Thematik allzu belanglos: die Relevanz einer Huldigung von Grandmas Keksen bleibt wahrscheinlich den meisten Lesern verschlossen. Wahrscheinlich muss irgendwie die humanistische Wucht der Depression auf das Un-Wort "Zuhause" heruntergebrochen werden.

Smith erlangt eine neue Perspektive, die Landschaften, Raum und Natur miteinschließt. Ganz holistisch scheint er langsam seinen Platz zu finden, um dort gepflegt zu wurzeln - das schließt eine wiederkehrende Religiösität mit ein. Der Autor/Patient/Protagonist scheint sich am Ende sicher: ein bisschen Walden kann jeder finden und Thoreau hat eigentlich auch keine Serotonin-Wiederaufnahmehemmer gebraucht.

New York für Anfänger, Robert B. Weide

Beim unschuldigen Leser wird für folgenden kleinen Ausbruch um Verzeihung gebeten. Also: Wer zum Arsch ist für die Übersetzung bzw. Ersetzung von Filmtiteln verantwortlich und welches schlampig abgetriebene Mastschwein hat ihn oder sie ausgepisst und unerklärlicherweise nicht sofort totgebissen?! Welcher hirnverkackte Schaumpfützensäufer wählt so heititei-ausgehöhlte abgewichste durchgenudelte küchenschrankzerschrammende blutgerinnselnde Titel aus um die einigermaßen innovativen englischen Titel einfach so zu ersetzen? Was ist denn falsch an "How to Lose Friends & Alienate People" auf deutsch? Denkt der dumpfe Eingeborene hierzulande da an Vin Diesel oder Katie Hepburn oder Jenna Jameson? Ist die Zielgruppe zu "Junge Union" im Kopf um das zu verstehen? Den verantwortlichen Übersetzern und Marketing-Missgeburten sind nur von ganzen Herzen Glasscherben in der Harnröhre und Schraubenzieher im Jochbogen zu wünschen, nicht nur bei diesem Werk sondern insgesamt und überhaupt.

So, Ausbruch zu Ende. Jedenfalls sollte damit zum Ausdruck kommen, dass durch eine solche unsinnige und austauschbare Betitelung von Filmen (und somit die mutwillige Zerstörung der Illusion, dass das Produkt etwas einzigartiges sei) dem Konsumenten die eigene Verblödung vorführt. Aber das gilt es ja zu verhindern, denn Konsum findet nur statt wenn man bei der ganzen Aktion frohen Mutes ist. Der Kauf von Zerstreuung ist Teil der Suche nach Glück und diese bärtigen Klärschlammfotzen (verzeihung) von Werbeidioten sabotieren dies.

Blöd halt nur, dass der Titel, so er denn auch auf deutsch genutzt worden wäre, mehr versprochen hätte als der Film schlussendlich halten kann. Der als Zombiebolzer Shaun bekannt gewordene Hauptdarsteller Simon Pegg ist hier so unlustig wie selten. Er ist bald der neue Scottie - vielleicht muss das so sein. Immerhin ist Kirsten Dunst hier mehr als die treudoofe Mary Jane.

Ein unentschlossener Film, der sich selbst ausbremst und als unsicheres Einstandswerk von Hollywood-Noobies so austauschbar ist wie sein deutscher Titel.

11/26/2008

Max Payne, John Moore

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel und es gibt eh kein "Draußen" mehr.

Im aktionsbetonten Film wie auch in Spiel und Buch liegt der Fokus auf dem Protagonisten. Was bei Pac-Man begann, wurde bei Lara Croft weitergeführt. Aber es begann schon früher: Philip Marlowe beulte sich das Hütchen und kämpfte sich durch einen dumpfdröhnenden Halbschattenkosmos. Auch die jüngst konsumierten Thriller müssen diesem Prinzip folgen. Spannung ist, wenn ein Protagonist sich abrackert, hu?

Die Spieleverfilmung von Herrn Payne sein Schmerz ist nicht schlecht - letztlich ist es aber nur die Adelung eines innovativen Spielkonzepts, welches Noir-Elemente, graphic-novel-Narration und "erwachsene" Nachahmung von Die-Hard-Maximen und Matrix-Ästhetik kombinierte. Als Film eher belanglos, als Teil einer Warenwertschöpfungskette unterhaltsam und stimmig.

Wie war eigentlich der Doom-Film? Schaun wir mal, ob Wolfenstein (!) nächstes Jahr im Kino funktioniert.

11/25/2008

The Eiger Sanction, Trevanian

Es sei zugegeben: so richtig doll war dieser Thriller nicht, obgleich einige Aspekte bemerkenswert sind.

Der Protagonist ist eine fast schon infam anmutende Hypermaskulinität zwischen James Bond und Solomon Kane. Dreist und penetrant geht er seinem seltsamen Lebensstil als Kunstdozent, Bergsteiger und Auftragsmörder nach. Die Frauen sind auch ziemlich hyper und man denkt an die 1970er als eine Zeit voller sexualisierter Zukunftsvisionen zurück. Vielleicht ist diese Epoche zu lange her, vielleicht hat auch die Ironielampe nicht laut genug geleuchtet: so richtig knacken tut das Vehikel im Genre nicht. Ist Trevanian das vorzuwerfen? Mitnichten. Die Lektüre im genauen zeitgeistigen Rahmen kann nicht simuliert werden.

Niemand geringeres als Clint Eastwood hat Eiger Sanction einst ins Kino gewuchtet. Gehört sie dort hin? Man wird sehen, vielleicht.

11/24/2008

The Blade Itself, Joe Abercrombie

Auweia, Fantasy, mit 'y' am Ende.

Die Revolution kommt auf den ersten Seiten: keine Landkarten! Wo man das doch so gewohnt ist, wenn man mit Kätzchen und Schokolädchen am Kaminchen sitzt und der dumpfen realen Welt eigentlich nur entkommen will. Weitere Erfrischung im Inneren: keine Elfen oder solch Trallala, nur neanterthalermäßiges Schnittgut "im Norden" oder so. Dabei sind die Charaktere von den Grundtönen her bekannt, aber süffisant einmalig: ein vernarbter Barbar inklusive Berserkerfähigkeit, ein grünes dandyeskes Degenbübchen und ein verkrüppeltes Folteropfer, das nun selbst -knecht und nihilistische Stasi-Figur geworden ist. Mit Magie und solchem Käse wird spärlich umgegangen: jawohl, hier prügelt man vor allem sorgfältig zuende.

Wie schon von Gollancz gewohnt und bei Hyperion erwähnt ist die haptische/optische Gestaltung ausgezeichnet. Knitterfreier Buchrücken! Das ist Teil des Vergnügens. Und weiter geht es auch bei diesem Werk in der nächsten Folge: also, neue Schokolädchen kaufen.

11/19/2008

Waltz with Bashir, Ari Folman

Dass sich graphic novels so langsam ins Literaturregal geschlichen haben, dürfte bekannt sein. Und auch im Kino geht man mittlerweile mit zweidimensionaler Ernsthaftigkeit an die Beschreibung der Welt.

Ein zentrales Thema ist die Erinnerung als dynamisches Gebilde. Da gibt es das Ereignis, den Krieg im Libanon, und da gibt es den Protagonisten, der sich mithilfe einiger Freunde an dieses Kapitel seines Lebens erinnern möchte. Die Zeichentrickoptik überzeugt hierbei: in groben Kontrasten und stimmigen Farben werden die Ereignisse dargestellt. Das Erinnern ist das Zeichnen, manche Schemen und Bildwiederholungen bilden das "innere" Bild, das jenseits von Ort und Zeit existieren kann.

Aber warum gefällt WwB trotzdem nicht so ganz? Die Filmmusik ist eher mäßig passend. Aber hauptsächlich bekommt das Werk keinen goldenen Spaten wegen des Endes. Der Schwenk zu den bekannten Fernsehbildern ist keine gelungene Pointe: weinende Kopftuchfrauen und Kinderleichen in Trümmern sind doch bekannt. Dieses Gesicht des monströsen Konfliktes im Nahen Osten bringt keinen weiter. Und es würdigt die vorangegangene Zeichentrickdarstellung herab. Es könnte meinen wollen, dass man sich nun der Vergangenheit in Technicolor (c) komplett bewusst wird. Wo doch alle wissen, dass Glotzen lügen! Die Frage, ob und wie das Werk vor Ort verstanden bzw. aufgenommen werden kann, muss im Konsumgraben freilich unbeantwortet bleiben.

11/18/2008

The Savage God, Al Alvarez

Alvarez schrieb diesen kompakten Text über die Kulturgeschichte des Suizids Anfang der 1970er. Ausgangspunkt war der Tod einer befreundeten Dichterin, niemand geringerem als Sylvia Plath (Kopf in den Gasofen, zwei Kinder, davor Lyrik wie Glassplitter unter den Fingernägeln).

Die Sachbuchebene bedient Alvarez angesichts des überschaubaren Umfangs des Buches ganz wunderbar. Die Reise geht von der von nüchterner Konsequenz bestimmten Antike zur sündigen Selbstötung im Mittelalter. Weiter geht es über Kaffeehaus-Duelle und Werther-Kult hin zum Dada. Anhand einiger Textbeispiele breitet Alvarez seine Analysen aus, ohne dabei ins (natur-) wissenschaftliche Faktenschwingen abzudriften.

Das Buch ist höchst subjektiv und so beginnt Alvarez nicht nur mit persönlicher Trauer sondern endet auch mit einer Beschreibung seines eigenen Selbstmordversuchs. Das grausamste dabei scheint das Fehlen jedweder eindeutiger Epiphanie zu sein - er überlebte, nicht mehr und nicht weniger. Wenn der Magen ausgepumpt ist, wird der Kopf nicht zwangsläufig mit Neuem gefüllt. The Savage God ist ein kleines Buch aber gerade durch seine Bescheidenheit ermöglicht Alvarez eine interessante und ernsthafte Lektüre.

11/17/2008

Ring, Gore Verbinski

Dieser Film ist der Kino-Angstgegner. Der Erstkonsum vor einigen Jahren war überraschenderweise eine zermürbende Erfahrung, ein Ereignis der wundersamen Totalvergruselung. Ähnlich war das nur beim Exorzisten I, V2.0. Das Kino wurde gepriesen, der Masochismus wurde als Teil des Konsumvergnügens begriffen. Tolle Sache, das. Dann wurde auch die japanische Ring-Trilogie gelesen, die auch schauderhaft war, aber anders (vor allem äußert heterogen).

Jetzt, wo man eine Stopptaste und Sofakissen in der Nähe hat und das ganze Werk inklusive seiner Pointen bereits kennt, will sich der Supergrusel nicht recht einstellen. Aber sei's drum: Frau Watts bleibt wundervoll und die graublaukalte Optik benebelt wieder. Die zu erzählende Geschichte (genreüblich sexuell erzählt: Reiz hier, Reiz da, Enthüllung, Penetration, Ekstase, Abspann, Kippen holen) ist nunmal finsterschön. Gespenster und Gewalt gegen Kinder wurden selten so stimmig inszeniert. Die japanische Verfilmung harrt noch ihrer Beschauung, vielleicht ist die arg anders.

11/12/2008

Ein Quantum Trost, Marc Forster

Eine gelungenes Sequel vom Franchise-Reboot in Form eines Prequels. Die leichten Zitate vom Bourne-Zyklus sind keine Kopien sondern Zeichen einer aktualisierten Standard-Optik des Krawallkinos.

Craig ist eine angemessen coole Sau aber trotzdem wird man sich in öffentlicher Gastronomie wohl nie den Stammdrink seines alter egos bestellen, denn da schämt man sich schon irgendwie. Die Aura dieses Getränkes kann wohl keiner retten.

Der nächste, bitte. Och, böööttöööö!

Shotgun Opera, Victor Gischler

Die Schusswaffe an sich ist ein herrliches Ding. Sie ist eine Maschine, die EVENTS produziert. Entscheidungen fallen im Bruchteil einer Sekunde. Der Zeigefinger ist Fokus absoluter Kontrolle der Situation (wenn nicht andere mächtige Finger in der Nähe sind). Einen kleinen Funken dieser göttlichen Aura kann man auf den Seiten der Hersteller erahnen, etwa hier.

