12/11/2010

The Walking Dead, Frank Darabont

Fasst der eine noch die Stirn, schreit der andere schon nach Hirn. Da. Die Vorlage kommt von Robert Kirkman.

Der erfolgreichste Serienstart im Serienland überhaupt - Halloween macht vieles möglich.

Hier erstmal der Link zu io9, die eine Collage in Bild und Ton mit jedem (!?) Schädelbruch aus Notwehr aufgetrieben haben. Und warum? Weil es geht! Das große Z ist und bleibt eine massive Mär für die Massen: es scheint etwas furchtbar Wahres oder etwas furchtbar Drängendes zu kommunizieren, aber man kann irgendwie nicht so wirklich den Finger drauf (in die Wunde) legen. Ähnliches wurde schon bei Brooks' WWZ gedacht.

Die wenigen Folgen, die jetzt liefen, umfassen einen schönen Erzählbogen in dem die menschlichen Nichtinfizierten als Getriebene durch Stadt und Land irren. Sie sind Nomaden, genau wie die Wandernden Toten: ein Leben on the road und on the move und on the run. Packt nur das Nötigste ein. Denkt schnell und verschwendet keine Munition, denn man weiß nie, was hinterm Berg noch lauert. Das ist amerikanischer Pragmatismus in voller eiterauftupfender Blüte.

Und wieder der Ekel, das Abjekt. Zombies stoßen die Lebenden ab und vor sich her. Fleischliche Grenzen scheinen die einzigen plot-stützenden Elemente zu sein, deshalb wird auf ihnen herumgeritten bis der Brustkorb bricht. (Anders und prägnant hier. Anders und massiv hier.)

Und wieder ist es schön. Die Zombies hier sind langsam, old-school. Vielleicht kommt in der schnellstens beauftragten zweiten Staffel eine Schar grunzender Rennzombies dazu, wie man sie aus dem letzten Jahrzehnt kennt.

Der große Erfolg macht wirklich stutzig, zumal diese Serie keinesfalls den genreüblichen gore ausgeschaltet hat. Und da denkt man immer, dass die Mehrheit bei (sehr echt wirkendem) wiederholtem Spitzhackeneinsatz in Schläfen und Gesichtsresten wegschaltet. Und die Geräuschkulisse passt ebenso. Das fade Pastell der Bilder wird durch die sparsamen aber herben Glitsch-, Matsch- und Bruchlaute perfekt ergänzt.

Was verbindet die Konsumentenwelten? Das Ende der Welt. Und da dachte einmal jemand, Romeros Kinder seien subversiv. Der Herr selbst ist seit 2009 Kanadier. Lasst sie kommen.

Feuchtgebiete, Charlotte Roche

Tschu, tschuuuu: hier hat jemand den Hype-Zug verpasst. Stattdessen hat der Konsument viel zu spät 140 Minuten seines Lebens geopfert, um die geplante Verfilmung dieses Gassenhauers von 2008 noch weniger zu verstehen.

Nicht jeder schreibt über Mädchen so wie Herr Eugenides.

Warum überhaupt der Konsum dieses Dings? Es ist mit seinen guten 200 Seiten Großdruck sehr wenig furchteinflössend. Es lag auf dem Stapel oben. Es hat so eine keck grelle Farbe. Was ist denn nun drin? Nichts, was man nicht erwartet hätte: eine ganze Menge Ekel. Alles, was eine erwachsenwerdende Protagonistin eben so anzubieten hat.

Unglücklich kann man nur werden, da so viele Leute dieses Ding kauften, es somit zum Bestseller für Dumont machten und schlussendlich höchstwahrscheinlich nur "Iih" und "hihi" gesagt haben. Aber halt. Das klingt ja wieder so elitär. Aber Bestseller sind nun mal Produkte, die von seltsamen homo sapiens gemacht werden: nämlich den Nichtlesern.

Heinz Strunk und Helge Schneider sind viel tollere Massengermanisten.

