1/09/2008

Go Tell It on the Mountain, James Baldwin

Diese Geschichte befasst sich mit Enge. Das autobiographisch geprägte Debüt von Baldwin beleuchtet die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts im farbigen Amerika. Das riecht alles ein wenig nach Englisch-LK, doch die Lektüre selbst ist weitaus bereichernder als institutionelles Doku-tainment.

Gospel hat freilich seine Spuren in der Unterhaltungsmusik hinterlassen. Fröhliche Menschen klatschen und singen und machen eine Art Erlebnisgottesdienst. Baldwins Buch hat damit und mit Pop nichts zu tun: hier wird nicht unterhalten, hier wird gebetet. Die Bewegungen des Körpers entsprechen dem rocken und dem rollen der Seele im Menschenleib - es ist Knochenarbeit im Fundament von Gottes Haus.

All das erzählt Baldwin in mehreren Teilen. Der Protagonist John soll Priester werden, muss sich aber mit den scharfen Kanten seiner zerbrochenen Familie auseinandersetzen. Die Gebete von drei Familienmitgliedern beleuchtet deren Herkunft und man beginnt, ihre Narben zu verstehen. Die Enge in einer von Weißen zusammengestauchten Lebenswelt macht Johns Leben noch klaustrophobischer - sein Bruder geht mit diesem Druck ganz anders um.

Wer auf den Berg hinauf will, der muss einen kniffligen Aufstieg wagen. Man kann mehrere Pfade wählen. Oben wird es kälter und einsamer und man ist weiter weg vom feuchten Morast der mit der Zeit angesammelten Dinge - hier entspricht die Bildsprache durchaus Suttree. Und ist man einmal auf dem Berg, dann muss Zeugnis abgelegt werden. Der Bergsteiger wird sein eigener Isaak. Die Stimme muss stark genug sein, damit sie auch hinunter ins Tal findet.

Baldwin hat die Enge in den USA bald nicht mehr ertragen und ging nach Frankreich. Von diesem Berg aus hat er dann immer wieder seine Stimme erhoben.

Eastern Promises, David Cronenberg

Ah, endlich wieder Kino.

Cronenbergs jüngstem Streich tut die große Leinwand gut, denn sein Film ist explosions- und fanfarenfrei. Diese Nüchternheit könnte auf DVD oder gar im TV untergehen, wenn es nicht dunkel genug ist.

Aber nüchtern heißt nicht seicht, im Gegenteil. Wie schon bei History of Violence ist der Rückzug für die einzelnen Charaktere des Films bald nicht mehr möglich. Sie und die Zuschauer müssen einiges aushalten: die Kamera hält wie üblich eiskalt da drauf, wo bei anderen Thrillern der Schnitt kommt.

Dafür werden Körper geschnitten sowie gestossen und gezerrt. Der ideelle und der materielle Wert von Blut steht im Fokus: erst ist da das Rot der offenen Kehle, dann das blutig verschmierte Neugeborene. Rasiermesser und Nabelklemme sind Werkzeuge des Endes und des Anfangs. Materiegebundener Existenzialismus, hu? Gegen Ende des Films gibt es kurz das Bild der weihnachtskonformen Familie, inklusive unbefleckter Empfängnis und seltsam isoliertem Joseph. Die Gangstersippe hingegen ist von Anfang an verflucht: wo Frauen wie Taschentücher benutzt werden können nur solche Irren wie Kirill entstehen.

Der Zuschauer ist zuckender Voyeur und das leise Aufstöhnen im Kinosaal verrät den prickelnden Masochismus der Konsumenten.

Man kann noch viel mehr sagen über den Film. Viggo und alle anderen sind wieder sehr gut, obwohl sie keine Russen sind. Organisiertes Verbrechen mit Migrationshintergrund wird ebenfalls tapfer beleuchtet. Hier auch wieder das Stichwort Körperwirtschaft: einmal gestorben ist da nur noch eine leere Hülle die dann mit diversen Codes in Form von groben Tattoos versehen werden kann. Die Nacht der wandelnden Toten? Irgendwie schon.