Shotgun Opera ist also eine Huldigung des Schießens und der Schützen. Halbweltlich verstrickte Charaktere müssen sich wehren, rächen und festhalten. Es werden Hubschrauber und Füße abgeschossen. Die Unterhaltung stellt sich ein, wenn auch nur für kurz denn die Handlung ist wahrlich einfach. Sympathisch ist das alles schon: der Roman macht einen hoffen, dass man mit Herrn Gischler vielleicht einmal einen schwarzen, schwarzen Kaffee (ohne Zucker!!) trinken kann. Ist bestimmt ganz ein feiner Konsument und Fan.

Closer, Dennis Cooper

Cooper war schon da, von wo Bret Easton Ellis Postkarten (jagut, und somit auch die wichtigsten Romane der Endzeit des 20. Jahrhunderts) schrieb. Ist das die Avantgarde, die dann in den Hype gewuppt wurde? Closer ist der erste Teil einer Pentalogie und entstand lange vor dem grandiosen The Sluts. Freilich geht es auch hier körperlich-herb zu: eine Schar Heranwachsender erforscht und erweitert die eigenen physischen Grenzen mit Substanzen, Gegenständen und -einander. Für den Normalkonsumenten ist dies eine schmerzhafte, ekelhafte und verstörende Erfahrung, doch wenn man Harmony Korine kennt und zumindest seine Relevanz anerkennen kann, dann beeindruckt Closer ebenso wie The Sluts. Nach der Lektüre hat man (abermals) verstanden, dass Schmerz letztlich auch nur ein Feedback unter vielen ist und das Masochismus ein Wort ist, das vorwurfsvoll und falsch gebraucht werden kann, weil es die Dimension des Vergnügens (noch so'n Wort) nicht beinhaltet.

Sprachlich-körperlich wird von Cooper eine Grenze beschritten und dieses Unterfangen ist freilich deckungsgleich mit der Ära der Adoleszenz. Doch selbst diese Gegenüberstellungen sind letztlich nur Hilfsmittel: Spreu/Weizen, Liebe/Geilheit, männlich/weiblich, Opfer/Täter, enthusiastisch/pervers, Horror/Porno. Und wieviel Seele steckt im Rektum und gehört sie denn da hin und gibt es sie eigentlich überhaupt?

Cooper mag vom potenzierten Punk getrieben sein, welcher oftmals (damals) als sogenannter Grunge wahrgenommen wurde (jedenfalls auf dem Musikmarkt). Der Imperativ "Touch me, I'm sick" wurde vorm Kloposterspruch "I hate myself and I want to die" ausgestoßen.

Die nächsten Teile der Reihe sind vorgemerkt und harren ihrer Verschlingung in vorsichtigen kleinen Portionen.

11/11/2008

Der Baader-Meinhof Komplex, Uli Edel

Welch barbarische Zeiten: die rauchen ja alle! Hat man das damals wirklich so getan? Quarzen in allen Lebenslagen? Da wedelt man ja schon im Kinosaal fast automatisch drohend mit der Hand und hustet laut und gerichtet.

Es muss, es muss. Der Film ist ganz logisch, denn nachdem die Reißerqualitäten des Bonkers so gut zwischen Grusel und Ehrlichkeit im Kino funktionierten muss auch dieses Geschichtskapitel dran glauben. Man muss auch ans Exportgeschäft denken und an die Feuilletons: die müssen ja Seiten mit dem Kino füllen denn es liest ja keiner mehr (und die Zeiten sind schlecht und der Untergang ist nah und so weiter) monosensuale Bücher. Dann fühlt sich der eine verschaukelt, der nächste verkannt und dann kann wieder eine Kalenderwoche mit "Ja, damals..."-Gedudel gefüllt werden.

Rasant ist der Film, und trotzdem lang. Das merkt man nicht und so kommt man zum adjektiv "kurzweilig". Huch! Ist dieses Wort denn richtig hinsichtlich eines historisch so finsteren und komplizierten Themas wie die Gewaltspirale einiger satter Kinder des Westens? Somit ist ein wichtiger Schritt zur kollektiven Verdauung der Vergangenheit getan.

Und allen betroffenen Oberstüfler, die im Plenum des Religionsunterrichts so gern mit ihrer erwachenden Betroffenheit angeben wollen mag man sagen: das ist kein Dokumentationsfilm, hier gab es Stuntmen (und -women! Uh, was für biestige Feminität hier überhaupt dargestellt wird!). The revolution will not be televized und in der Oberstufe wird sie wohl als letztes ankommen. Prost und Bang-Bang!

11/03/2008

Hellboy 2: The Golden Army, Guillermo del Toro

Hellboy Nummer 1 war schon drollig wie vieles nicht. Hier führt man das Prinzip weiter und muss die lästige Charaktereinführung nicht vollziehen sondern darf selbige schneller aufeinanderklatschen lassen.

Wie schon beim Indy-Franchise sind bei Hellboy die Nazis okkulte Hotzenplotze - der deutsche Krauss stellt sich mit Doppel-S vor: "War ja klar!" seufzt Red, der zigarrenrauchende Kumpel-Teufel.

Enorm schönes Kreaturendesign wird in dieser gehobenen Familienunterhaltung geboten, das liegt teils an der epochalen Arbeit von Hellboy-Schöpfer Mignola aber eben auch an der Erfahrung von del Toro mit absonderlichen Wesen. Ein Hoch auf die erschwingliche Animationstechnik, die nicht mehr nur unterkühlte Quecksilbermänner wie den T-1000 schaffen kann sondern auch so verspielte Steampunk-Ästhetik wie hier. Bittebitte, Teil 3 noch vor 2012, ja?

The Missing, Sarah Langan

Infektion!

Sie kommen, um DICH zu holen, also ergreife die Gardinenstange und stecke sie den Angreifern in den Kopf!

Ja, wir kennen das alles aber mehr von dem Gleichen bedeutet ja auch nur ungedeckten Bedarf.

Eine Kleinstadt in Maine ist voller Menschen, die irgendwie gescheitert und klein (geblieben) sind und die zwischen Couch und Parkplatz ihre Existenz überstehen. Dann macht die desolate Lehrerin einen Ausflug mit ihren Schülern und einer wird draußen im Wald vergessen. Der Junge fängt an zu graben (ah, aber ohne Spaten) und weckt (und verschlingt) einen intelligenten Virus - eine kollektive parasitäre Intelligenz, die die Infizierten zu animalischen Zerfleischungsmaschinen macht. Anhand von Einzelschicksalen wird nun das Fortschreiten der Seuche geschildert sowie die Dezimierung der Bevölkerung durch sich selbst. Frau Langan ist ein echtes Flintenweib und unterhält auf jeder Seite.

The Missing ist eine Art Vorgeschichte zu I am Legend. Und da dieses Produkt schon gefiel, kann The Missing nur mit trockenem Mund beklatscht werden.

11/02/2008

Rückfall

Schon wieder muss die Metaebene bedient werden, doch nur um die Rückkehr des Gräbers zu verkünden.

Die Kruste wurde vom Spaten geschabt und er wurde auf Rost überprüft und diese Formulierung hört sich geradezu softpornoesk an aber das ist schon OK denn der Graben ist eh nicht der zurechnungsfähigste Ort im sogenannten WWW.

Jedenfalls geht ja jeder Ausflug mal zu Ende und dann sitzt man wieder im Graben und die Einschläge folgen den Lichtblitzen. Die Pause wird mit Geräuschen beendet:



Hier also bald wieder eine Abarbeitung und -hakung der Verdauung von Ablenkung und Unrat zwischen Kiefern und Ohren.

10/14/2008

Ausbruch

Der Graben wird nun ein wenig ruhen, denn der Gräber rammt den Spaten in die Ferne.

Doch die Plattentektonik wird freilich weitermahlen. Dies sind einige der Produkte, die im Urlaub ihrer Verdauung harren werden:

Die Wohlgesinnten, Jonathan Littell
The Missing, Sarah Langan
Böse Geister, Fjodor Michailowitsch Dostojewski
Warlock, Oakley Hall

Zum Abschied gibt es eine der besten Bands der Welt, aber stromlos.


LINK

10/13/2008

Neverwhere, Neil Gaiman

Ah, die komplette Umkuschelung durch das dicke U der Unterhaltung. Gaiman hat hier eigentlich nur ein Fernsehfilm-Projekt romanisiert. Wer das nicht kennt, darf sich gern nach Neverwhere flüchten.

Es geht um sehr bildhaften Eskapismus: der Protagonist fällt in London (wo sonst?) durch eine Lücke im Bürgersteig und stolpert nach London Below, das aus einer phantasmagorischen Tunnelwelt des Kulturechos vergangener Stadtbilder besteht. Da unten herrschen die Ratten und sprechen zu ihren Jüngern, es gibt Untiere und Kloakentrödelmarktschreier. Es gibt weniger Fäkalien als erwartet, aber viel Schlamm. Der gothic Karneval des history channel, quasi. Die normale Bevölkerung setzt sich dort mehr oder weniger aus Pennern zusammen, die an der Oberwelt wundersam ignoriert und ausgeblendet werden. Aber keine Angst, Gaiman macht keine Sozialkritik, denn die kuschelt nicht. So mag es der amerikanische Markt (und der Konsumgraben)! Schöne tiefe Fundamente, Dungeon-Erlebnisse und dazu ein bisschen Totschlag. Wie bei Ghostbusters gibt es auch Schlüsselmeister und (diverse) Torwächter und die Idee dahinter ist freilich das exhumieren weiterer Geheimnisse und Unterwelten.

Auf der Rückseite des Produkts wird Neverwhere von Tori Amos gelobt und da wundert man sich schon ein bisschen. American Gods ist aber besser. Sorry, Tori.

10/10/2008

Burn After Reading, Ethan & Joel Coen

Der Song, der den Trailer umspült, ist von Elbow. Gut zu wissen. Doch die Werbung misslingt inhaltlich: von diesem Film werden viele Konsumenten überrumpelt werden, denn er entbehrt der bequemen Genrekonventionen. Verhuschte Steuerberaterinnen finden hier keine Kabel-1-Comedy-Geruhsamkeit. Trotzdem werden sie sich vielleicht eine Karte kaufen. Also "funktioniert" die Werbung doch, hu?

Die Coens machen besondere Filme. Viel Lärm um Nichts? Ja, aber spaßiger Lärm! Es gibt Nasenbluten, schnelle Schüsse, einen Dildo und eine Axt. Das sind Zutaten für einen unvergesslichen Abend, auch wenn kein Chinamann auf den Teppich pisst. Vor allem ist es sehr schön, dass sich die Brüder nicht auf dem Oscarsegen vom genialen NCFOM ausruhten.

Der Hollywoodklüngel nervt hier nicht wirklich. Alle Beteiligten scheinen guten, derben Spaß an der Arbeit gehabt zu haben. Diese virtuelle peer group darf weitermachen und öfter einmal so ein Fest feiern wie BAR. Das Werk ist charmant, ohne einen klebrig umarmen zu wollen. Gracias.

Dolls, Takeshi Kitano

Puppen sind eine dankbare Metapher zur Darstellung wechselseitiger Subjekt/Objekt-Beziehungen, und so ist das auch hier. Wer zieht welche Fäden? Es geht freilich um der Liebe zartes Band, welches gleichzeitig Leine, Halteseil und Fessel sein kann. In drei verschiedenen Episoden (tragische junge Liebe, nicht stattgefundene Liebe, Fan vs. Popstar) wird die Verknüpfung menschlicher Seelen geschildert.

Die Bildwelt selbst ist nüchtern und unaufgeregt schön, der Film profitiert von den wohldosierten Schnitten. Das Auge verliert gegen Ende seine Funktion, wenn es in eine Schneelandschaft geht. In der Weiße gibt es nur Stille und nichts mehr zum Festhalten: auch die Liebe ist letztlich eine Geschichte, die nur in den Tod führen kann. Sehr schön.

