9/12/2008

The Man Who Fell in Love with the Moon, Tom Spanbauer

Herr Spandauer ist hier im Graben ein Begriff, weil er Angaben im www zufolge Workshops gab, die auch Chuck Palahniuk besuchte. Gibt es nun hier proto-Chuck-ismen zu lesen? Nein. Auf seltsame Art ist TMWFILWTM eine Mischung aus Deadwood und Hogg, aber netter als vermutet.

Im ländlichen Westen um 1900 ist Shed ein bi-(oder multi-)sexueller Halbindianer, der im (Schuppen vom) Bordell seiner Ziehmutter als Dienstleister aushilft. Das macht ihm nicht viel aus. Die Geschichte, die er dem Leser erzählt, befasst sich mit adoleszenztypischen Themen wie Elternsuche, Familienrache und allgemeiner Verwirrung. Es gibt auch noch supertollen Sex mit den eigenen (Pseudo-)Eltern.

Stilistisch interessant ist die gemütliche Erzählung. Schöne weite Landschaften, humoristische Anmerkungen, drollige Gestalten. Das Derbe verbindet sich mit dem Epischen. Vielleicht ist das magisch-realistisch.

Unangenehm fällt auf, dass die Geschichte episodenhaft zusammengestückelt erscheint. Vor allem das Finale, in welchem unerhört direkte Verweise auf den Ödipus-Mythos laut werden, ist eher schmockig-altbacken. Muss das sein? Der Roman scheint zu brüllen: "Los, benutz' mich auf pädagogische Art und Weise!" Das ist nicht so schön. Vom sprachlichen Vermögen hätte es Spanbauer nicht nötig gehabt, mit dem Holzhammer auf die Vielseitigkeit seines Werkes hinzuweisen.

Wanted, Timur Bekmambetov

Warum kann Wanted nicht gefallen?

Die Story ist recht simpel. OK, Actionkino. Aber hier fehlt ein moralisches Grundkonzept, dass man Filmen mit solch einem sichtbaren Budget unterstellen darf. Die Huldigung der Waffen und der Projektile mag optisch gelungen sein, doch scheint es sich bei Wanted um eine zusammengehackte Reihe von Videoclips zu handeln. Der Film ergeht sich in Oberflächlichkeiten, ohne auch nur ansatzweise den B-Movie-Charme zu verteilen, der moralische Leere u. U. rechtfertigen könnte.

Die Darsteller sind vielleicht engagiert, kommen aber gegen die dünnen Dialoge nicht an. Jolie ist freilich eine Freude, aber auch nur, weil sie mittlerweile um ihre eigene Klischeehaftigkeit (das Hyperweibchen, die unnahbare XX(X)-Tigerin) weiß und selbige auch kommunizieren darf.

Die Musik nervt. Es ist zwar immer schön, wenn man NIN für die Untermalung benutzt, aber was bei 300 im Trailer passte, das eckt hier an. Man kann doch keinen (zugegebenermaßen vergleichsweise mittelmäßigen) Song benutzen, dessen Text exakt die zu sehende Situation beschreibt. Das ist zu doof. Ja, auch bei Actionfilmen gibt es ein "zu doof". Oje.

The Dark Knight, Christopher Nolan

Ja, schon wieder. Diesmal im Original. Wieder wunderbar der Moment der Stille, als der Joker einfach nur den Kopf aus dem Autofenster in den Fahrtwind steckt.

Kostüme machen einzigartig und unverkennbar. Sie machen eine Person eindeutig. Die Akteure in Comics sind stets eindeutig identifizierbar, denn sie sind immun gegen Veränderungen wie Mode und somit auch immun gegenüber der Zeit. Symbol und Person verschmelzen und somit kann man (mit ganz, ganz viel Wohlwollen und Unschärfe) an religiöse Motive denken. Und siehe da: Batman nimmt die Last der Welt auf sich. Er stellt sich freiwillig ans Kreuz (bzw. in den Fokus ermittelnder Polizisten), und zwar für das größere Wohl. Ist er nun Märtyrer oder Messias oder beides und wie kommt man zu dieser Überlegung? Ah, herrlich strukturierte Comic-Welt.

