2/07/2008

Into the Wild, Sean Penn

Die Buchversion von Into the Wild wurde anhand von Chucks Leseliste in die Nähe des Grabens gespült. Filmpromotion hat damit nichts zu tun, neinein.

Die Geschichte ist freilich faktisch die gleiche wie im Roman doch in der Tiefe anders. Jon Krakauers Stimme selbst verstummt - es ist die kleine Schwester, die Chris' quest aus dem off dokumentiert. Die Darstellung der Eltern ist im Film eindeutig tragischer, vor allem weil William Hurt gut in dem ist, was er tut. Des Knaben Mutter wird von der verstörenden Marcia Gay Harden gespielt, die schon als Bibelbiest im Nebel verstörte. Im Buch sind die Eltern eher Randnotiz und Teilbedingung - im Film könnte man sie als maßgebliche Sündenböcke verstehen.

Der Kinosaal war voll mit der Zielgruppe. Sind die alle wegen der Promotion hier? Haben die alle das Buch gelesen? Die überwiegend aus NEON-Konsumenten bestehende Klientel hat beim tragischen Ende freilich artig ge-hach!-t. Tod und Jugend, uh, geht das gut in der Gruppe.

Als Vorgewarnter weiss man von dem bitteren Ende, man hach!-te also schon bei der Lektüre und tut es nicht erneut im Saal. Doch der Film hat etwas, was das Buch nie haben könnte, nämlich Bart, den Bären. Kurz vor Schluss steht der naseweise Wildnisdilettant ausgemergelt, gelblich und fiebrig vorm Bus und der Bär kommt vorbei. Und was tut der Bär? Er ist riesig groß vor dem zarten Menschlein und schnuppert und grollt. Dann lacht er ein großes Bärenlachen und schlurft davon.

Sean Penn hat einiges verstanden.

2/03/2008

House of Leaves, Mark Z. Danielewski

Eine Mordsgaudi. Allerdings. Die Lektürefreude war enorm und mit ein wenig Trauer im schlaflosen Auge wurden die letzten Seiten sehr schnell erreicht. Das muss am Anfang dieser Notiz betont werden, denn die folgende rudimentäre Umschreibung dieses Artikels wird vielleicht ein wenig abschreckend anstrengend klingen, nach kopflastigem Deppendrama mit zuviel Schall und zu wenig Wahn.

Also. Inhaltlich kann man beim House of Leaves vier Ebenen ausmachen. Da sind einmal die Videos von einem Mr. Navidson, der mit seiner Familie in ein Gruselhaus einzog und dort unter anderem einen Bruder und vielleicht auch seinen Verstand verlor. Dann gibt es zum Zweiten einen blinden alten Mann, der eine gewaltige Arbeit über jene Videos schrieb/kompilierte (eine Verneigung vor dem Gesamtwerk von Señor Borges). Und zum Dritten gibt es Johnny Truant, eine Tattoo-Shop-Aushilfe, die jenes Manuskript findet und sich an dessen Überarbeitung macht. Als letztes gibt es da noch die ominösen Verleger, die Fußnoten und Fußnoten unter Fußnoten setzen und die untergeordneten Texte wiederum eingrenzen.

Und alle brabbeln durcheinander. Alle erzählen diverse Seiten- und Untergeschichtchen. Besonders verstörend ist der stetige Bezug auf Zitate (von Professoren bis Letterman), die hinaus in die Öffentlichkeit führen. Alle reden von Navidsons Haus. Warum nicht der Leser?

So weit, so wenig Spaß versprechend weil kompliziert. Sprachspiele, baby! Differänz mit 'ä'! Trotzdem ein stabiles U.

Danielewski präsentiert sein Werk in optionalen Stückchen. Wo Pynchon Durchhaltevermögen fordert, da lädt der Autor hier zum Überspringen und zur Selektion ein. Die Kohärenz bleibt dank der gewaltigen Übermetapher des Hauses, des Raumes, des (Gedanken-) Gebäudes. Dies wird von den Navidsons wie auch von allen anderen, inklusive dem Leser, erforscht. Es gibt immer wieder Spannungsmomente, die das Interesse wecken und an denen man sich durch die Kapitel hangelt. Ausverkauf? Sei's drum.