10/06/2008

Brazil, Terry Gilliam

Wieder berauscht sich Gilliam an Unordnung. Zitiert werden unter anderem Brave New World und der normale Irrsinn moderner Bürokratie. Brazil schafft es dabei, typisch für eine in den 1980ern entstandene Dystopie zu sein ohne optisch unangenehm aufzufallen.

Die Übermetapher des heroischen Klempners ist tatsächlich maßgeblich für die moderne Zivilgesellschaft: stets gibt es Kräfte, denen man auch mit Krawatte hilflos ausgeliefert ist. Spezialwissen ist immer auch Macht. Jeder braucht Rohre, und wer die Rohre beherrscht, beherrscht jeden. So ist es nur logisch, dass der Protagonist am Ende gegen das System auflehnt, indem er einer Rohrpostanlage das deep throaten beibringt.

Aber leider ist Brazil auch hoffnungslos überladen. Durchschnittliche Regisseure hätten aus dem Stoff 17 Filme machen können.

Generation X: Tales for an Accelerated Culture, Douglas Coupland

Uh, ein Paradoxon: mit dumpfem Trara warf sich einst die Kulturkonsumindustrie vor fast zwanzig Jahren auf das Schlagwort 'Generation X'. Genau diese Sprungbewegung, diese übermächtige Infiltration von Lebenswelt und -gefühl durch Wirtschaft ist es, die der kleine Roman thematisiert. Generation X ist ein Begriff, der dabei Rebellion und Besiegtsein zugleich umfasst. Und Billy Idols Band hieß auch so. Verwirrend.

Vom literarischen her wird Coupland den Maximen der Slogans nicht gerecht, obwohl er mit ihnen kokettiert. Im Gegenteil: wenn es dem geneigten Leser gelingt, die unsägliche Überschrift auszublenden, dann bietet sich ein kluger, witziger und auch sehr schöner Text. Die drei Protagonisten sind mehr als Anführer der Beispielparade, es sind Charaktere die durchaus interessant zwischen Sitcom und Tiefe pendeln und das auch wissen.

Eine schöne letzte Szene hat der Roman auch, sogar beim zweiten Lesen. Es wird mit Blut getauft und mit mental geforderten Menschen gekuschelt. Es geht ins mythische Mexiko, in die Welt am Rand von Americorp, dem Ende allen Franchises entgegen. Dies ist hinsichtlich des Hauptthemas, der Endlich- und Erbarmungslosigkeit der durchkapitalisierten Welt, angemessen.

Coupland ist einer von den Guten; er ist einer von denen, die mit ihrem Debüt in etwas unangenehm zeitgeistiges (und somit profitables) hineinstolperten. Der Blick wandert jetzt ins Regal und sucht Kevin Smith.

Bullitt, Peter Yates

Die Verfolgungsjagd durch San Francisco überrascht. Auf einmal wird die Kamera ein lidlos zuckendes Auge und jedes Aufsetzen der Achse ist am Bauchnabel spürbar. Geschwindigkeit in San Francisco ist eh spannend, was auch Peter Bogdanovich wusste.

McQueen spielt nüchtern, humorlos und direkt. Spielt er sich selbst? Das Autofahren hat er auch selbst erledigt. Als ganzer Kerl kann er sogar rückwärts ohne Spiegel am Hang einparken.

Als Vorfahre des Actionfilms ist Bullitt allerdings überraschend explosionsarm. Egal, die Aura der schönsten und unvernünftigsten Autos der Welt (Ford Mustang und Dodge Charger) hält das Vehikel gut zusammen.

Wall-E, Andrew Stanton

Wirklich neu sind digital erarbeitete Animationsfilme ja nicht mehr. Warum wird dann nicht endlich einmal ein wirklich schlechter Film produziert? Wall-E ist großartig und hebt den Genre-Standard weiter an. Die erwartete optisch-akustische Drolligkeit wurde noch übertroffen. Die zu erzählende Geschichte ist mehrdimensionaler als gedacht und das Auftreten redender fetter Menschen wirft den hübschen Film noch einmal gut herum.

Zu den beiden Protagonisten: Panzerketten müssen nicht bedrohlich sein, doch sie sind das Zeichen einer älteren Generation von Maschinenwesen wie Wall-E. Die neue Sonde Eve schwebt - und sie strahlt hell wie ein iPod bzw. clone trooper. Das besondere sind die Augen, die ausdrucksstärksten Elemente des individuellen Antlitzes: Wall-E surrt obenrum und kleine Servos lassen ihn menscheln. Eve ist anders. Sie hat ein gestaltbares Pixeldisplay als Gesicht. Sie ist theoretisch nicht auf zwei Augen festgelegt und bleibt mimisch flexibel. Zum Glück sind die anderen Roboter auf dem Kolonieschiff weniger ätherisch.

Maschinen sind Menschen überlegen, denn sie können nicht fett werden. Fett ist in diesem Film auch drollig, aber auch müde, dumpf, behäbig und schwach. Auf die Humanoiden wartet also kein Maschinenkrieg sondern eine Schlacht gegen die ungebildeten, schlaffen, entschleunigenden (siehe Gravitation) Fetten und ihre verfleischlichten Leiber.

9/26/2008

Snow Crash, Neal Stephenson

Da sprühen die Funken. In einer einmal lässigen Geste kreuzt Stephenson pynchonesque massive Leichtigkeit mit Gibsons Cyberpunk-Maximen (halbwahre Kaufargumente auf der Rückseite). Es bietet sich ein erhabenes, detailliertes, auf Umwegen glaubwürdiges Bild der (um 1990) nahen Zukunft. Der Held heißt Hiro Protagonist (!) und ist sowohl ein Hacker, der im Metaverse (ein im Genre bekanntes dreidimensionales WWW) umhergaunert als auch mit Samuraischwertern umgehen kann. Das ist an Coolness kaum zu überbieten. Er trifft auf YT, die als Kurierfahrerin die Heiligkeit des Skateboards auf dem Highway demonstriert.

Stephenson wirft mit den fantastischen Ideen nur so um sich und ist kaum zu stoppen. Auf jeder Seite bieten sich abstruse und trotzdem merkwürdig glaubwürdige Panoramen. Die Geschichte ist wahrlich episch: es geht um die ersten Hacker und ihre Tontafeln in Sumer. Ja, Sumer. Snow Crash ist eine Ausarbeitung von kommunikationswissenschaftlichen Theorien und postuliert die grandiose Virulenz von Information durch Sprachen, Migration, Köpfe und Ideen: Wissen ist wie Herpes. Dabei ist der Roman keineswegs schwierige Lektüre. Unheimlich! Man muss es lesen, um es zu glauben.

Außer Wakizashis, gatling guns für die Aktentasche, Fernsehen, Wasserstoffbomben, KI-Bibliothekaren, Babylon, unscheinbaren US-Präsidenten und der Mafia als Franchise-Unternehmen spielt auch das sogenannte Floß eine Rolle: es ist eine schwimmende Stadt aus Pontons, Gerümpel, und dem Flugzeugträger Enterprise. Waterworld lässt grüßen. Da Snow Crash über 15 Jahre alt ist, hat Herr Costner diese Idee anscheinend gestohlen.

Deshalb macht man hier im Graben gern Platz für Géricault.

Tropic Thunder, Ben Stiller

Herr Stiller ist ein Problem, denn er ist so furchtbar harmlos. Dies ist auch das Problem von seinem Film - mit Krieg kann man eigentlich derber rumspaßen. Schade. Die Erwähnung von Drogen oder Flatulenz oder Landminen ist nicht wirklich revolutionär. Herr Stiller tut einfach alles für die gute Laune - die versprüht Tom Cruise im fat suit aber auf jeden Fall. Mit dramaturgisch angezogener Handbremse wird der Konsum einer Bulette im Brötchen nach dem Film gewährleistet, siehe Indy 4.

Mit Bill Murray wäre das nicht passiert. Was macht eigentlich der gereifte und scheinbar un-unterschätzbare Jim Carrey derzeit?

9/24/2008

12 Monkeys, Terry Gilliam

Es beginnt im Schnee. Sacht und fein ist die Welt. Ein reines Weiß durchzieht sie - und der Protagonist Bruce Willis muss sich durch einen mehrlagigen Schutzanzug davor schützen, denn diese Welt ist so ganz anders als die zugerümpelte unterirdische Bunkerwelt der Zukunft.

Vielleicht kann Zeit genauso unaufgeräumt sein wie Raum. Vielleicht kann eine Schlamperei im Vorher eine große Unordnung im Nachher bewirken. Vielleicht können die Knotenpunkte von den Kategorien Zeit und Raum ebenso durcheinander geraten - als Beispiel dürfte der wunderbar wahnsinnige Brad Pitt herhalten.

Es beginnt im Schnee und es endet am Flughafen - gebohnerte Böden, helles Licht, saubere Menschen. 12 Monkeys ist eine Ode ans "Draußen" und die Definition desselbigen. Endet es wirklich am Flughafen? Nein, es beginnt von vorn. Gilliam bietet durch diese Rümpelei eine größere Ordnung. Ein herrlicher Film.

Das Appartement, Billy Wilder

Wilder und das moderne Leben, schon wieder. Der Aufbau der Bühne erinnert an moderne Sitcom-Mechanismen. Und Jack Lemmon ist teilweise tatsächlich eine Art Chandler, der hier sein Appartement immer wieder kleinlaut für die Seitensprünge seiner Chefs zur Verfügung stellt.

Allerdings ist Das Appartement von einer gewissen traurigen Ernüchnerung durchzogen, die vor allem an Shirley MacLaines Rolle festzumachen ist. Als kleine Fahrstuhl-Mieze hat sie sich scheinbar mit ihrem Dasein als zweitklassige Geliebte abgefunden. Sie ist teil der Einrichtung, ein Möbel, das von den hohen Herren genauso ausgenutzt wird wie Lemmon. Ihr Selbstmordversuch ist nicht wirklich lustig. New York City ist ein kalter Ort voller steriler Bürokatakomben und Treppenhäusern.

Nein, Billy Wilder scheint kein reiner Komödienmensch zu sein, auch wenn er das bestreiten mag.

9/20/2008

The Departed, Martin Scorcese

The Departed ist ein langer Film, der viel Geld gekostet und eingebracht hat. Er wurde als Blockbuster konzipiert und erfüllte seine Rolle. Die Geschichte über zwei Spione, die jeweils bei der Polizei und bei der örtlichen Mafia eingeschleust werden und ihre wahren Identitäten verhüllen müssen ist spannend und nüchtern.

Aber es ist überhaupt nicht originell! Es ist alles von der 102ten Episode von South Park abgekupfert! In Lil Crime Stoppers werden die vier Jungs zu junior detectives und werden gezwungen, meth labs und Mafiosi hochgehen zu lassen. Und am Ende bekommt fast jeder, wie auch beim vorliegenden Scorcese-Werk, einen erfrischenden Kopfschuss. Außerdem arbeitet der tapfere Butters zwei Tage daran, eine Spermaprobe abzuliefern und es gibt eine Duschszene. Jagut, The Departed beinhaltet weniger Sperma aber dafür einen gutgelaunten Jack Nicholson (heil seiner Plautze), doch das täuscht über den dreisten Raub nicht hinweg. Wann wird die Welt begreifen, dass man sich nicht einfach am Mythenschatz von South Park bedienen darf?

Für jemanden, der hinterm Mond lebt, ist The Departed natürlich nicht nur unterhaltsam sondern auch originell.

Dermaphoria, Craig Clevenger

Vieles im Konsumgraben verdient nicht mehr als einen Halbsatz als Kommentar und oft wird aus reinem Mitleid ein Text von mehreren Absätzen daraus. In diesem Fall hier kann aber gar nicht genug geschrieben werden, um die Erfreulichkeit der Lektüre von Dermaphoria zum Ausdruck zu bringen.