1/07/2008

Battle Royale, Koushun Takami

Definition von Our Lady of Pseudo-Know:

Battle royal (plural battles royal) traditionally refers to a fight involving three or more combatants which is fought until only one fighter remains standing. In recent times the term has been used in a more general sense to refer to any fight involving large numbers of people that are not organized into factions. Within combat sports, the term has a specific meaning, depending on the sports being discussed.

Der Sport, um den es hier geht, ist freilich Mord. Der Roman ist ein Reißer der sich zwischen Lord of the Flies und Running Man einfindet: mehrere Dutzend Schüler werden durch eine obskure diktatorische Regierung dazu gezwungen, sich unter Zuhilfenahme ausgeloster Waffen auf einer Insel zu dezimieren.

Eine unglaublich krude Ästhetik lässt die Lektüre zu einem (im Nachhinein betrachtet) seltsamen Erlebnis werden. Es kann hier freilich nicht überprüft werden, ob das japanische Original auch in einer teils so grotesken Sprache verfasst wurde doch die deutsche Version wartet mit einigen seltsamen Formulierungen auf. Mit der Zeit gewöhnt man sich aber an die unprätentiösen Massakerepisoden. Hier ist Battle Royale ganz Ego-Shooter. Gesundheitsbalken hier, Munitionsstand dort und ab dafür.

Das Werk zielt sehr direkt auf die internationale Action-Unterhaltung-Franchise-Maschine. Teenager erleben die Körperwelt und unter Anspannung überlagert oder verdrängt die Initiation in Gewaltspiralen jegliches sexuelles Erwachen. Das ging schon immer gut. Der Stoff wurde recht flux verfilmt und sowohl Sequels als auch Manga-Versionen folgten.

Wo ist denn Herr Anspruch? Hat den wer gesehen? Nicht auf Takamis Todesinsel.

Die 600 Seiten dauernde Zermalmung einer Schulklasse durch sich selbst unterhält durchaus. So wie Saw und das jüngst konsumierte Running Scared braucht man einen robusten Magen und Freude an simpler Totschlagslogik. Wie so oft ist die sogenannte Kontroverse drumrum fast interessanter als der Stoff selbst. Wer raubt hier wem die Unschuld: die skrupellosen Filmproduzenten den verderblichen Zuschauern oder die zahlreichen Fans den aufgescheuchten Moralisten?

Darauf eine Salve aus der Uzi.

1/06/2008

Running Scared, Wayne Kramer

Eine der positivsten Überraschungen seit langem. Erwartet wurde ein preiswert-blutiges B-Movie Gemetzel bei dem Last Boy Scout zu oft zitiert wird und am Ende das unbeschmutzte Gute gewinnt.

Doch weit gefehlt!

Die Geschichte wird angenehm schnell erzählt und einige wilde Kamerafahrten sorgen für ungeteilte Aufmerksamkeit. Die Splatter-Zitate am Anfang weisen den Weg doch nehmen sie das Ende nicht vorweg.

Running Scared begreift sich als Genre-Film und Kramers großes Anliegen ist es, diejenigen Zuschauer zu vergraulen, die auch mit Charlie Huston oder Death Sentence wenig anfangen können. Noir und Pulp brillieren mit wenigen Zutaten: Autos, Telefone sowie Waffen aller Art und genug Gründe für das Benutzen selbiger. Vom Zuschauer wird lediglich verlangt, obskure Zufälle und die comic-artigen Charaktere im Garden State zu akzeptieren.

Das Schauen solcher Filme bringt niemanden irgendwie weiter, doch das macht die Dinger so symphatisch ehrlich. Volljährig sein kann so gut sein. Die Altersfreigabe ab 16 ist allerdings ein ziemlich schlechter Scherz.