11/22/2013

The Pervert's Guide to Cinema, Sophie Fiennes

Hier und hier. Dieser Klassiker der Filmtheoriedokus (ist das ein Genre?) macht Laune auf Kino denn er nimmt sich diverser Klassiker an und erfährt durch den unglaublichen Zizek eine frische Kontextualizierung. Dass jener Philosoph und Lebemann postfreudianische Lacanerei verteilt, macht nichts: auch anthropozentrische Ansichten können als Erstprovokation dienen und tiefere Einsichten ermöglichen.

The Killer Is Dying, James Sallis

... und noch einmal dieses kleine feiste Teil. Das verwirrende Dreieck: der Gute, der Böse, und der unschuldige Teenager. Die Rolle des Internets ist hier nicht zu unterschätzen: es dient der Kundenakquise und der Unterhaltung. Mysteriöse message-boards erzählen Wirres und Stimmiges von den Gespenster der Stadt.

TKID ist provokanter als man es ihm zutraut. Und muss wohl noch ein drittes Mal gelesen werden.

Brick, Rian Johnson

Zum dritten Mal dieser. Die Puppe kam herein und roch nach Ärger. Ich nahm einen Atemzug davon auf und dachte eine wertvolle Sekunde an unsere Zeit in Shanghai und die langen Schatten in den Straßen.

Ein Klischee kommt nach Hause, äh, zur Schule: hypernoir geht es hier an der high school zu und der MacGuffin des Drogenklotzes bringt die Abgründe der Minderjährigen zum Beben.

Gut so. Mehr davon. Aber nicht als Sequel.

11/17/2013

In Time, Andrew Niccol

Hier. Kurzweilige SciFi mit einer ziemlich schönen Grundidee, die es bestimmt in eine kompakte Kurzgeschichte geschafft hätte: individuelle Lebenszeit wird Währung und in einem kleinen Noir-Spiel wird ordentlich gehandelt und getrickst. Und weil die Zeit knapp ist, kann das Aktionskino auch beschleunigen.

Unschön ist das Auslassen der Restwelt: irgendwie fragt man sich, wie denn nun die ganze Dystopie aussieht. Die Bilder zeigen nur Bekanntes. Wo ist denn der ganze Horizont? Wie kann man die ganze Zeitgeldwirtschaft veranschaulichen?

The Tree of Life, Terrence Malick

Hier. Man denkt sich Hochglanz und mainstream. Der Film mag im Malick-Gesamtwerk den elegischsten Beitrag ausmachen und vielleicht auch den harmlosesten. Bäume und Leben und so, das klingt nach "hübsch". Das klingt nach gefälliger Augenkost. Hier wird keine Generation von senior consumers aus dem Lichtspielhaus gebeten.

Aber ist hübsch denn schlimm? Nicht, wenn dieses Regisseur das macht: Malick schafft es, das "hübsche" prägnant zu machen, in dem er den Erzählrahmen ad absurdum weit aufreißt - bis einem die Weite ebenjenes Allerweltswort "Leben" einleuchtet. Die teils sehr frei assozierten Szenen fördern die zivile und doch schwelgerische Art des Filmemachens: die Perspektive der Kinder kann als Romantisierung des jungen und offensichtlicher eingeschränkten Denk-Fühl-Selbst gesehen werden, aber was ist daran so falsch? Wachsen und Aufwachsen und Zerfallen und Zerwohnen sind allgegenwärtige Prinzipien, die man aus der Perspektive des schaffenden Grossstadtmenschen in kühler Geometrie nicht unbedingt täglich erinnert. Trauerarbeit fängt den erwachsenen Sohn ein und ein heftiger Klumpen Erinnerung wirft ihn nieder - eben während er im Fahrstuhl hinauffährt. Sekunden werden für ihn und den Zuschauer zu Minuten, Stunden, Jahren.

Am Ende die Geologie der gezeitigten Emotionen: das Jenseits ist ein genialer Schauplatz, der als Zielort schon viele Reisende zum weitergehen bewegte.

Sowas geht nur im Kino. Big budget hin oder her, Lebensbäume gehören beachtet. Nach ToL und seiner huldvollen Pracht dürstet der Konsument aber wieder nach einem ranzigen Metzelsandwich.

Donnie Darko, Richard Kelly

DD 4ever. Hier.

All der Kitsch und all die Dekorationen, all die Zeitlupen und die seufzende Wucht am Schluss können über die Provokationen des Films nicht hinwegtäuschen. Ist Adoleszenz eine solche Suche nach dem Ausweg, dass man sich mit Wurmlöchern und vollkommenen Realitätsentzug beschäftigt? Wenn man mitbekommt, dass die wahre infernale (kinderzermalmende) Gewalt in der Mitte der Vorstadt ist, wo kann man dann noch hin? Suburbia ist nicht das promised land, warum dann also College suchen, Schulden machen, Schlips tragen, und Hypotheken managen?

Es gibt herrlich viele Wege durch diesen Film, und zu diesem Film. Er ist zutiefst melancholisch und bedient sowohl ästhetische als auch ontologische und kognitive Eigenheiten dieses Phänomens. DD ist gleichzeitig süffig - es ist bestimmt keine tour de force, diesen Film zu schauen. Das geht ohne Notizheft. Das geht sogar leicht angeschäkert. Aber man kann auch etliche Absätze über diesen, jawohl, vielleicht besten (Teenager-?) Film seiner Dekade verlieren.