Endlich kommt hier einmal ein Autor, der die Themen Erinnerung, Wahrnehmung und (bio-) chemische (Re-/De-) Konstruktion der Wahrheit ernst nimmt und mit einer wuchtigen, eindringlichen und allegorischen Geschichte thematisiert. Kaufargumente auf der Rückseite des Produktes sind unter anderem Memento und McCarthy und, verdammt, das passt.

Clevenger befreit den Begriff der Paranoia aus dem Gefängnis der Lächerlichkeit und weist ihn als Basiswerkzeug des modernen Überlebens aus. Die Käfer im Zimmer werden farbig markiert und an der Wand zeigen sie dann die wahrhaftigsten Molekülketten. Und letztlich sind taktile Reize die letzte Grenze, die den Einen von der Außenwelt trennen. Amen. Dazu hört man dann eiskalte Interpol oder schwitzige QOTSA. Oder nur das rasselnde Atmen der Spione hinter der Tapete.

Vielleicht hat Clevenger bei irgendwem abgeschrieben, doch dieses Original ist hier unbekannt. Somit bleibt zu vermerken, dass diese läppischen 200 Seiten das inspirierendste Textvergnügen seit langem waren. Ähnlich wunderbar war kein geringeres Produkt als Clevengers Debüt, The Contortionist's Handbook. Recht so.

Hier zu erwerben.

Survivor, Chuck Palahniuk

In einem gesunden Körper steckt auch ein gesunder Geist, oder? Aber nein! Hier doch nicht. Die Frömmigkeit ist in dieser Massenreligions-Groteske ein Hilferuf und letzten Endes geht es auch nur ein wenig offensichtlicher um die Apokalypse als im sonstigen irdischen Leben.

Der zarte Tender, Putzfee und Haussklave, erzählt seine Geschichte der black box eines bald abstürzenden Flugzeugs. Wie so oft beginnt Palahniuk beim Ende und der Leser darf genüsslich erfahren, wie alles so furchtbar (komisch) werden konnte. Die Monstrosität des modernen Lebens zwischen materieller und ideeller Hygiene wirft den zarten Messias-Azubi hin und her.

Fragen kommen auf: Inwiefern sind Pornographie und Religion gleichermaßen ein heilsamer Ritus für verstörte/gesunde Seelen? Wie langweilig ist die Welt, wenn man hellsehen kann? Wie kompliziert ist die Welt, wenn Fertility (Tenders love interest und hellsehender sidekick), also die Fruchtbarkeit, die einzige Hoffnung ist, die von der Gegenwart in die Zukunft führt? Wie fühlt sich ein Dodo, wenn er Gefühle zulässt? Und freilich kommt man um Palahniuks Lieblingsfrage nicht herum: wie böse ist Sex wirklich?

Dies alles und noch viel mehr findet der nicht notwendigerweise atheistische Leser in dem wohl pädagogischsten aller Palahniuk-Romane. Wieder ein Fest.

Casino Royale, Martin Campbell

Der hypermaskuline Action-Avatar hat es eigentlich schwer. James Bond gehört ins U-Museum und ist unverzichtbarer Bestandteil ziviler Standardzerstreuung. Aber wie rettet man so ein Vehikel und kann es weniger offensichtlich belanglos machen und somit trotzdem Geld damit verdienen? Mit Körperlichkeit! Es wird mehr geschwitzt, gekloppt und gekaspert als je zuvor. Bond muss einstecken wie nur was und der schöne Schein seines gleißenden Automobils hält auch nicht lange. Anzüge werden ruiniert und Wut bewegt. Gebläuten Augen muss geglaubt werden.

Eine kurzweilige Mischung aus Masochismus und Konsumanleitung.

9/17/2008

Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra, Matteo Garrone

Eine fiktionalisierte Dokumentation über ein Segment des organisierten Verbrechens in Italien. Der Film ist vergleichsweise schwer zu verdauen, da er anhand mehrerer Handlungsstränge eine Wirtschaft beschreibt, die von Gewalt und Gier getrieben wird. Diverse Perspektiven zeichnen ein Bild des Grauens. Die unterschiedlichsten Charaktere versuchen auf ihre Art, sich in der barbarisch bis mittelalterlich gestalteten Welt voller Plattenbauruinen zu orientieren. Der Film erzählt nicht, sondern zeigt. Es gibt keinen wirklichen Showdown oder sonstige erzählerischen Strukturelemente. Das Elend war da, wird beleuchtet und existiert immer noch. Dies mag die einzig sinnvolle Methode sein, mit dem Thema umzugehen.

Der Film ist dabei über gängige Scherze über den derzeitigen Cäsaren in Rom erhaben. Was bleibt, ist ein ungutes Gefühl hinsichtlich der Idee Europa.

9/16/2008

Babylon A.D., Mathieu Kassovitz

Schade.

Wenn Diesel nicht gerade grausige "Komödien" dreht, kann er eigentlich überzeugen, solang genug Dinge um ihn herum explodieren. Und Kassovitz war im letzten Jahrtausend immerhin in der Lage, La Haine zu machen.

Genutzt hat dies Babylon A.D. nicht. Die Bilder mögen für sich genommen stimmen aber dramaturgisch macht das alles eher Krach als Sinn. Die Nemesis wird zu spät eingeführt, die Charaktere sind seltsam unentschlossen und das Ende ist unbefriedigend langatmig. Nee, brennende Autos und Tätowierungen allein machen noch kein gutes Actionkino. He, Moment, diese Erkenntnis passt auch auf Wanted. Wie unheimlich.

9/15/2008

RIP, Mr. Wallace

Link.

Star Wars: The Clone Wars, Dave Filoni

Doch, musste sein. Franchise ist franchise und man könnte ja was verpassen. Die Rahmenhandlung bleibt unberührt und bekannte Charaktere dürfen mal wieder so posieren, wie man es gewohnt ist.

Auffallend ist die Rolle der Klone. Sie sind ja genetisch gleich, doch nehmen sie innerhalb der Armee unterschiedliche Rollen ein. Sie haben auch unterschiedliche Frisuren. Manche Klone befehligen andere. Sie sind den genetisch unterschiedlichen Jedi immer gehorsam. Sie sind individuell aber eben doch austauschbar. Alles was zählt ist die Mission. Sie sind gezüchtete Statisten. Sie sind humanoide Werkzeuge und zweifeln nicht daran.

Vielleicht ist es nur das Echo vom jüngst geschauten Apocalypse Now Redux, aber die fliegenden Truppentransporter erinnern ein wenig zu stark an die Hubschrauber in Vietnam. Die Klone sind ein Echo der GIs, hochmotiviert und in ramponiertem iPod-Weiß gekleidet. Somit kann auch einem so knallbunten Unterhaltungsprodukt wie Star Wars ein dunkler Beigeschmack unterstellt werden. George Lucas, wann erklären Sie Sich der Welt?

9/14/2008

The Good, the Bad and the Ugly, Sergio Leone

Warum muss das Ding auf deutsch "Zwei glorreiche Halunken" heißen? Erstens gibt es drei Halunken. Der Gute, der Böse und der Hässliche bieten jeweils eine Facette der Halunkigkeit. Und zweitens ist keiner der Beteiligten glorreich. Der Film selbst hingegen ist das schon.

Mit einer ziemlich langen Laufzeit und ausufernd kargen Landschaften verlangt das Werk recht viel Kondition vom interessierten Zuschauer. Aber der Konsument wird belohnt. Die Filmmusik beispielsweise ist beispiellos. Hier wird der bekannteste Western-Jingle überhaupt uraufgeführt und klingt nicht albern. Die drei rivalisierenden Herren sind harte Knochen und somit Produkt der hoffnungslosen und staubigen Leere in der Ruinenlandschaft eines entvölkerten Wilden Westens. Viel Platz für dicke Egos.

TGTBATU hat enorme popkulturelle Strahlkraft. Das Finale auf dem Friedhof erinnert zwangsläufig an Metallica: die Reihen der Kreuze erinnern an Master of Puppets und der Score dazu ist freilich die bekannte Einmarschmelodie der kalifornischen Musikanten. Der Film ist ein schnoddriges Epos das nicht durch die Tarantino-Ironiemaschine gewuchtet wurde sondern selbige mit verursacht hat.

9/12/2008

The Man Who Fell in Love with the Moon, Tom Spanbauer

Herr Spandauer ist hier im Graben ein Begriff, weil er Angaben im www zufolge Workshops gab, die auch Chuck Palahniuk besuchte. Gibt es nun hier proto-Chuck-ismen zu lesen? Nein. Auf seltsame Art ist TMWFILWTM eine Mischung aus Deadwood und Hogg, aber netter als vermutet.

Im ländlichen Westen um 1900 ist Shed ein bi-(oder multi-)sexueller Halbindianer, der im (Schuppen vom) Bordell seiner Ziehmutter als Dienstleister aushilft. Das macht ihm nicht viel aus. Die Geschichte, die er dem Leser erzählt, befasst sich mit adoleszenztypischen Themen wie Elternsuche, Familienrache und allgemeiner Verwirrung. Es gibt auch noch supertollen Sex mit den eigenen (Pseudo-)Eltern.

Stilistisch interessant ist die gemütliche Erzählung. Schöne weite Landschaften, humoristische Anmerkungen, drollige Gestalten. Das Derbe verbindet sich mit dem Epischen. Vielleicht ist das magisch-realistisch.

Unangenehm fällt auf, dass die Geschichte episodenhaft zusammengestückelt erscheint. Vor allem das Finale, in welchem unerhört direkte Verweise auf den Ödipus-Mythos laut werden, ist eher schmockig-altbacken. Muss das sein? Der Roman scheint zu brüllen: "Los, benutz' mich auf pädagogische Art und Weise!" Das ist nicht so schön. Vom sprachlichen Vermögen hätte es Spanbauer nicht nötig gehabt, mit dem Holzhammer auf die Vielseitigkeit seines Werkes hinzuweisen.

Wanted, Timur Bekmambetov

Warum kann Wanted nicht gefallen?

Die Story ist recht simpel. OK, Actionkino. Aber hier fehlt ein moralisches Grundkonzept, dass man Filmen mit solch einem sichtbaren Budget unterstellen darf. Die Huldigung der Waffen und der Projektile mag optisch gelungen sein, doch scheint es sich bei Wanted um eine zusammengehackte Reihe von Videoclips zu handeln. Der Film ergeht sich in Oberflächlichkeiten, ohne auch nur ansatzweise den B-Movie-Charme zu verteilen, der moralische Leere u. U. rechtfertigen könnte.

Die Darsteller sind vielleicht engagiert, kommen aber gegen die dünnen Dialoge nicht an. Jolie ist freilich eine Freude, aber auch nur, weil sie mittlerweile um ihre eigene Klischeehaftigkeit (das Hyperweibchen, die unnahbare XX(X)-Tigerin) weiß und selbige auch kommunizieren darf.

Die Musik nervt. Es ist zwar immer schön, wenn man NIN für die Untermalung benutzt, aber was bei 300 im Trailer passte, das eckt hier an. Man kann doch keinen (zugegebenermaßen vergleichsweise mittelmäßigen) Song benutzen, dessen Text exakt die zu sehende Situation beschreibt. Das ist zu doof. Ja, auch bei Actionfilmen gibt es ein "zu doof". Oje.

The Dark Knight, Christopher Nolan

Ja, schon wieder. Diesmal im Original. Wieder wunderbar der Moment der Stille, als der Joker einfach nur den Kopf aus dem Autofenster in den Fahrtwind steckt.

Kostüme machen einzigartig und unverkennbar. Sie machen eine Person eindeutig. Die Akteure in Comics sind stets eindeutig identifizierbar, denn sie sind immun gegen Veränderungen wie Mode und somit auch immun gegenüber der Zeit. Symbol und Person verschmelzen und somit kann man (mit ganz, ganz viel Wohlwollen und Unschärfe) an religiöse Motive denken. Und siehe da: Batman nimmt die Last der Welt auf sich. Er stellt sich freiwillig ans Kreuz (bzw. in den Fokus ermittelnder Polizisten), und zwar für das größere Wohl. Ist er nun Märtyrer oder Messias oder beides und wie kommt man zu dieser Überlegung? Ah, herrlich strukturierte Comic-Welt.