OK, mit gutem Willen ist etwas drin. Das Hauptthema der Novelle ist traditionsreich: der Körper als Schlachtfeld und Schlacht-Feld. In einer hypermedialisierten, also entkörpernden Welt kann man sich in Zeiten der Not nur auf das Wesentliche konzentrieren: die Materie, die einem nicht wegläuft. Die Kindheit der Protagonistin soll geheilt werden, deshalb ergeht sie sich so in den Heilungsprozessen des eigenen Körpers. Mit der fitzeligen Kontrolle der Gegenwart gegen eine übermächtig erinnerte Vergangenheit. Für eine Großtat in Sachen Borderline-Aufklärung ist der Text dann aber doch zu dünn.

Verstimmt muss auch gefragt werden: wie kann man sich einer so hinreißenden Metaphorik wie Verdauung, Ausscheidung und Müllproduktionen denn ohne eine tüchtige Brechszene widmen? Es fehlt diesem Ding ganz sicher an Vomitationen. Der Emetophobie darf kein Raum geschaffen werden! Man kann nunmal oft gar nicht so viel essen, wie man speien möchte. Das wäre doch mindestens ebenso zeitgeistig wie die transkörperliche Verstopfung/Inkontinenz.

Sequel und Film kommen auf keine ToDo-Liste hier.

The Graduate, Mike Nichols

1967. Quasi die Ursache von 1968. Oder nicht? Das ist eine Dramedy, denn man kann der spannenden schusswaffenfreien Handlung nicht den Witz entziehen. Es ist aber ein guter Witz. Ein menschlicher. Einer, der zu soften Akustikgitarren passt - Nichols hat einen durchgestylten Blockbuster geschaffen, da musste alles passen.

Am schönsten ist der Blick des Paares in der letzten Busreihe in den letzten Sekunden. Die Flucht ist gelungen, das Lachen verfliegt, die Zukunft dämmert. Das Ereignis ist eingetreten, die Kapsel gebrochen, das Tischtuch zerschnitten. Nun lauert da der Schatten von Mrs. Robinson. Alter, Bruch und libidonös bedenklicher Utilitarismus.

Eine Antwort auf The Graduate ist Garden State. Das ist dann in der Quersumme nicht mehr so witzig. Que sera? Die einzige Frage in Schulbussen, Brautkleidern und swimming pools, die wirklich zählt und massiv verdrängt wird.

Mad Men, Matthew Weiner

Noch so'n Klopper. Werbung und Manhattan und die 1960er. Die Protagonisten sind (nicht nur Männer und) zunächst enorm fremdartig. Hier zieht man sich noch gut an. Hier herrscht eine WASPy Monokultur, die sich gewaschen und rasiert hat. Allein das Bühnenbild verblüfft - selten wurde eine Epoche so vollständig abgebildet. Hyperreal? Egal. Die Autos sind fundamental.

Die Ignoranz und die grobe Unschuld auch: es wird geraucht und gesoffen wie doof, gerade im rigiden tabakfürchtigen Wellness-Amerika muss das ja eine Schau sein. In einer Folge macht die Familie Picknick. Wie wird man den Müll los? Decke ausschütteln, einpacken und wegfahren.

Die historischen Zitate (das TV-Bild war regelrecht anti-HD damals - und erst der Ton! So kann man doch von keinem Attentat auf den Präsidenten erfahren!?) sitzen und alle gemeinsam haben wir Teil an der großen amerikanischen Erzählung und erleben den verhaltenen Aufstand der Minderheiten.

Die Figur des Don Draper hat in den Top10s Homer Simpson überholt. Klar: da kommt die Sehnsucht nach Leitkultur durch, und sei es eine tragische. Don ist enorm karikierbar und Teil einer gewaltigen Nostalgieklamotte, die bloße Seifenopern weit übersteigt. Kein Wunder, dass die Mad Men derweil auch akademische Beachtung finden (was ja für sich genommen nicht viel heißt, aber man gönnt dem Produkt jede Aufmerksamkeit).

Der Wahnsinn dieser Herren ist zeitlos.

