7/16/2011

How Green Was My Valley, John Ford

Im alten Europa wird noch malocht - bis das Großkapital einmarschiert und die Familie befeuert. Selbige passt sich halt an und ergibt sich nicht in Fisimatenten. Wie politisch kann bzw. konnte John Ford damals sein?

Es ist die Ordnung, die besticht. Da ist ein Rahmen und noch ein Rahmen: das Wohnzimmer, die Straße, die Mine... das sind alles Orte, die eindeutige Handlungen befürworten und mit Sanktionen drohen. Man ist, wo man ist.

Und jeder Dialog sitzt. Es gibt keinen Unfall. Der freche Leide-Bengel (der auch nostalgisch-verhuscht von seiner Kindheit erzählt) nimmt sich nichts heraus sondern lernt Boxen wie eine Cartoon-Figur. Oder lernten Cartoon-Figuren boxen wie der Bengel?

Und nett ist es. Nicht nett im Sinne von belanglos, nein, ehrlich freundlich und frei von Hinweisen auf die Aushöhlung allen Seins. Und wenn die Söhne meutern und sagen, sie würden ins ferne Amerika auswandern, dann müssen die Frau Mutter und die Zuschauer mit den Tränen kämpfen, denn die Celli setzen ein.

Man könnte ja jetzt Scherze machen ob der mangelnden Grünheit in diesem Schwarzweissfilm von 1941. Aber das wäre nicht nett und außerdem am Thema vorbei. Bei den Oscars hat das Ganze ordentlich abgeräumt. Ja. War schon eine nette Zeit, damals, 1941. Ähem.

Fallout 3, Bethesda Softworks, Ubisoft

Das hier wieder. Sandbox, diesmal mit anderem vantage point angegangen.

Und es ist etwas seltsames passiert: da taucht man sich durch zum irren Chronisten/Kypernetiker von Rivet City und der hat dann eine Gesichtsmanipuliermaschine. Und dann drückt man die falschen Tasten und schon hat man den eigentlich afroamerikanischen Protagonisten in einen Eurasier verwandelt. Der Roboter daheim, der immer frische Nuka-Cola hat, konnte nur noch die Frisur retten.

Noch etwas Seltsames: Stufe zwanzig wurde erreicht, ohne gezielte Mutantenjagd in den Schützengräben im ruinierten Washington zu machen. Und es wurden einige Nebenquests entdeckt, die nicht essentiell sind, aber allesamt die Stimmung des Werkes wiedergeben. Wenn man früher auf Dampferfahrt in die Nuklearsümpfe geht, kann man feine Flinten behalten und nutzen.

Es gibt fünf Orte namens Bethesda in den USA.

Ein Mensch jagt nach Liebe, Pitigrilli

Mehr davon. Noch einer vom dem fixen Italiener. Diesmal ein Richter als Protagonist, der an der Dümpfe seines Jobs verzweifelt und (wie könnte es anders sein) zum Zirkus geht, als Clown. Jetzt könnte man die große Symbolismus-Keule erahnen, die Germanen hier wahrscheinlich schwingen würden, aber nein: Pitigrilli setzt nicht auf den großen Moment des Untergangs und der Auflösung am Ende: für ihn steht die Nichtigkeit der zivilen Existenz von Beginn an fest. Wie auf Stelzen schreitet die Schreibe über die trüben Pfützen menschlicher Alltagstunke und seziert beiläufig die Endlichkeiten der Liebe, des Erfolgs, des sogenannten maßvollen Lebens. Hauptsache frische Blumen auf dem Tisch, hu? Und zum Zigarettchen ein unberührtes Dessert.

Am Ende schafft sich der Richter fort und ab, in die Wildnis. Heute, acht Dekaden später, gibt es keine mehr: hier ist vielleicht das Alter an dieser sonst so taufrischen Novelle zu verorten.

Sum: Forty Tales from the Afterlives, David Eagleman

Hier. Minimalste Kapitel! Possibilianism! Brian Eno?! Eagleman ist Hirnmensch und diese kleinen Textlein könnten seine Liegestütze sein, die er für die Arbeit im Labor so braucht. Oder es sind Gutenachtgeschichten für Menschen, die Abends zu wenig zum grübeln haben.

Doch der Produktionsprozess ist recht egal, wenn man den Erfrischungseffekt dieser Polaroids bedenkt: ausgehend von der alten Mär des Lebens nach dem Tod kommt Eagleman zur Zerstückelung des Todesbegriffs selbst ohne gleich in Esoterik abzudriften. Materialismus (über-)trifft Szientismus und belegt die These, dass diese Spezies mit neu gestalteten Erzählungen, mit dem windigen Spielplatz namens Sprache, ziemlich weit kommt. Außer- und überirdisches Leben muss dafür herhalten, wenn es um die Schilderung un-anthropozentrischen Lebens geht.

Mehr davon auch hier. Obgleich da Menschen zu sehen sind, die wohl Hirne haben, sich Hirne anschauen und trotzdem fröhlich sind. Hm.

On Writing: A Memoir of the Craft, Stephen King

... und morgen werden wir alle froh und/oder reich. Ähem. Hier. Herr King rumpelt schnell in seiner unzweideutig freundlichen Schreibe durch die Thematiken seines Berufes. Schön dabei vor allem die autobiographischen Passagen (für die Fäns), in denen er seine Trommelfelle als Knabe und seine Knochenbrüche als Spaziergänger beleuchtet.