9/08/2008

Blade Runner, Ridley Scott

Wie auch bei Apocalypse Now Redux hat die kinematographische Überarbeitung von BR selbigem gut getan. Diesmal ist Herr Ford nicht nur Statist. Diesmal ist er vielleicht nur eine täuschend echte Menschennachahmung.

BR zeigt vieles. Erstens, wie wichtig Philip K. Dick eigentlich ist. Zweitens, wie wenig es Ridley Scott um markige Zukunfts-Action ging. Drittens, wie ganzheitlich die Darstellung einer verstörenden Zukunftsversion sein kann und wie leicht Archetypen wie Philip Marlowe und diverse femme fatales dort ihren Platz finden können. Und noch mehr.

Kurz vorm Ende muss Deckard (der einfache Angestellte, der sich Bewußtsein einredet) den künstlichen Neon-Arier besiegen. Wo geschieht dies? In und um eine verwesende, verlassene Wohnung herum. Das ist einer der schönsten Symboliken des Filmes: die Innovationen der Gentechnik werden durch die schwächliche Konstruktion eines Zuhauses nicht beschränkt. Nur auf der Ruine der Familie, des Heimes, kann der Mensch Herr seiner eigenen Evolution werden. Auf, hinaus, zu den Sternen.

Das Ende ist paradigmatisch für die cyberpunkige Perspektive. Die Zukunft ist silbern, sie ist elegant geformt wie ein kleines Einhorn: letztlich besteht sie aber nur aus Kaugummipapier und ist sehr leicht zu falten und zu zerknüllen.

9/07/2008

Apocalypse Now Redux, Francis Ford Coppola

The horror, the horror und kein Ende. Über dem Konsumerlebnis schwebt der allmächtige Herr Brando, dessen blanker Schädel eigentlich nur kurz vorm Finale durch den Halbschatten blitzt. Wahrscheinlich ist das die Essenz des Grauens: es geht dabei stets und unerbittlich um das Ende des Vorangegangenen.

ANR ist paradox. Es ist einerseits bilderstürmend im dumpfen politischen Sinn: Krieg ist schlecht, wir können im Kinosaal alle gemeinsam pazifistisch umhergrunzen und uns an unserem Kaffeetischhumanismus berauschen. Im Krieg sind alle Opfer, ja, genau, wie auch der Zuschauer der einige Stunden Ablenkung erkaufte und morgen wieder vor einem dämlichen Chef kuschen muss und beim Supermarkt in der Schlange ächzt.

Aber andererseits ist ANR auch grandios im Erschaffen eigenständiger Bilder. Coppola benutzt die Kamera auf orgiastische Art und Weise, der Dschungel ist grün aber auch viel mehr, die Menschen verschmelzen in erhabener Farbigkeit. Krieg ist Kunst. Napalm besitzt eine nervenzerfetzende Erotik. Der Tempel des Generals ist heiliger Grund.

ANR ist freilich auch ansonsten epochal und verdient seinen Ruhm durchaus. Seltsam nur, dass der Film in den Korpus der "traditionellen" Kriegsfilme eingegangen ist - sei es in Swoffords Jarhead oder anderen Erlebnisberichten von der Wüstenfront. Krieg hat auch mit Gewohnheit zu tun, oder? Aber wie?

The Simpsons, David Silverman

Ausgehend vom Konsum von Americana musste freilich sogleich das wahre Amerika im Film gesucht werden. Da bietet sich The Simpsons an. Wieder muss gesagt werden, dass die 3D-Ausflüge wunderbar ins eigentlich platte Springfield passen und dass das Konsumerlebnis freudig war. Was würde DeLillos David dazu sagen, dass bei diesem amerikanischen Amerika-Film niemand wirklich eine Kamera hielt?

9/03/2008

Americana, Don DeLillo

Die verwegene Begeisterung, die sich auf halber Strecke bereits einstellte, konnte bis zur letzten Seite nicht gehalten werden. Ist aber nicht schlimm, trotzdem beeindruckendes Ding.

Wie konnte einem das Debüt von Herrn D. entgehen? Wahrscheinlich lag es am Veröffentlichungsdatum: 1971 ist sehr lange her. Der Protagonist David erinnert bisher tatsächlich an einen erwachsen(er)en Holden Caulfield, der die Abgründe des Büro-Alltags ertragen muss. Dann macht er sich auf eine Reise in den Westen, so mythisch und abgeschmackt das auch sein mag. Hyperamerika, Pseudoamerika, Panamerika. Megamerika. Ist DeLillo Systemtheoretiker oder -analytiker? Die alte Frage.

Nachdem David die Stadt verlassen hat, erinnert er sich an Szenen seiner Kindheit und die Erfahrungen, die ihn zum Werber (der absonderlichste Beruf diesseits der Hölle) werden ließen. Dann geht es zurück in die Gegenwart. Eigentlich soll auf der Reise ein (Dokumentar-) Film über Indianer gedreht werden, doch stattdessen sammelt David Monologe.

DeLillos Sätze sind jetzt schon so geschliffen, dass man sich dran schneidet. Auch inhaltlich hat er einiges zu bieten: die Todesthematik wird bereits angerissen. Ganz klar formuliert er: nur der gewaltsame Tod lässt die Umgebung beben. Es ist das Ereignis, das zählt: der kritische Moment im umgebenden System. Hier kommt auch die epochale Wucht des Mediums Film zur Geltung: mit Kameras wird neuer Raum erschlossen, eine vollkommen neue Art der Realitätsaneignung (oder -verzerrung) eröffnet sich. Burt Lancaster wird auch lobend erwähnt. Das ist alles schön und gut und klug.

Aber insgesamt ist das Leseerlebnis durchaus zerfasert: die Szenen der Vergangenheit sind viele und auch mit den von Ironie getränkten Erzählungen von Davids Darstellern kann man einige Bücher füllen. Die Grundnarration der Reise verwebt sich mit der *Aufnahme* der Umgebung. Das System Amerika lässt sich nur in seinem Niederschlag im System David nachweisen. Der Roman ähnelt am Ende dem Film, den David dreht: eckig, einäugig, polaroidig. Ein einzelnes erhabenes Amerikabild bleibt DeLillo schuldig.

Tage des Zorns, Ole Christian Madsen

Dänemark! Auch hier gibt es Blockbuster, Tage des Zorns ist einer davon. Zeitgeschichte wird beleuchtet und tragische Helden werden gefeiert. Was fällt auf? totalitäre Unterdrückung hilft der Zurschaustellung von noir-esken Posen durchaus. Existentialismus und Bitterkeit bestimmen die graubraunen moralischen Fallstricke. (Ein zynischer Schelm ist dabei der, der da an den Neon-Noir von Hustons jüngstem Vampir-Klopper zurückdenkt.)

Tage des Zorns ist leider zu lang. Hier hätte man beherzter schneiden müssen - da es bei dem Werk keine wirklich schlechten Ideen und Szenen gibt, täte das freilich weh. Ein guter Film, aber durch seine Kommerzialität (he, das ist kein Vorwurf!) kleiner als sein dröhnender deutscher Titel und natürlich kleiner als die wahre Geschichte.

9/01/2008

Jurassic Park 3, Joe Johnston

Ächz.

Notizen zu einem Film mit solch einem Titel zu formulieren, ist sehr undankbar. Worum mag es wohl gehen? Anderthalb Stunden Dschungelhetze halt, inklusive böser Echsen und schwitzender Menschen. Mit neunzig Minuten Laufzeit ist das ein eher kurzweiliger Ausflug in die Welt des U, aber sei's drum. Nett ist's. Man muss sich ja auch mal als Familie unterhalten können. Kommt herbei, ihr Saurier, und füllt die intergenerationale Leere.

Und einen vierten Teil soll es auch noch geben. Man kann damit also immer noch Geld verdienen. Ächz, ächz.

Batman: The Dark Knight Returns, Frank Miller

Von 1986! Frank Miller macht die Dinge finster: er ent-ironisiert und re-noir-isiert ein Genre, dass auf die Bilder bunt kostümierter Charaktere basiert.

Dieser knight ist durchaus dark: Bruce Wayne ist alt und noch bitterer als zuvor. Er kehrt aus der Rente zurück und stellt sich den Mutanten, einer clockwork-orangesquen Gang (schelmische Leser mögen da an Marvel denken, die weit weniger düster mit ihren X-Men DC ordentlich eingeheizt haben).

Das Batmobil ist ein lindwurmartiger Panzer und hat mit Sicherheit das derbe Gerät auf der Leinwand verursacht. Überhaupt sind viele der Motive aus diesem Comic in den Filmumsetzungen aufgegriffen worden. Hier ist der neue Robin aber ein Mädchen: welcher Regisseur mag sich da wohl herantrauen?

Mr. Wayne stellt sich auch Mr. Kent. Ja, Mr. Wayne ist ein Selbstmordattentäter. Und somit sei vermerkt, dass bald ein neuer Miller-Batman erscheinen wird: darin wird Gotham City nicht von Mutanten, aber von Al-Qaeda bedroht.

Ja, Frank Miller und Bruce Wayne sind sehr spezielle Herren.

Half the Blood of Brooklyn, Charlie Huston

Joe Pitt schnoddert sich wieder durch Manhattan, und diesmal sogar aus Manhattan heraus. Wieder dankt Huston auf der ersten Seite Raymond Chandler und Bram Stoker. Das ist stolzer pulp, ein balladenfreies Schmuddelrockalbum in gewohnt harter, knapper und glorreich präziser Sprache.

HTBOB ist Teil drei der Reihe (Teil vier soll unterwegs sein) und der beste Vampirdetektiv der Ostküste bekommt es nicht nur mit Metallgebiss-Kleinwüchsigen auf Coney Island zu tun (Ah! Ein Mutant aus dem James-Bond-Katalog!), sondern auch mit einer traditionsreichen jüdischen Familie (deren Geschichte bis hin zur Schlacht von Gibeah und den damaligen Brutalitäten zurückreicht). Dann gibt es noch Tumore in nicht-vampifizierten Körpern und jede Menge spritzig-stumpfe Gewalt. Und die Thematik der Geschlechtsidentität und des chirurgischen genderbendings wird auch noch zum Thema. Toll, dass die mit dem "Vyrus" infizierten Körper so schnell heilen, so ungelenk zusammenwachsen und so klare Motivationen an den Besitzer des Körpers übertragen (Blut sammeln und behalten). Der Sonnenaufgang ist für Vampire wie immer schlimmer als nur ein Mordskater.

Joe Pitts dritter Streich ist wieder eine aparte Mischung aus Die Hard, Evil Dead und Sex and the City.

8/26/2008

Son of Rambow, Garth Jennings

Die Veröffentlichung der Notizen zu diesem Film zog sich arg. Warum? Weil der kleine Film Son of Rambow herzerwärmend gemein ist. Kindheit heißt gefangen sein im emotionalen Extremismus und die minderjährigen Darsteller spielen erschreckend überzeugend.

Ein wichtiges Werk zum Thema Fanboy und gewissermaßen eine Fortsetzung von Gondrys Be Kind Rewind mit einer anderen Art von Schrulligkeit.

8/24/2008

The Kingdom, Peter Berg

Ein knackiger Vorspann. Eine flinke Animation verdeutlicht den offiziellen historischen Zusammenhang von Öl und Geld und internationale Verflechtungen. Hurra! Das macht schon mal wach für den Film. Und richtig einschlafen geht dann auch nicht mehr: Bombe da, Betroffenheit hier, und die Darsteller machen ihre Sache gut. Mit Wackelkamera werden zeitgemäß Geröll und Splitter in Szene gesetzt. Jaja, ruinierter Naher Osten.

Der Film ist überraschend gradlinig: die Geschichtslektionen wurden in besagten Vorspann gut abgefrühstückt. Sinnvolle Entscheidung, das. Ein wenig unschön ist dann die pragmatische Auflösung des Plots. Ein Kinderspielzeug enttarnt die finsteren Absichten des Patriarchen. Das ist Bolzhammermetaphorik. Aber eben auch ökonomisch: die Kuh ist fix vom Eis und nach dem Film kann man noch ein Falafel essen.

