10/10/2008

Burn After Reading, Ethan & Joel Coen

Der Song, der den Trailer umspült, ist von Elbow. Gut zu wissen. Doch die Werbung misslingt inhaltlich: von diesem Film werden viele Konsumenten überrumpelt werden, denn er entbehrt der bequemen Genrekonventionen. Verhuschte Steuerberaterinnen finden hier keine Kabel-1-Comedy-Geruhsamkeit. Trotzdem werden sie sich vielleicht eine Karte kaufen. Also "funktioniert" die Werbung doch, hu?

Die Coens machen besondere Filme. Viel Lärm um Nichts? Ja, aber spaßiger Lärm! Es gibt Nasenbluten, schnelle Schüsse, einen Dildo und eine Axt. Das sind Zutaten für einen unvergesslichen Abend, auch wenn kein Chinamann auf den Teppich pisst. Vor allem ist es sehr schön, dass sich die Brüder nicht auf dem Oscarsegen vom genialen NCFOM ausruhten.

Der Hollywoodklüngel nervt hier nicht wirklich. Alle Beteiligten scheinen guten, derben Spaß an der Arbeit gehabt zu haben. Diese virtuelle peer group darf weitermachen und öfter einmal so ein Fest feiern wie BAR. Das Werk ist charmant, ohne einen klebrig umarmen zu wollen. Gracias.

Dolls, Takeshi Kitano

Puppen sind eine dankbare Metapher zur Darstellung wechselseitiger Subjekt/Objekt-Beziehungen, und so ist das auch hier. Wer zieht welche Fäden? Es geht freilich um der Liebe zartes Band, welches gleichzeitig Leine, Halteseil und Fessel sein kann. In drei verschiedenen Episoden (tragische junge Liebe, nicht stattgefundene Liebe, Fan vs. Popstar) wird die Verknüpfung menschlicher Seelen geschildert.

Die Bildwelt selbst ist nüchtern und unaufgeregt schön, der Film profitiert von den wohldosierten Schnitten. Das Auge verliert gegen Ende seine Funktion, wenn es in eine Schneelandschaft geht. In der Weiße gibt es nur Stille und nichts mehr zum Festhalten: auch die Liebe ist letztlich eine Geschichte, die nur in den Tod führen kann. Sehr schön.

10/06/2008

Brazil, Terry Gilliam

Wieder berauscht sich Gilliam an Unordnung. Zitiert werden unter anderem Brave New World und der normale Irrsinn moderner Bürokratie. Brazil schafft es dabei, typisch für eine in den 1980ern entstandene Dystopie zu sein ohne optisch unangenehm aufzufallen.

Die Übermetapher des heroischen Klempners ist tatsächlich maßgeblich für die moderne Zivilgesellschaft: stets gibt es Kräfte, denen man auch mit Krawatte hilflos ausgeliefert ist. Spezialwissen ist immer auch Macht. Jeder braucht Rohre, und wer die Rohre beherrscht, beherrscht jeden. So ist es nur logisch, dass der Protagonist am Ende gegen das System auflehnt, indem er einer Rohrpostanlage das deep throaten beibringt.

Aber leider ist Brazil auch hoffnungslos überladen. Durchschnittliche Regisseure hätten aus dem Stoff 17 Filme machen können.

Generation X: Tales for an Accelerated Culture, Douglas Coupland

Uh, ein Paradoxon: mit dumpfem Trara warf sich einst die Kulturkonsumindustrie vor fast zwanzig Jahren auf das Schlagwort 'Generation X'. Genau diese Sprungbewegung, diese übermächtige Infiltration von Lebenswelt und -gefühl durch Wirtschaft ist es, die der kleine Roman thematisiert. Generation X ist ein Begriff, der dabei Rebellion und Besiegtsein zugleich umfasst. Und Billy Idols Band hieß auch so. Verwirrend.

Vom literarischen her wird Coupland den Maximen der Slogans nicht gerecht, obwohl er mit ihnen kokettiert. Im Gegenteil: wenn es dem geneigten Leser gelingt, die unsägliche Überschrift auszublenden, dann bietet sich ein kluger, witziger und auch sehr schöner Text. Die drei Protagonisten sind mehr als Anführer der Beispielparade, es sind Charaktere die durchaus interessant zwischen Sitcom und Tiefe pendeln und das auch wissen.

Eine schöne letzte Szene hat der Roman auch, sogar beim zweiten Lesen. Es wird mit Blut getauft und mit mental geforderten Menschen gekuschelt. Es geht ins mythische Mexiko, in die Welt am Rand von Americorp, dem Ende allen Franchises entgegen. Dies ist hinsichtlich des Hauptthemas, der Endlich- und Erbarmungslosigkeit der durchkapitalisierten Welt, angemessen.

Coupland ist einer von den Guten; er ist einer von denen, die mit ihrem Debüt in etwas unangenehm zeitgeistiges (und somit profitables) hineinstolperten. Der Blick wandert jetzt ins Regal und sucht Kevin Smith.

Bullitt, Peter Yates

Die Verfolgungsjagd durch San Francisco überrascht. Auf einmal wird die Kamera ein lidlos zuckendes Auge und jedes Aufsetzen der Achse ist am Bauchnabel spürbar. Geschwindigkeit in San Francisco ist eh spannend, was auch Peter Bogdanovich wusste.

McQueen spielt nüchtern, humorlos und direkt. Spielt er sich selbst? Das Autofahren hat er auch selbst erledigt. Als ganzer Kerl kann er sogar rückwärts ohne Spiegel am Hang einparken.

Als Vorfahre des Actionfilms ist Bullitt allerdings überraschend explosionsarm. Egal, die Aura der schönsten und unvernünftigsten Autos der Welt (Ford Mustang und Dodge Charger) hält das Vehikel gut zusammen.

Wall-E, Andrew Stanton

Wirklich neu sind digital erarbeitete Animationsfilme ja nicht mehr. Warum wird dann nicht endlich einmal ein wirklich schlechter Film produziert? Wall-E ist großartig und hebt den Genre-Standard weiter an. Die erwartete optisch-akustische Drolligkeit wurde noch übertroffen. Die zu erzählende Geschichte ist mehrdimensionaler als gedacht und das Auftreten redender fetter Menschen wirft den hübschen Film noch einmal gut herum.

Zu den beiden Protagonisten: Panzerketten müssen nicht bedrohlich sein, doch sie sind das Zeichen einer älteren Generation von Maschinenwesen wie Wall-E. Die neue Sonde Eve schwebt - und sie strahlt hell wie ein iPod bzw. clone trooper. Das besondere sind die Augen, die ausdrucksstärksten Elemente des individuellen Antlitzes: Wall-E surrt obenrum und kleine Servos lassen ihn menscheln. Eve ist anders. Sie hat ein gestaltbares Pixeldisplay als Gesicht. Sie ist theoretisch nicht auf zwei Augen festgelegt und bleibt mimisch flexibel. Zum Glück sind die anderen Roboter auf dem Kolonieschiff weniger ätherisch.

Maschinen sind Menschen überlegen, denn sie können nicht fett werden. Fett ist in diesem Film auch drollig, aber auch müde, dumpf, behäbig und schwach. Auf die Humanoiden wartet also kein Maschinenkrieg sondern eine Schlacht gegen die ungebildeten, schlaffen, entschleunigenden (siehe Gravitation) Fetten und ihre verfleischlichten Leiber.