Vermutung: Was wir in DD sehen ist nur eine Schleife von vielen. Eine späte Schleife. In anderen Realitäten hat Donnie bereits seine Umgebung erforscht und kann nun seinem früheren Selbst Informationen darlegen, die ihm in seinem subjektiven "Jetzt" helfen. Vielleicht ist dies die vorletzte Schleife. Der Donnie den wir sehen ist von Träumen geschüttelt, Träume in denen sein transdimensionales Selbst zu ihm spricht, in Gestalt von Frank (denn wenn wir keine Gestalt zu einer Stimme zuordnen, dann ist das der Herrgott am Werk und man wird als Prophet gefeiert bzw. verbrannt). Vielleicht findet dieser Donnie, der am Ende des Films erwacht, schließlich dann einen Weg am Ende nicht sterben zu müssen. Marty McFly wird kurz erwähnt. Vielleicht ist Adoleszenz die erstickende Suche nach dem DeLorean.

Denken könnte man als das Bilden von Schleifen beschreiben: Relationen und Prioritäten, Kausalitäten und derlei Verstrickungen werden formuliert bzw. produziert - man orientiert sich in Zeit und Raum, in Zukunft|Vergangenheit und in der Geographie.

Es ist die Materie die hier eine zentrale Rolle spielt: Vergangenheit, Zukunft, und Gegenwart bilden eine Masse von tiefer Schwere, einen stetigen Sturz in das, was wir "vorne" nennen. Die kleinen Dinge, die unscheinbaren Haushaltsdekorationen und -gegenstände bilden eine Armee von Informanten: eine Tafel am Kühlschrank, ein Halloween-Kürbis. Die Schlümpfe und Hulk Hogan. Ein Kostüm des Todes, mit einer Kapuze - bis heute sind hoodies essentieller Bestandteil des westlichen Jugendhabitus. Ein tiefer Röhrenfernseher. Lächerliche Bärtchen. Und dann Materialität in seiner ganzen theoretischen Wucht: Portale, Reisen, Bestimmung, Schicksal, Fluchtlinien. Grandma Death ist mehr als eine Nebenfigur, sie ist das welke Fleisch das durch die Zeit gereist ist, nur um nun in ihrer eigenen kleinen Schleife gefangen zu sein. Wo ist die Post? Morgen kommt die Post. Wo ist die Post? Morgen kommt die Post. Wann kann ich etwas anfassen und besitzen? Morgen. Jetzt? Nein. Morgen. Jetzt?

Intertextuell geht's ordentlich ab hier. Irgendetwas ist in den 1980ern zerbrochen. Die echte Schwester (eben noch von Nolan's Joker detoniert) des echten zentralen Schauspielers spielt in DD seine Schwester. Die Filmmutter besticht auch durch eine kleine, aber mächtige Geste, einem enormen Ausdruck, aber: wie hat die echte Schwester die Trauer um den toten Filmbruder gespielt? Was dachte die sich dabei? Was fühlte sie dabei? Welchen Abgrund musste sie sich nähern, um dies auszudrücken? Und ist es überhaupt legitim, die Diegesis dermaßen zu thematisieren? Implizit geschieht das von diversen Bildmedien seit je her: das Konzept des Stars (oder proto-Stars) hat immer diese intime Seite, diesen Authenzitätsaspekt. DD fängt den Zuschauer auf so vielen Ebenen ein.

Filmwirtschaftlich und historisch spielt DD auch auf so einigen Hochzeiten: Was entstand nach Evil Dead, und können wir durch das Portal schreiten, dass die Kinoleinwand bietet? Vielleicht können das nur einige wenige, so wie der arme DD. Vielleicht können das nur die Fans von Sam Raimi, die die Schönheit des Wortes cellar door spüren können, die Kellertür in der Tiefe, die die Spannung und auch die Unsicherheit beherbergt. Der Abgrund des Jugendfilms - die von der Erwachsenenwelt unter Umständen nie nachvollziehbare Freude am slasher/splatter bahnt sich ihren Weg. No child left behind? Die jugendlichen Fans des Horrormarktes gehen mit Finsternis ganz anders um. Wer kann die noch mitreißen?

Und DD wirkt noch doppelbödiger, weil der komische Typ aus Dirty Dancing (noch einmal DD, no offense) mitspielt - der nette und larger than life Erwachsene. Das bekannte Gesicht. Der harmlose, aber auch hübsche und unbedrohliche random guy.

DD ist einer der stärksten Film überhaupt, wenn man denn Melancholie zwischen Film und Denken und Materie und durchaus echter Verzweiflungskultur begreifen möchte. So viel mehr könnte darüber hier vermerkt werden.

Freaks, Tod Browning

Encore. Hier.

Die Freaks können finster sein, besonders auf "Augenhöhe". Im Schlamm und unter dem Wagen, im tiefsten Sturm, da stossen sie sich nicht die Köpfe und kommen drohend näher. Ihre Augen geradeaus, und die Leiber hintendran: selbst ohne Arme und Beine passt immer noch ein Messer zwischen die Zähne.

Ein einmaliger Film, der zwischen Unheil und Banalem wechselt, um dann mit einer seltsamen Geste zu enden: warum wird aus Cleopatra eine Ente?