Southland Tales, Richard Kelly

Was hat man sich hier gefreut im Graben. Nach Donnie Darko endlich noch mehr Absonderlichkeiten, diesmal ohne Suburbia aber mit einem durchgecyberten Kalifornien.

Es kann nicht daran gezweifelt werden, dass hier viel nachgedacht wurde und eine möglichst detaillierte Dystopie erschaffen werden sollte. Es wurde auch ordentlich investiert: der Zeppelin schaut gut aus, Justin Timberlake nervt schon wieder nicht und The Rock persifliert das Superstar-Dasein auch recht gekonnt. Jagut, Buffy wirkt als Pornostar und ego-marketing Vollprofi eher seltsam.

Beim Erzählen der Geschichte hakt es (teils mit Absicht, schließlich geht es um Dimensionsverschiebungen und dergleichen). Die haben da alle was zu tun aber als Zuschauer bleibt man unbeteiligt. Die letzte Viertelstunde schäumt, kann aber die Versäumnisse der vorangegangenen Spielzeit nicht wieder gutmachen. Gilliam oder Burton mach(t)en das besser.

Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, dass dieses Produkt einen Kult unter Fans verursachen wird. Schade, sehr schade. Vielleicht in Japan?

The Dark Knight, Christopher Nolan

Ja, es stimmt. Die guten Rezensionen sind alle wahr. (Ein) Film des Jahres. Vorgänger übertroffen. Der Erfolg ist gerechtfertigt. Diverse Sequels müssen folgen.

Ledgers Joker ist grandios in der Darstellung. Der Tod dieses Schauspielers ist ein gewaltiger Verlust - nicht nur, weil eine Fortsetzung mit ihm in dieser Rolle enorme Pracht verspräche. Ledgers Joker ist auch grandios in der Konzeption, die in den Comics bereits angelegt war und von diversen Autoren nach Belieben radikalisiert wurde. Batman hat eine Richtung, der Joker nicht. Der Clown ist das weiße Rauschen, ein Metastasenherd. Ihn gilt es wegzuschneiden - und Batman benutzt keine Messer. Die Rechtschaffenheit ist für ihn Krücke und Kreuz zugleich.

Der Kostümkult wird gleich zu Beginn des Filmes herrlich aufgegriffen: Fans, Nachahmer, Stalker machen die virulenten Qualitäten von Helden und Schurken deutlich. Sogar eine Aufarbeitung des Terrorismus kann man dem Film unterstellen: der Joker kann nicht ohne Gewalt verhört werden und Latexhandschuhe helfen gegen massenhafte Erpressung eher wenig. Two-Face ist in Genese und Wirkung sehr gut in den Plot eingebaut - seines Zeichens zeigt er das Zerbrechen an Dualismen wohl am plakativsten.

Von einem Superheldenfilm erwartet man derlei eigentlich nicht. The Dark Knight ist ein Fest.

Der Konsum von Frank Millers Comic von 1986 (der dröhnende re-boot der Marke Batman: "The Dark Knight Returns") ist bald abgeschlossen und wird hier vermerkt werden.

Outer Dark, Cormac McCarthy

Es ist vorbei - dies war der letzte McCarthy-Roman, der den Graben durchwanderte. Entstanden ist Outer Dark 1968, zwischen Orchard Keeper und Child of God.

Das Werk ist etwas gradliniger als das Debüt und weist die unverkennbare Aura des Gesamtwerkes auf. Es ist einer der feuchten Romane, keiner der ausgedörrten: bei Outer Dark werden Wälder durchwandert und dunstige Wiesen. Es gibt Flüsse (die man sich bei Blood Meridian und No Country for Old Men so gewünscht hat.

Bruder und Schwester durchwandern nach Geburt und Verlust ihres Kindes eine unwirtliche und absonderliche Landschaft. Ein Krämer, ein Rumpelstilzchen, hat das inzestoide Kind an sich genommen. Die Mutterschwester lernt diverse Haushalte kennen und sorgt sich um den Nachwuchs, der Vaterbruder wird verprügelt und zerknüllt. Drei Reiter fließen durch Geschichte und Land - und alte Erinnerungen an die Legende vom Wendigo werden wieder wach. Fleisch hat vielerlei Grenzen.

Die Finsternis, die äußere Dunkelheit, ist eine Vorhölle, ein Limbus ohne Koordinaten. Da denkt man an Niflheim (die späteren Romane des Autoren würden dann in Muspelheim stattfinden). Hier im Nebel wandern die herum, die nicht als Helden starben. Oder eben die unmögliche Familie dieser Geschichte.

Die absolute Finsternis schluckt die Einzelnen wie eine Flüssigkeit. Outer Dark ist eine beeindruckende Parabel aus Milch und Blut und wie jeder andere McCarthy-Roman packend und erhebend. Hier im Graben kam er sogar ein wenig besser an als The Orchard Keeper, aber nicht ganz so gut wie The Road.

Choke, Chuck Palahniuk

Wann würgt der Mensch? Wenn er genug hat oder zuviel? Ist das das gleiche? Aber nein! Vic, der Un-Held, macht sich in Restaurants zum Opfer. Er simuliert Erstickungsanfälle und produziert Helden, die ihn dann retten und füttern. Die Gastronomie ist Vics Theater und seine Werkstatt - es ist der Ort, der ihn ernährt. Der volle Hals füllt den Bauch.

Achja, außerdem ist Vic noch ein Leibeigener im 18. Jahrhundert. Und als professioneller Sexsüchtiger kommt er bei der entsprechenden Therapie nie über Phase vier hinaus. Außerdem geht es noch um Kidnapping, Steine und die nicht-existente amerikanische Pflegeversicherung. Wieder einmal hat Palahniuk einen Roman mit so vielen Ideen gefüllt, dass sogenannte "Spannungs-" Autoren nur beschämt auf weiße Blätter schauen können.

Von abnormer Wichtigkeit ist Elternschaft und ihre materielle Beschaffenheit. Mit diesem Roman nickt Palahniuk wieder in Richtung Identität und (familiäre) Vernetzung. Das Spiel um Abstammung und Lebenssinn hat der Autor Jahre später mit dem gigantischen Rant in tollkühne Höhen entführt.

Mit großer Freude erwartet man hier im Graben die Verfilmung von Chucks Choke - im Herbst wird sie unter einem anderen Etikett hier auftauchen.

8/21/2008

Elegy, Isabel Coixet

Coixet hat sich vor allem auf Körpersprache verlassen. Cruz und Kingsley zeigen überraschend viel Haut, aber zur Handlung passt das allemal. Auch Dennis Hopper zeigt herbe Körperlichkeit als Schlaganfallpatient.

Das zentrale Thema ist selbstredend die Liebe und die unterschiedlichen Definitionen von Nähe - besagte Haut ist ja nicht die einzige Barriere, die Schutz gegen die tosende Umwelt verspricht. Und manchmal kommen die Verletzungen, die der Beziehungsphobiker Kepesh so konsequent verhindern will, von allein und von innen: Consuela wird krank und bittet um eine Aufhebung der gezogenen zwischenmenschlichen Grenzen.

8/17/2008

Deadwood, Pete Dexter

Deadwood ist mehr als ein Western. Es ist gleichzeitig ein historischer Roman und fiktionalisiertes Sachbuch. Charlie Utter, Wild Bill Hickock und Calamity Jane treten auf, ab, und verwickeln sich und andere in allerlei Widrigkeiten.

Dass Dexter Thriller schreiben kann, ist seit Paris Trout bekannt. Hier in Deadwood geht er ähnlich sorgfältig mit seinen Figuren um und verheizt sie keinesfalls als bloße Duellisten und Skalpjäger (obwohl sie beiden Tätigkeiten freilich nachgehen). Einer historischen Verklärung macht er sich nicht schuldig. Die groteske Persönlichkeit von Martha "Calamity" Jane Cannary-Burke veranschaulicht er durch leise Drolligkeit.

Und derb ist es damals auch gewesen: enorm verdreckte Menschen rutschen zwischen einer riesigen Bordellkultur und improvisierten Badehäusern umher, Mexikanerköpfe werden gesucht und gefunden und für Chinesen werden Krematorien improvisiert. Zurückgebliebene "Weichköpfe" reichen Schwämme und sammeln Flaschen. Stumpfe Gewalt durchdringt Stadt und Land. Fast denkt man wieder an McCarthy, aber nur fast.

Als Illustration hier der Hatfield Clan 1897. Weder örtlich noch zeitlich hat diese Sippe etwas mit Deadwood als Ort oder Roman zu tun, doch bei der Lektüre spukte das Bild trotzdem hinter der Stirn herum. Erstens ist der kleine Junge rechts, der vor der unscharfen Zwergin steht, eine sehr eigentümliche Erscheinung - ernst, überbewaffnet und debil steht er da. Er scheint den Wilden Westen in Realität und Klischee darstellen zu wollen. Zweitens soll die historische Familienfehde durch ein genetisch bedingtes Phäochromozytom verursacht worden sein - einen Tumor, der womöglich Aggressivität und Brutalität verursacht. Das stimmt auch nachdenklich, denn anders kann man sich den ungeheuren Tatendrang der Hatfields und der Akteure von Deadwood nicht erklären. Ruhelos walzt sich die Welt voran, man schürft und schießt und hurt und schuftet und säuft bis man vom Schlamm verschluckt wird. Kurzum: der gemeinsame Nenner von diesem Bild und Deadwood als Fiktion und Dokumentation ist der prächtig schlammverkruste schopenhauersche Wille. Erbarmungslos, quasi.

Lullaby, Chuck Palahniuk

Worte, die töten. Nur weil CP hier einmal das Paranormale aus dem Zylinder kramt, macht er noch lange keinen Potter. Es geht um ein Lied zur Euthanasie - einen Reim, der Menschen sauber ausschaltet. Freilich kommt das lullaby aus Afrika, wo der Mensch eh viel näher am wuchtigen Tode existiert.

Carl untersucht plötzliche Kindstode. Muster ergeben sich. Er kommt den mörderischen Worten, die ihm die eigene Familie kosteten, auf die Spur. Er verbündet sich mit Helen, der es ebenso erging. Helen makelt Gruselhäuser. Zusammen mit zwei goth twens machen sie sich auf die Suche nach den tödlichen Texten - alle vier formen die wohl unwahrscheinlichste Familie, die je den Weltuntergang verhindern wollte.

Die tötenden Worte sind freilich virulent, denn sie befallen Gedächtnisse. Sobald der Reim in Carls Kopf ist, fallen ihn nervende Zeitgenossen um. Carl muss seine Wut kontrollieren. Lullaby ist eine frevelhaft-treffende Arbeit über die Überinformationskultur der Gegenwart und die fortwährende Berieselung mit inhaltlichem und akustischem Müll. Nur taubstumme Nachbarn ohne Möbel, Gliedmaßen und Besuch sind gute Nachbarn - Carl hat so recht. Dauerhafter Radiokonsum ist Zeichen hochgradiger Kulturdemenz (oder dessen Ursache?).

Das Totenlied und das Grimoire, das schließlich gefunden wird, sind hochinteressante Pistolen in der Wand. Carl ist bald im Superheldendrama gefangen: wie kann man verantwortlich mit all der Macht umgehen? Was nutzt "Du sollst nicht töten" wenn andere Menschen das anders sehen? Da kann man die Nekrophilen ja fast schon in Schutz nehmen.

8/12/2008

The Mummy: Tomb of the Dragon Emperor, Rob Cohen

Mumien sind von allen Standard-Monstern eigentlich die langweiligsten. Sie sind aristokratische Proto-Zombies. Gewesen! Der erste Teil der neuerlichen Mumienlärm-Trilogie hat die verrotteten inzestoiden Grabschrate in ein Action-Kostüm gesteckt und familienfreundlichst erfolgreich gemacht. Teil drei reitet nun weiter auf dem Konzept herum. Mit Bestürzung muss bei all dem Gehetze die Ideenlosigkeit der Macher festgestellt werden. Die laut-weiße Rüpel-Familie holpert unarchäologisch durch ausländische Armut und freut sich dabei. Die dünne Hintergrundgeschichte ist bemüht und basiert (und passt) auf Postkarten. Der Zuschauer wird konsequent unterfordert. Und die Yetis sehen auch unecht aus.