9/08/2008

Blade Runner, Ridley Scott

Wie auch bei Apocalypse Now Redux hat die kinematographische Überarbeitung von BR selbigem gut getan. Diesmal ist Herr Ford nicht nur Statist. Diesmal ist er vielleicht nur eine täuschend echte Menschennachahmung.

BR zeigt vieles. Erstens, wie wichtig Philip K. Dick eigentlich ist. Zweitens, wie wenig es Ridley Scott um markige Zukunfts-Action ging. Drittens, wie ganzheitlich die Darstellung einer verstörenden Zukunftsversion sein kann und wie leicht Archetypen wie Philip Marlowe und diverse femme fatales dort ihren Platz finden können. Und noch mehr.

Kurz vorm Ende muss Deckard (der einfache Angestellte, der sich Bewußtsein einredet) den künstlichen Neon-Arier besiegen. Wo geschieht dies? In und um eine verwesende, verlassene Wohnung herum. Das ist einer der schönsten Symboliken des Filmes: die Innovationen der Gentechnik werden durch die schwächliche Konstruktion eines Zuhauses nicht beschränkt. Nur auf der Ruine der Familie, des Heimes, kann der Mensch Herr seiner eigenen Evolution werden. Auf, hinaus, zu den Sternen.

Das Ende ist paradigmatisch für die cyberpunkige Perspektive. Die Zukunft ist silbern, sie ist elegant geformt wie ein kleines Einhorn: letztlich besteht sie aber nur aus Kaugummipapier und ist sehr leicht zu falten und zu zerknüllen.

9/07/2008

Apocalypse Now Redux, Francis Ford Coppola

The horror, the horror und kein Ende. Über dem Konsumerlebnis schwebt der allmächtige Herr Brando, dessen blanker Schädel eigentlich nur kurz vorm Finale durch den Halbschatten blitzt. Wahrscheinlich ist das die Essenz des Grauens: es geht dabei stets und unerbittlich um das Ende des Vorangegangenen.

ANR ist paradox. Es ist einerseits bilderstürmend im dumpfen politischen Sinn: Krieg ist schlecht, wir können im Kinosaal alle gemeinsam pazifistisch umhergrunzen und uns an unserem Kaffeetischhumanismus berauschen. Im Krieg sind alle Opfer, ja, genau, wie auch der Zuschauer der einige Stunden Ablenkung erkaufte und morgen wieder vor einem dämlichen Chef kuschen muss und beim Supermarkt in der Schlange ächzt.

Aber andererseits ist ANR auch grandios im Erschaffen eigenständiger Bilder. Coppola benutzt die Kamera auf orgiastische Art und Weise, der Dschungel ist grün aber auch viel mehr, die Menschen verschmelzen in erhabener Farbigkeit. Krieg ist Kunst. Napalm besitzt eine nervenzerfetzende Erotik. Der Tempel des Generals ist heiliger Grund.

ANR ist freilich auch ansonsten epochal und verdient seinen Ruhm durchaus. Seltsam nur, dass der Film in den Korpus der "traditionellen" Kriegsfilme eingegangen ist - sei es in Swoffords Jarhead oder anderen Erlebnisberichten von der Wüstenfront. Krieg hat auch mit Gewohnheit zu tun, oder? Aber wie?

The Simpsons, David Silverman

Ausgehend vom Konsum von Americana musste freilich sogleich das wahre Amerika im Film gesucht werden. Da bietet sich The Simpsons an. Wieder muss gesagt werden, dass die 3D-Ausflüge wunderbar ins eigentlich platte Springfield passen und dass das Konsumerlebnis freudig war. Was würde DeLillos David dazu sagen, dass bei diesem amerikanischen Amerika-Film niemand wirklich eine Kamera hielt?