7/16/2009

Der Baum der Erkenntnis. Die biologischen Wurzeln des menschlichen Erkennens, H. R. Maturana & F. J. Varela

Eine empfehlenswerte griffige Abhandlung über das Leben, das Erkennen und das Unterstellen von ersterem. Hier zu kaufen.

Die Herren Wissenschaftler haben eine angenehm sachliche Schreibe. Einige schöne Bilder und Grafiken vereinfachen das Verständnis enorm (das tollste Bild ist der Affe, der einer Katze die Maus wegnimmt).

Vom Baum der Erkenntnis kann man fix in Begrifflichkeiten wie Ewige Wiederkehr, Rhizome und Konstruktionsprozess der Wirklichkeit springen - belassen wir es an dieser Stelle mit dem Terminus, der als Hauptgrund für den Konsum des Buches herhielt, nämlich dem der Autopoiese. Maturala und Varela machen klar, dass Organismen und sonstige Entitäten (vom Pantoffeltier bis zum Regenwald) in der Zeit existieren und ihre eigene Struktur solange erhalten, wie sie es können. Dabei nehmen sie die Welt nicht passiv wahr und sind ihre "Opfer", nein, sie nutzen ihre Sensorik, um einen für sie relevanten Realitätsausschnitt zu erzeugen. Erkennen ist eine Aktivität. Jeder Beobachter (also auch der Leser jener Zeilen) muss sich seiner Position bewusst sein: eine endliche, unabhängige und objektiv wahre Welt ist eine schöne Illusion. Zwischen sich selbst erhaltenden Entitäten können strukturelle Kopplungen entstehen, die darf man dann Symbiose nennen. Oder Ursprung komplexen Lebens.

Ein sehr lesbares, erhellendes Buch, das einmal eine große Runde macht: von der Geologie zur Genetik, von der Sprache zum Bewusstsein und (vor allem) wieder zurück.

7/15/2009

Der Ekel, Jean-Paul Sartre

Wer sich für den ganzen literaturwissenschaftlichen Kram interessiert, darf hier klicken und bekommt griffige Oberflächlichkeit mit anzweifelbarem Schlusswort.

Denn so verhält es sich ja mit grimmigen Klassikern, oder? Woran erkennt man eigentlich einen grimmigen Klassiker? Ganz einfach: dass er nie direkt verfilmt wird aber eben doch ein Hauptbestandteil aus dem mainstream nicht mehr wegzudenken ist. Beim Ekel wäre das die Verzweiflung.

Eigentlich sollte der Ekel Melancholie heißen. Warum die Umbenennung? Wahrscheinlich weil Ekel ein griffigeres Gefühl ist. Beim bösen M-Wort denkt man an seufzende Weiber auf Balkonen und impotente Männer vor dem Medizinschrank. Ekel ist da anders: hier ist ein Reiz, der durchs Gedärm geht, etwas, das ein Ereignis verursachen kann - das kann dann ekstatisches Erbrechen, Suizid und/oder Genozid sein (und somit eine Schau).

Und wie gestaltet sich der Konsum des Ekels (welch vokabulär interessanter Satz! Ursache und Effekt als Gegenstand einer Prozesslichkeit... exorbitanter Schwafelfaktor!)? Dünnflüssig und eher seicht. Da gibt es einen Protagonisten und der liest und schreibt den lieben langen Tag und er haust in einer bedeutungslosen Stadt, umgeben von bedeutungslosen Menschen. Sein Leben ist so uninteressant, dass einen der Hype um das Buch (seine "Klassiker"-Aura) weiter vorantreibt. Belohnung sind Sätze, die enorm schlicht und wahr erscheinen, dabei keineswegs die Erbauung des Leser beabsichtigen und wahrscheinlich nur zwischen zwei Weltkriegen geschrieben werden konnten. Historisch ist der Ekel nah an der angloamerikanischen Noir-Tradition und man könnte hier einige Bezüge herstellen. Einer gegen alle. Einer unter/über allen. Das All in dem Einem. Alles in einem.

Ein kleiner Tipp: Camus ist zwar auch Franzose, aber er kann etwas besser schreiben als der hauptberuflich als Philosoph tätige Sartre. Und wer meint, dass ein kleines Hobbyblog aus Germanien hier die Wucht, den Nachhall und das gegenwärtige Wiedererstarken des Existenzialismus umreißt, der hat sich noch nicht genug geekelt.

Matrix, Wachowski Bros.

Der erste Teil wurde diesmal nach Reloaded und Revolutions geschaut. Warum? Weil sich ein Verdacht bestätigen musste.