Der Roman zielt zwischen die Definitionen von Hoax und Hype und Halluzination und spielt somit mit durchaus akademisch relevanten Themen. Besondere Aufmerksamkeit erhält der wie gesagt echte/gedachte Raum. Die Brisanz vom spatial turn verdeutlicht sich. Sie wird ja auch von Sloterdijks Raumfahrt bescheinigt (deren zweiter Band derweil in stetiger Verzehrung im Graben ist). Sowohl Mark als auch Peter zitieren Gaston Bachelard, dessen Poetics of Space wohl ihren Weg in die ToDo-Liste finden muss.

Im Navidson Haus kollabiert Raum ins Nichts: man findet eine furchtbare Wendeltreppe, die hinunter in die All-Abwesenheit führt. Downward Spiral, ho! Somit wird sogar Trent Reznor zitiert.

Man mag nun auch spottend sagen, dass Danielewski eigentlich "Deconstruction for Dummies" schreiben wollen. Aber das träfe sowohl die Sache selbst als auch den vorliegenden Roman. Wie unheimlich! Wer hat denn hier das Sagen? Letztlich der Leser, aber er weiß es nicht. Der Leser ist die fünfte Ebene, mindestens.

Und witzig ist Danielewski auch noch. Es werden an einer Stelle Interviews mit bekannten Menschen geführt, darunter Stephen King und Jacques Derrida (!). Der Autor suhlt sich mit solchen Einfällen in Offensichtlichkeit und trägt somit zum Charme des Romans durchaus bei. Er unterstreicht die Nähe vom Ausverkauf der gothic fiction und intellektuell gelebter Verunsicherung. Somit beleuchtet er das Grunddilemma der Relevanz bei der Arbeit mit Literatur und Texten im Allgemeinen und Speziellen.

Insgesamt stellt House of Leaves (das Haus der Blätter und der Abschiede) eine Huldigung an den Prozess und das Ergebnis des Lesens dar. Ein ziemlich cooles Vehikel, bei dem der eine oder der andere wahrscheinlich erfrieren wird wie im extradimensionalen Kellergewölbe des Hauses. Genau diese Hermetik kitzelt und verunsichert zugleich.

Beim Wiki-Eintrag kann man einige Beispiele des ambitionierten Layouts und weitere Verweise finden.

He, und Bret Easton Ellis findet's auch gut. Auf geht's in den örtlich fixierten Lunar Park.

Tsotsi, Athol Fugard

Afrika, Afrika. Der sogenannte schwarze Kontinent bricht einem das Herz im Vorbeigehen und gibt einem dann keine lindernde bittersüße Medizin zum Abschied. Fugard schildert die Identitätssuche eines Verlassenen aus dem township: ein soziopathischer Gangster findet ein Kind und erinnert sich langsam seiner eigenen Herkunft.

Stählern schwere Sätze lassen keinen Funken (Galgen-) Humor aufkommen. Das Martialische dominiert die Bühne und Metaphern mit Ewigkeitsanspruch türmen sich auf. Das Kind als zerbrechliche Zukunft weist den Weg in die eigene, verdrängte Vergangenheit welche das Grauen der Gegenwart teils bedingt und teils vorwegnimmt. Tsotsi wird das Symbol des ruhelosen Brandstifters; er ist einer, der auf einmal Milch sucht statt Blut vergießt. Township und Lump, Henne und Ei, trallala.

Die Lektüre gestaltet sich wie der Einsatz der im Roman erläuterten Fahrradspeiche. Sie wird benutzt, um im Menschengedränge dem Opfer durch die Achsel das Herz anzustechen. Und wieder muss ein körperliches Beispiel herhalten, um narratologische Wucht zu erläutern. Ach, Afrika.

Doch obacht: eine Afriploitation könnte entstehen. Der Kontinent könnte zum blanken Lehrstücklager für satte reiche Menschen werden. Im Kino ging das ganz fix: Blood Diamond und Der letzte König von Schottland haben letztes Jahr den Kinosaal ächzen lassen. Es muss doch auch andere Geschichten aus Afrika geben außer jenen, die zu den grauenhaften Bildern in der Glotze passen.