Bei Dungeons & Dragons ist ein Leichnam ähnlich langweilig-übermächtig wie Jet Li als Drachenkaiser. (Reguläre "Mumien" sind dort etwas weniger mächtig und bringen weniger xp points. Die Film-Mumie ist ein D&D-Leichnam. Echte Verwirrung für den Nekro-Fan von nebenan.) Man weiss nie, wieviele Feuerbälle der noch im Ärmel hat und ob ein Plusdrei-Schwert überhaupt nützt. Irgendwann wird das wirklich, wirklich öde - trotz all der Explosionen und der simulierten Weltkriegsschlachten.

Indy bleibt die Ikone des Genres. Er ist sympathischer und seine Welt ist mit mehr Tiefe ausgestattet. Indy kann alles besser, auch das mit dem Generationswechsel.

Batman Begins, Christopher Nolan

Hausaufgaben! Denn man muss ja wissen, wo man steht wenn demnächst The Dark Knight herbeireitet und den Konsumenten zu Logen-Karten überredet.

Bezüglich des leicht populär-morbiden Unterklangs des angedachten Konsums von The Dark Knight wurde bereits diese Aushebung im Konsumgraben vorgenommen.

Bezüglich solcher Details wie Inhalt und Referenzen oder sonstigen Assoziationen siehe den hiesigen Konsumvermerk des Werkes vor etwa genau einem Jahr.

Diese Welt ist die beste der besten aller Welten, denn in einer schlechteren Welt wären sowohl Batman als auch der Silver Surfer vom gleichen Comic-Produzenten und man könnte sich nicht entscheiden, wer denn nun besser ist. Doch man kann zum Glück ungebremst sagen: Batman ist das beste, was DC je zustande brachte und der Surfer ist die Krone der Marvel-Schöpfungsgeschichte. Puh, so ein Glück.

8/07/2008

Diary, Chuck Palahniuk

Ein Thriller in der zweiten Person Singular: Misty schreibt für ihren mysteriös-komatösen Ehemann ein Tagebuch. So kann sie ihn auch immer gleich beschimpfen, wenn ihr die Details seiner Umtriebe klar werden.

Ein Wirtschaftskrimi mit verblüffenden Einblicken in die hässliche Fratze des Tourismus: auf Waytonsea Island sind die Neureichen eingefallen und die Ureinwohner knechten als Kellner und Kassierer. Misty soll sie alle retten, indem sie als berühmte Künstlerin für Reichtum und Wohlstand und die Vertreibung der Festländer sorgt.

Eine Re-Evaluierung bekannter Themen der Schauerliteratur: zugemauerte Räume sind zu finden, geheime Botschaften und die versteckte Wucht der Sippe und der Tradition. Misty, die pummelige Putzfrau, wird von einem Geist besessen, der alle interessiert und spuckt wie von Sinnen Kunst aus sich heraus. Diese Kunst ist aus Schmerz geboren, uh, auf jeden Fall.

Oder doch nicht? CP schrieb kaum stärker über das Schreiben selbst und besonders an der Idee des Tagebuchs lässt er einige knorrige Fragen bezüglich Authenzität und Wahrhaftigkeit im Raume stehen. Er ist in diesem Roman weniger plakativ als sonst und es steht ihm gut.

Und wieder tauchen Ramsch-Juwelen auf, wie auch in vielen anderen seiner Bücher. Was soll man davon halten? Vermutlich die Erkenntnis, dass auch Ramponiertes noch ordentlich funkeln kann. Danke.

8/06/2008

Kung Fu Panda, Mark Osborne & John Stevenson

Bunt, wie erwartet. Anhand der Tiersymboliken bleibt zu vermerken, dass man sich noch nicht von Disneys Kreaturenmanagment gelöst hat, wohl aber teilweisen Mut bewies: einer der Kung-Fu-Kämpfer ist ein Insekt. Bestürzend.

Der Panda passt gut als Held, denn als monochromes Tier fällt er freilich in der zuckrig-rund-prächtigen Pixelwelt auf.

Nochmal Disney: NASHÖRNER IN UNIFORM!! Die bewachen im Kettenhemd den Oberschurken. Da denkt man freilich gleich an Robin Hood zurück, als der Fuchs für die Füchsin den mähnenlosen Löwen bekämpfte und der dicke Bär mit dicker Stimme sprach. Wann kommt endlich mal ein Nashorn als alleiniger Oberheld? Sind Nashörner militaristische Rudelschläger? In der Savanne sieht das doch eigentlich ganz anders aus.

Los, und jetzt gehen wir alle "panda sneeze" bei Youtube suchen.

The Sluts, Dennis Cooper

Derb? Verstörend? Noch mehr beklemmende Brutalität?

Ja, schon, aber noch mehr ist zu vermerken: The Sluts kommt ohne Autoren aus - er besteht "nur" aus den Beiträgen der Nutzer einer Internetseite. Jene Seite hat den Zweck, (männliche) Prostituierte zu bewerten und sich in Foren über die Qualitäten der Dienstleister auszutauschen beziehungsweise neue Geschäftsverbindungen zu knüpfen.

Ah, Subkulturtourismus, mag man denken. Doch weit gefehlt: schnell wird über die Beiträge der Nutzer eine Geschichte erzählt, und zwar die vom grazil-debilen Brad und Brian, dem Monster. Ersterer ist das minderjährige Opfer von letzterem ultra-brutalen Zuhälter. Doch so einfach sind die Dinge nicht, denn hier schreibt nicht Dennis Cooper sondern Dutzende von Zivilisten bauen kollektiv an einem großen Geschichten-Gebilde. Dieser Pulk ist auch in unklare Fehden verstrickt und teils werden Identitäten getürkt und angezweifelt. So kann sich Cooper inhaltlich einiges trauen. Einer der Schreiber beschreibt in ernüchternder Klarheit die Macht, die seine HIV-Infektion ihm gibt: anstatt das Leben in Frauen zu pflanzen kann er den Tod in Männer pflanzen. Und das mag er. Er hat einen demographischen Effekt und fühlt sich dadurch super. Meint er das ernst? Stimmt der Name unter diesem posting? Und will er Brad später wirklich für ein finales Snuff-Video mieten?

Obacht, drollige Metapher: bei der Lektüre wiegen die virtuellen Stimmen im Chor hin und her wie eine Wiese voller Gestrüpp mit undurchsichtigem Bodenbewuchs. Mal glaubt man jenem, dann diesem Sprecher: wie bei handfester Kriminalliteratur bleibt die Konstruktion der vermuteten Wahrheit in ihrer Prozesshaftigkeit gefangen.

The Sluts zwingt den Leser, über die Definition und den Umfang von Prostitution nachzudenken, und das keinesfalls im preiswert-pornographischen Sinn. Was tun Menschen für wen? Welchen Sinn hat es für die Lügner auf der Internetseite, Unwahres zu verbreiten? Wollen sie nur Aufmerksamkeit? Ist das alles nur Lärm? Und wenn ja, warum verbreitet man den? Ist Dennis Cooper selbst hier Dienstleister oder Käufer und was ist dann der Leser? (Es gibt einige umgangssprachliche Verwendungen des Wortes "to fuck" um diese Machtrelationen zu umschreiben.) Ist die Lüge an sich eher Ausnahme oder Standard in der Welt hinter Monitoren?

Ein großes kleines Buch. Wer sich an infernalischen Beschreibungen nicht weiter stört und (mal wieder) Bret Easton Ellis' Werke schafft und mag, dem sei dieser kleine Kommentar zur schönen neuen Informationsgesellschaft arg ans Herzlein gelegt.

Hier gehts zur (echten?) www-Präsenz des Autoren.

8/04/2008

eXistenZ, David Cronenberg

Viel wurde erwartet und nun endlich vollzog sich der Konsum von Cronenbergs eXistenZ. Filme über Computerspiele sind meistens verstörend, da Regisseure natürlich neidisch sind auf das viele Geld, das Spieleentwickler verdienen. Aber soviel Missgunst will man Cronenberg freilich nicht unterstellen.

Die ästhetische Verbindung von Technik und Fleisch ist herrlich - ein wenig erinnert das ganze an die Kälte von Gigers Alien, aber nur ganz ein wenig. Der Einfall, eine Knochenpistole Zähne schießen zu lassen gehört gefeiert und gepriesen. Auch die Cyberdecks, die welpenhafte Hautknuddeligkeit simulieren sind gelungen, ebenso wie die Nabelschnüre. Cronenberg schafft aber keine coole Actionwelt. Er wagt es, unbequem zu sein und fast schon mit kalter (nicht cooler) Wut die dumpfe Technikbegeisterung zu attackieren. Er ist ein Konservativer: er bricht das Geschehen auf Leben und Tod herunter und ergeht sich darin.

Bitte, bitte, jemand soll Herrn Cronenberg mal ein riesiges Budget und ein Jährchen Zeit geben. Das Ergebnis wird bestimmt schauderlich-schön-klug. Alle Macht geht vom Fleische aus.

Kiss Me, Stupid, Billy Wilder

Das ist ein überraschend frivoler Film. Eigentlich will der notorisch eifersüchtige Protagonist nur den schmalzigen Dino (jawohl: Dean Martin) zum Kaufen seines Liedguts überreden. Doch dann kommt ein situationskomischer Schwank zu Stande, in dem Ehefrauen vorgetäuscht und vermietet werden und sich anrüchige Handelsstrukturen anbahnen.

Aber zum Schluss kommt freilich die moralische Wende, oder? Nein! Die drollig-dralle Ehefrau Zelda nimmt den Rollentausch mit der Prostituierten Polly notgedrungen an und äußert sich danach keineswegs als geschändetes Opfer. Sie sinniert quasi über Männer und Frauen im Allgemeinen. Skandal!

Beeindruckend auch Pistolen-Polly, dargestellt von Kim Novak. Sie ist keineswegs ein Opfer sondern hat den ökonomischen Wert ihres Körpers durchaus verstanden. Sie slackt allzu menschlich durch den Tag und trauert dem Nicht-Erreichen des klassischen Frauenbildes nicht hinterher. Im Trailer wohnt sie, mit einem Papagei - die Karikatur eines bodenständigen Heimchens mit Schürze und Muffins. Am Ende entkommt Polly, und Zelda kehrt wissend und ausgenüchtert zu ihrem Gatten zurück. Was für unzüchtige, sympathische Frauen.

The X-Files: I Want to Believe, Chris Carter

Da hat man keine Wahl.

Die X-Akten sind eine der prägendsten Serien der 1990er gewesen und stellten eine Mystery-Auffangstation für alle möglichen Gruselstrukturen dar. Schon allein die Folge mit dem Rolltreppenmörder beeindruckte die Schulhofgemeinschaft damals nachhaltig (und der winterschlafende Leberfresser wird auch noch gut erinnert). Mit Mulder und Scully hatte man ein äußerst praktisches Ermittler-Duo an der Hand: er der diplomierte Nerd, der sich durch eine Vorliebe für erhabene Antworten auf grausige Fragen zum Sonderling macht (trotzdem darf er eine Marke und eine Waffe haben) und sie der eisige Verstandesvollprofi. Ja, bei Dana Scully war immer ein wenig Echo von Clarice Starling zu vernehmen. Er durfte in die Psyche gehen und Geschichten erzählen, sie durfte den fleischlichen Thrill eiskalt medizinisch-faktisch beschleunigen. Dieses Konzept musste im weiteren Verlauf der Serie freilich aufgeweicht werden, zumal irgendwann auch ganz andere Schauspieler den Kahn übernahmen. Es gab zwei Arten von Folgen: zum einen jene, welche die Alien-Verschwörungs-Saga vorantrieben und zum anderen einmalige Schocker.