Dieser Verdacht ist nicht sehr originell und bestand darin, dass der Originalfilm viel mehr Strahlkraft hat als seine Fortsetzungen Reloaded und Revolutions. Das hat der Konsum sehr leicht bestätigt. Mit Wohlwollen erinnert sich der Gräber an die Zeit zurück, als das Produkt für das Kino beworben wurde und auch URLs dabei eine tragende Rolle spielten. Und als Morpheus dann den VR-Kram erläuterte wusste man, dass der mainstream einmal mehr ein bekanntes Motiv eskapistischer Unterhaltung erobert hat. Noch dazu kann jeder verlauste Lebenskunde-Schüler mit der ollen Matrix seine graupeligen Lehrer beglücken. Wir busten die blocks mit einem empiristischen Cerealien-Gericht und Zeitlupe.

Ein wichtiges Produkt, welches in vielerlei Hinsicht Folgeprodukte inspirierte. Titanic hat das nicht geschafft, oder?

The Haunting in Connecticut, Peter Cornwell

Ektoplasma?

Auf germanisch ganz stur "Das Haus der Dämonen" genannt. Gähn.

Es ist seltsam mit den Menschen: sie lachen nur, wenn sie in entsprechender Stimmung sind, wenn sie quasi die Beine spreizen und die Penetration durch die Rhetorik zulassen. Aber beim Erschrecken ist das nicht so: wenn ein "Buh!" richtig sitzt, zuckt auch der verkrampfteste Zuschauer noch zusammen. Gerade im Kino, wo sonst ja eh wenig Reize aufs Gehirn trommeln.

Cornwell versteht das wie auch die Trilliarden Gruselregisseure vor ihm: zeitgemäß setzt er Schatten und aufrüttelnde Akustik ein, um die finstere Geschichte zu erzählen. Wieder gilt es, eine Geschichte innerhalb der Rahmenhandlung zu entschlüsseln und das kathartische Finale darf wie immer erst eintreten, wenn Gegenwart und Vergangenheit gleichförmig aufgelöst werden.

Eines der klassischen Themen des Horrors ist die Familie und ihr etwaiges Ende. Es sind die schmerzhaften Risse in dieser kleinsten vom Staat weiterhin geheiligten sozialen Einheit, die in Gruselschinken wie The Haunting ihren Ausdruck finden. Am einleuchtendsten ist das kranke Kind, also die Investition in die Zukunft, die sich für die Eltern als (wahlweise körperlich oder auch seelisch) fehlerhaft erweist. Man denke nur an den Exorzisten mit dem verstörenden weil unhygienischen Töchterlein. Auch The Haunting nähert sich den bekannten, wenig hinterfragten Standards des Familienlebens nicht auf innovative Art und Weise. Der interne Druck wird aber verstärkt, da der kranke Matt, der Fokus der "bösen" Mächte, ein Teenager ist, der sich eigentlich eh gegen Mutter und Vater auflehnen sollte. Mehrfach wirft er dem jüngeren und auch noch blonden Bruder böse Blicke zu, denn dieser könnte die Rolle des Kronprinzen bald übernehmen. Leider fehlt dem Film die Zeit, um mit diesem Konflikt noch etwas mehr zu spielen.

Ein schöner Film, der sich des großen Themas Familie|Haus|Knotenpunkt auf klassische Art und Weise annähert. House of Leaves geht da freilich "tiefer", aber das ist ja auch ein Buch und eh viel cooler.

jPod, Douglas Coupland

Von wegen OneHitWonder. Coupland bezaubert erneut, indem er aus Autismus, Sportschuhen, virtuellen Schildkröten und Heroin einen süffigen Cocktail braut.

Für eine detaillierte Inhaltsangabe sei die entsprechende wiki-Seite empfohlen.

Warum gefällt das? Weil es schnell ist. Beim fixen Durchblättern fallen zunächst die typographischen Experimente auf und man fragt sich, ob Coupland mit übergroßen Lettern oder sonstwie gestalteten Textkonvoluten nur Seiten verbrauchen will, um auf ein verkaufsoptimierendes Taschenbuchformat zu kommen. Doch nein! Die kleinen Ausflüge ins Plakative sind mit Bedacht platziert und machen somit Sinn. Freilich kann sich ein dumpf-satter westlicher Konsumgräber keine chinesischen Schriftzeichen merken - es ist aber schön, sie an situativ angemessener Stelle vorzufinden.

Coupland baut einen kleine Ellis: wie letzterer im Lunar Park spielt ersterer mit sich selbst als Charakter in der Geschichte. Das macht er auf drollige Art und Weise: "Coupland? Oh I hate that hyped writer!"

Gut so. Mehr, danke.