Breaking Bad, Vince Gilligan

Drogenabhängige sind erfahren im seriellen Erleben bzw. streben es an. Endlich dürfen gesunde und Schlange-stehende Steuerzahler auch einmal diese Lebensführung besichtigen und böse brechen.

Mehr meth. Mehr Substanzen. Mehr von allem. Diese Serie ist ein Höhepunkt des televisionierten letzten Jahrzehnts. Da gibt es New Mexico und das wüste Grenzgebiet zum gesetzlosen Mittelamerika, dazu noch die Ferne zu Ost- und Westküste. Da gibt es einen wundervoll schwarzhumorigen Niedergang des Bürgertums. Chemielehrer und Assel tun sich zusammen, um mit Methamphetamin endlich Geld zu verdienen. Ersterer muss es tun: Krebs frisst ihn auf und die Logik des Todes befreit und befähigt ihn zur rücksichtslosen finanziellen Absicherung der Familie. Ja, Lügen. Ja, schlechtes Gewissen. Ja, die Hölle auf Erden. Aber geniale Sonnenuntergänge und -aufgänge.

Verblüffend ist das moralische Vakuum, das hier umtanzt wird. Das hat Dashiell Hammett nicht anders hinbekommen, doch hier geht es quer durch die Vorstadt und durch die eigentlich vorzeigbaren Familien. Wer will was und wie werden die Motive gebündelt? Der Urtumor, der MacGuffin der Geschichte, verschwindet bald und hat viele kleine Metastasen gebildet, die die Handlung auf unerhört dichte Art und Weise voranbringen. Jede Episode ist ein Gedicht mit eigenem cold open und Abschlussszene. Die Cliffhanger sind teils gewaltig und so verwundert es nicht, dass die dritte Staffel sehr feist endet und den Konsumenten cold turkey gehen lässt.

Rauchen, schnupfen, mischen, drücken. Mehr, mehr.

12/06/2010

A Million Little Pieces, James Frey

Skandal! Hier. Ungestüm wurde mit diesem Produkt umgegangen, denn es stellte sich die Frage, ob der Autor einen Roman oder eine Autobiographie geschrieben hat. Bei Oprah Winfrey kam es zum Eklat, so geht die Legende. Es stellt(e) sich wieder die alte Frage: ist eine gute Geschichte immer noch eine gute Geschichte, wenn sie in der vorgetragenen Form nicht stattgefunden hat? Herrn Frey kann man fix verzeihen: als Romancier hat man ja immer Hunger. Der hat an die vielen Dosen gezuckerte Ananas gedacht, als ihm sein Verleger ausrechnete, wieviel die Vokabel "Tatsachenbericht" auf dem Cover seines Buches bringt.

Sei es drum. Das ist ein gutes Ding. Biochemische Eskapaden und Ruinen wurden selten so schmissig präsentiert.

Es geht um einen längere Kur. Hans Castorp winkt lässig vom Liegestuhl nebenan? Fast: hier gibt es rehab deluxe, der Held und Ich-Erzähler ist ein multi-user twen und zerschrammt bis auf die Knochen. Nach und nach kommt die Vergangenheit in die ernüchternde Seele und mit den Mitinsassen muss man sich auch arrangieren. Dann ist da die Liebe. Dann ist da die Familie. Auch eine amerikanische Karriere, die sich hier verfolgen lässt.

Frey schreibt schön schnell, in vielen kurzen Sätzen und uferlosen Absätzen. Seltsamerweise fällt das Verzichten des Blocksatzes dabei besonders positiv auf. Wie eine EKG-Lebenslinie zieht sich die Geschichte den Seitenrand hinunter, auf das bittere Ende hin. Über AMLP lässt sich vortrefflich streiten, vor allem, weil man sich immer über Sinn und Nutzen der Junkie-Persona in Theorie und Praxis auslassen kann. Dabei macht Frey und auch das Getöse um diesen Roman deutlich, wie zeitgemäß doch dieser Prototyp des Totalkonsumisten eigentlich ist.