Achso, der Film. In diesem konkreten Produkt des X-Franchise wird die un-außerirdische Seite betont, es mordet jemand und seine splatterigen Gründe sind aufzudecken. Eine schöne Doppelfolge mit mehr Außenaufnahmen ist entstanden, aber das ist sehr in Ordnung. Es wäre schade, wenn dies der letzte Film der Reihe gewesen sein soll. Na los, Star Trek wird demnächst auch noch eine Chance gegeben.

Die allerletzte Einstellung ist trotz der karibischen Stimmung aber doch fast noch bewegender als das zuvor gesehene Drama.

7/29/2008

Sieben Tage, Jonny Glynn

Schon wieder ein Mörder, diesmal schizophren und englisch. Eklig wird es da auch recht oft (Stampfgemüse, Amputationen, Menschenhass, Stuhlgang), aber nach Hogg ist das alles eher zahm. Sorry, Jonny. Interessant ist die Oszillation der Erzähler: der Mörder und der Verzweifelte wechseln sich ab. Darum und wegen des kompakten Zeitplans (eben genau eine Woche) stellt sich ein flinker Konsumprozess ein.

Die Nutzung des Themas Terrorismus gefällt und fügt sich gut in die Geschichte ein. Allerdings muss gesagt werden, dass der übermächtige B. E. Ellis und sogar Michel Houellebecq die absurde zivile Existenz in dieser Epoche besser umschreiben. War das nur eine nachträglich hineingeschriebene Anspielung, weil Terror so en vogue ist, Mr. Glynn? Man weiß es nicht.

Ansonsten gut, mörderisch und schnell, das Teil. Irgendwie erinnert dieses Debüt an Tim Staffels Terrordrom, nicht nur wegen des Titels. Dessen Konsum ist aber viel zu lange her.

7/27/2008

Invisible Monsters, Chuck Palahniuk

Bang-Bang statt Gang-Bang, und das auch noch zum zweiten Mal. Die Heldin ist hier ein Model, doch sie hat nur noch die obere Reihe ihrer Zähne: ein Gewehrschuss verteilte ihren Unterkiefer im Inneren eines Wagens. Dann wurden die Fragmente von Vögeln aufgepickt. "Birds ate my face," sagt sie. Lady Jawless ist auf einer Mission, die zu großen Teilen auf Rache basiert und mit Verwirrungen garniert ist.

CP wäre nicht CP, wenn dies seine einzige seltsame Idee für diesen Roman wäre. Es geht außerdem noch um das Reisen, den Aufbau und den Fall diverser Kreuzzüge, es gibt AIDS, es gibt Transvestiten, es gibt die Schauerlichkeit des Badezimmers an sich, es gibt Medikamentenge- und -mißbrauch. Es gibt viel zu lachen, aber immer nur kurz. Wer ist unsichtbar, wer ist das Monster? Das lässt sich im Zeitalter der body modification nicht mehr wirklich sagen.

In diesem Roman entwirft CP außerdem wahrscheinlich die unangenehmsten Eltern-Figuren seiner Welt. Geschwindigkeit ist dabei ein Thema: es bleibt die Erkenntnis, daß niemand den entstellenden Narben entkommen kann, die daheim entstanden sind.

Hogg, Samuel R. Delany

Delany soll als engagierter Literat mit seinen Arbeiten die Grenzen von Sci-Fi ausloten, so liest man. Auf Bildern wirkt er wie die hawaiianische Version des Weihnachtsmanns. Bei der Lektüre von Hogg denkt man da aber weniger dran: es handelt sich um einen brutalen Roman, ein erschütterndes und geradezu schmerzhaftes Stück Text welches den Leser angeekelt, entnervt und fragend in die Leere entlässt. Das hat nichts, aber auch gar nichts mit Sci-Fi-Opera-Gemütlichkeit à la Hyperion zu tun.

Zur Sache, Schätzchen: ein blonder Junge, der Erzähler, wird von einigen widerwärtigen männlichen Subjekten als Sexsklave missbraucht, erniedrigt, verkauft, verprügelt und sonstwie besudelt. Hogg ist dabei der Schlimmste und eine Inkarnation der Ekelhaftigkeit sondergleichen. Als er einen Schuh verliert, wird die Ähnlichkeit zum Pferdefüßigen besonders deutlich. Geld wird durch Vergewaltigung verdient, und man ergeht sich in etlichen Formen der Paraphilie.

Zermürbend ist die Farbe der Hautfarbe. Bei aller Zügel- und Wahllosigkeit bleibt sie für die Charaktere ein Thema. Alle haben diversen Verkehr miteinander, aber die Frage nach dem Genom bleibt für alle relevant.

Nicht weniger erschreckend ist die Bereitwilligkeit des Protagonisten. Er wird nicht gekidnappt, er ist freiwillig bei Hogg und vermisst ihn sogar. Er zeigt weder Anzeichen eines Stockholm-Syndroms noch einer ironischen Schilderung der Dinge. Er findet es gut, da unten auf den Knien. Bezeichnenderweise bleibt er bis auf die letzte Zeile stumm: das eine Wort, das er schließlich äußert, ist für einen Roman wie Hogg *das* Schlusswort schlechthin.

Man könnte eine kulturgeschichtliche Einordnung des Romans versuchen. Er entstand gegen Ende der 1960er, also nach JFK's Tod und vor Deep Throat. Hogg könnte als weitere Attacke auf die Hautfarbe Weiß verstanden werden, ein versteckt-wütendes Zu-Ende-Denken von Anarchie. Vielleicht ist Hogg eine Meditation über veränderte Körperbildlichkeit in einer umstürzenden Gesellschaft. Der naive Ungeduldige aus der letzten Reihe ruft jetzt "Aber was hat das denn mit diesem Schund zu tun?" und hat nichts verstanden, den Schund ist längst überall.

An einer Stelle wird Hogg deutlich und bemerkt, dass alles, was er anstellt, "von Herzen" und bewusst getan (verbrochen) wird. Dies sei etwas ganz anderes als in Japan eine Bombe fallen zu lassen. Somit führt er die (letztlich schmerzhafte) Kümmerlichkeit einfacher Lebensethiken ganz gut vor.

Als Referenzen können Clockwork Orange und freilich Story of the Eye herhalten (bei Hogg wird allerdings noch mehr uriniert als bei letzterem). Außerdem wäre der furchbare Herr Pasolini zu nennen. Es muss allerdings auch vermerkt werden, dass ekelhafte Dinge (wiki nennt dazu den Hype um 2 girls 1 cup) seltsam oft auf vielseitiges Interesse stoßen. Nur gibt es bei Hogg keinerlei humoristisches Element, welches den Abstand zu dem Grauen gewährleistet.

Also kommt jetzt Dhalgren auf die Liste. Delanys gepriesenes SciFi-Werk, etwa zur gleichen Zeit wie Hogg entstanden.

Get Smart, Peter Segal

Whoa, "Action-Komödie" - was für eine Drohung. Zum Konsum überhaupt überredete dann Steve Carell, weil er bei der 40jährigen Jungfrau so überzeugte. Insgesamt kann von Reue keine Rede sein.

Der ganze Agentenquatsch ist freilich sehr leicht zu persiflieren. Get Smart schafft dies, muss dafür aber nicht gelobt werden. Was erfreut, sind die Dialoge, die nicht auf Pointen aufbauen sondern die drollige Schädeligkeit der Charaktere herausstellen. Höhepunkte sind die Probleme mit der Mini-Armbrust im Flugzeug und die Bemerkung bezüglich einer auf Fäkalien surfenden Ratte. Humor wächst mit seinen Aufgaben. Und der Mini-Auftritt von Bill Murray tut da freilich sein übriges. Glück gehabt, Mr. Segal.

7/21/2008

Slither, James Gunn

Tentakel herrschen. Das tun sie seit je her, doch nur in diesem Film wird dem Tentakel an sich endlich ordentlich gehuldigt.

Freilich gehts um extraterristrischen Schleim und Infektion und den allgemeinen und den speziellen Hunger auf Fleisch. Ganz toll die fetten Amerikanerinnen: die eine explodiert, die andere singt Karaoke. Eine Schau sondergleichen. Nach dem Konsum von Slither fühlt man sich besser, wenn auch nicht hungriger. So soll es sein.

Ein hinreißender Film ist das, mit spürbarer Spielfreude dargeboten und professional arrangiert. James Gunns Buch vom Spielzeugsammler wurde bereits konsumiert und der Herr scheint ein wunderbarer Kulturschaffender zu sein.

Crank, Mark Neveldine & Brian Taylor

Hell yes, wie direkt. Endlich hat sich mal jemand sinnvoll dem Muster und dem Vermächtnis von Computerspielen angenommen: Ego-Shooter sind eben doch nicht nur Krücken zum besseren Erleben eines Actionfilms, sondern etwas eigenes. Dabei ist Crank keineswegs die Umsetzung eines Spiel-Franchise: dieser Film hat die Prinzipien des hektischen Zockens verstanden und sie ohne parentale Ironie umgesetzt Gemeinsamer Nenner ist "Noir auf Amphetaminen", vielleicht.

Wir haben doch keine Zeit. Bei diversen Spielen wendet sich die zu steuernde Figur bei Untätigkeit gern mal fragend an den Verantwortlichen: Stillstand ist nicht der Sinn. Hat Mario das nicht gemacht? Sonic? Rick Dangerous? Bei Egoshootern wurde dann immer nervös die Waffe gecheckt. War das nicht so?

Statham kann für die uneitle (weil herrlich dumpfe) Rolle durchaus gelobt werden. Und weil es so schön war: das Sequel lauert bereits.

Duell, Stephen Spielberg

Das Debüt von Herrn S. wirkt gar nicht wie eins. Sehr mutig ließ sich der junge Regisseur auf eine archaisch-simple Geschichte ein und unterließ angekünsteltes Gefrickel.

Warum ist das Duell auf der Landstraße so gruselig? Weil solche Selbstverständlichkeiten wie Verkehrsregeln und das Miteinander der Reisenden als zerbrechliche Riten enttarnt werden - und weil der Fahrer des monströsen Trucks bis zum Schluss anonym bleibt. Die Straße ist die letzte große Grenze, scheint es: in diesem Grenzgebiet muss aufgerüstet werden (und wird des auch). Heil dem Wagen.

7/18/2008

Snuff, Chuck Palahniuk

Go, Cassie, go!

Endlich Gang-Bang. Ein berüchtigter amerikanischer Autor nimmt sich einer der plakativsten Begrifflichkeiten der Konsumkultur an und schreibt fixe 200 Seiten dazu. Freilich ist das ganze kein Porno: es ist ein Roman, bei dem es unter anderem um Pornographie und die sie bedienende Industrie geht. Das ist nicht das gleiche.

Cassie Wright, ihres Zeichens der Star von Werken wie World Whore One und Two, will sich mit einer finalen Ultra-Orgie ein Denkmal setzen. Die Geschichte wird von drei Männern erzählt, die neben 597 anderen Herren darauf waren, durch schnelle Penetration Nähe und Ruhm zu erleben. Außerdem kommt Cassies Assistentin zu Wort, die mit Latexhandschuhen und Klemmbrett die Abfertigung der Massen koordiniert. Sehr schnell laufen die Handlungsstränge zusammen und in einem kleinen Zeitfenster entscheidet und enthüllt sich einiges (noch mehr). Der Gang-Bang endet erwartungsgemäß im Big Bang, aber anders.

Es muss bemerkt werden, dass Doubleday Publishing das Marketing ernst nimmt und ein Exklusiv-Interview von Cassie durch Chuck online stellte. Sie sieht besser aus als ausgedacht. Hier ist der erste von drei Teilen:



Und hier der Link.

Insgesamt passt das Werk vortrefflich in das bisher vorhandene beachtliche Gesamtwerk von Mr. Palahniuk. Das Elternmotiv erinnert an Rant, die befremdlichen Körperwelten an Invisible Monsters. Neu ist die rigorose Anwendung der Maximen des Kammerspiels: die Welt wird zum Wartezimmer, zum Wegpunkt für diverse Biographien.

Mehr, mehr, mehr. Go, Chuck, go!