Keiner wird hier froh und reich. Entzaubert wird die Angelegenheit allerdings (und das kann ja eigentlich gar nicht genug passieren): es wird nicht auf Musen gewartet und es wird geschrieben, um fertig zu werden. Erste Versionen sind nie OK und die Schreibzimmertür ist wirksames Werkzeug beim Schaffensprozess. Richtig so. Ein Held der Massen und der massenhaften Textproduktion. Das amerikanisch-unprätentiöse ist bei King Pflicht, auch wenn er außer The Shining nichts wirklich Erhabenes geschrieben hat (?). Auch sehr schön: wer keine Zeit zum Lesen hat wird nie welche zum Schreiben finden. Es gibt überall Touristen. Aber das ist schon in Ordnung, die kaufen Brezeln und Soda an abgelegenen Orten und lassen selbige Landschaften dann durch Trinkgeld erblühen.

Google+

So. Drin. Und nun? Einfach den Link hineinzwingen?!

Bekommt man dort nun neue Trophäen, die man sich auflisten kann? Ist der "circle" die neue Liste? Immer an der Wand lang? Wer nimmt meine Bestellung auf? Fragen über Fragen. Nirgendwo wurde bisher nach der Kreditkarte gefragt. Ganz schön verwegen.

Game of Thrones, David Benioff, D. B. Weiss, George R. R. Martin

Schinken in zehn Teilen. Hier. Endlich hat sich der ganze high-fantasy-Quatsch im Kino ausgezahlt und sich in's TV gespült. Sean Bean hat sich enthörnt und gibt den glücklosen Beinahe-Regenten und der Typ, der bald den neuen Conan gibt ist der Barbarenprinz im Wilden Osten. Ein Trainee, aber mir arg tiefer Stimme. Gut so!

Inhaltlich Standardkost, aber noch nie derart für den Flachbildfernseher der oberen Mittelschicht konzipiert: ein dutzend Schauplätze vermengen sich zum Eskapismus, der sich wie immer von einer Landkarte her abspult: bei Buchschinken ist sie den vielen, vielen Seiten vorangestellt und auch bei GoT bestimmt sie den Vorspann. Oben, unten, rechts, links: die schöne flache Welt, die ganz ironiefrei für gute alte Royalistenepik herhalten muss. Nacktheit und Derbheit erschrecken zunächst, finden dann aber ihren Platz. Kopf ab heißt Kopf ab und Prostituierte sind die einzige Unterhaltung in einer Welt ohne Sony Playstation Network.

Optisch eine Wucht und vom Drehbuch her genretreu. Dialoge sind klug und nicht hypermartialisch-dümmlich. Naiver Symbolismus ist ja Pflicht hier, aber GoT macht seine Sache gut. Kein Wunder: Benioff (City of Thiefs, 25th Hour) ist einer der patentesten Schreiber wo gibt und wusste schon lange zu beeindrucken - wenn es denn Richtung Breitwandunterhaltung ging.

7/11/2011

Faith, Madness and Spontaneous Human Combustion, Gerald N. Callahan

Einmal Pathologie als Ontologie, beziehungsweise der Flüchtigkeit von letzterer. Der Autor untersucht die Wasserbeutel namens Menschen und stellt an ihrer theoretischen Verderblichkeit und konkreten Fäulnis die Basiseinheiten des (Über-)Lebens fest. Das Immunsystem wird als solches erkannt und ausformuliert. In enormer Rhetorik wird ihm der gesamte Neurokomplex untergeordnet. Wo würden wir denn hinkommen, wenn wir nur denken und uns nicht wehren könnten?

Systemtheorie in ihrer schönsten Form, und zwar im Angesicht des stetig drohenden Untergangs.

Die Hirnlosen können sich zumindest die Lungen frei husten und überleben auch so ganz gut. Ihr Fleisch ist stetig in der Defensive. Überhaupt herrscht Krieg in den Kanälen auf und im Körper und selbst Narbengewebe gibt es hier in zweiter Ordnung: man nennt es Immuninät und Erfahrung. Jawohl, man ist seine Geschichte. Man ist, was man aß und überlebte.

Der Autor ist nicht nur Naturwissenschaftler. Deshalb versammeln seine Essays auch viele autobiographische Details und veranschaulichende Episoden. Die spontane Selbstentzündung wird dabei freilich auch beschrieben - aber vielleicht ist das auch nur ein Märchen, dass auf das interstellare Kreuzfeuer schließen lässt, das alle Mehrzeller anscheinend durchzuckt. Und wenn du denkst es geht nicht mehr kommt vom Inneren ein Flammenblitz her.

7/10/2011

Alle Toten fliegen hoch. Amerika, Joachim Meyerhoff

Seltsamer Titel, aber einer der am schnellsten gelesenen Romane des Jahres. In zwei Sitzungen durchgerissen, denn: ei, was ist der lustig auf gute Art und Weise! Der Adoleszenzroman und die Jugenderinnerung überfordert ja meistens die wenigsten Leser und umso kniffliger ist es, hier etwas packendes zu erzählen.

Herr Meyerhoff schafft das und erzählt von seinem Austauschjahr in Wyoming, das durch einen Todesfall daheim unterbrochen wird. Überraschenderweise benutzt er die deutsche Sprache auf gute Art und Weise und erzählt, ohne zu fabulieren. Er erinnert sich und bauscht weder große Lektionen oder epische Spannungsbögen auf. Ist das Realismus? Das ist vielleicht zivilisiertes Schreiben: keiner soll ausgeschlossen werden und eine erfrischende uneitle Distanzlosigkeit des Ichs beschwingt das umblättern. Womöglich ist die Theaterversion auch damit beschwingt.

Heinz Strunk ist anders, da direkter. Meyerhoff ist ebenso sympathisch, weil er auch so pragmatisch-weise. Autorität durch Aufrichtigkeit. Erfreulich in jeder Beziehung.