3/11/2010

Kingdom Come, JG Ballard

Ein traditionsreicher britischer Ellenbogenhiebverteiler langt ordentlich ins Genick. Ballard ist Spezialist für dystopisch-utopischen Zynismus ohne rettende Pointe. Vor der Existenz des Konsumgrabens wurde bereits die Betoninsel konsumiert und auch Crash. Beides ziemlich herbe Verstörer.

Ein Pessimist? Nein, Ballard ist ein Überleger. Leider gibt er mit Kingdom Come den Lesern Futter, die die Welt in Pessi- bzw. Optimisten teilen.

KC ist anders als die Marke Ballard, die durch obengenannte Werke etabliert wurde. Das Produkt ist vielleicht für Kulturwissenschaftler interessant, die stetig Konsumenten ächten wollen, ohne die Vokabel "Kulturindustrie" zu benutzen. Interessierte Leser lernen hier wenig neue Dinge: ja, freilich ist der detraditionalisierte Mensch im freien Fall und auf Sport und Hooliganismus angewiesen! Das muss man doch nicht in einem Roman betonen. Natürlich gibt es spirituelle Verwahrlosungen in den Vororten. Und selbstverständlich braucht der Hochkapitalismus diverse Banner, damit auch alle im Gleichschritt unter Sauron marschieren.

Schade, Herr Ballard. Wo sind Ihre Zähne? Oder schreiben Sie jetzt etwa zum satt werden?

Alice im Wunderland, Tim Burton

Hui, 3D zum Dritten. Es ist zu sagen, dass Tim Burton schon lange im Wunderland weilt. Seine Werke sind bislang immer Postkarten aus Groteskien mit einem Übermut zum Überschmock. Nun also die technisierte Exegese des Monströsen: gut schaut's aus. Das digitale Kino hat Burton nicht erschlagen, er hat es vielmehr erobert und den typischen Bonbon-Goth-Chic knallhart durchgezogen. Und Lewis Caroll hat diese Optik mit seiner herben Mädchenmär schon vorweggenommen.

Wunderland, Unterland, Zunderland. Die Wahrheit unter der Oberfläche. Elementare Absonderlichkeit.

Alice selbst ist somit mehr als ein Kleiderständer. Das frostig-traurige Blondkind ist eine Wucht und wird zu keiner Zeit von den Bildwelten überrumpelt (vielleicht war das das Problem beim Planeten der Affen: zuviel Latex in den menschlichen Antlitzen). Selbst im Harnisch ist sie ein tapferkluges Geistwesen. Die anderen famosen Darsteller dürfen lustig sein ohne lächerlich zu wirken. Gute Sache, das. Trotzdem wird einem beim 3D-Sturz durchs Kaninchenloch etwas übel.

3/08/2010

Cryptonomicon, Neal Stephenson, Teil 1

Man könnte meinen, im Graben wird gar nicht mehr gelesen.

Doch, das wird es: nur hat dieses Produkt von Herrn Stephenson 1200 Seiten.

Was lässt sich bis jetzt (Seite 700) festhalten? Wortgewandt und ultra-gescheit klabautert sich der Autor durch Zeiten und Kontinente, es geht ums Dechiffrieren und um Informationswissenschaft in Theorie und Praxis. Außerdem gibt es Bomben, Boote, und Kannibalen. Pynchon light? Vielleicht muss sich Stephenson das öfter anhören. Jedenfalls schafft er es wie kein zweiter, zwischen Popcorn und Anspruch einen reinrassigen hyper-suspense-thriller zu fabrizieren, der überaus humorvoll in die Weiten (und Untiefen) der Wissensgesellschaft einführt.

Stephenson hat das Ding 1999 vorgelegt. Wie hätte er es heute geschrieben? Und hätte google.com ihn mit Klagen überzeugen? Wohl kaum - dafür ist er viel zu klug. Hoffentlich halten die letzten 500 Seiten, was der erste Batzen verspricht.

Bis dahin: es gibt einen schönen wiki-Eintrag zur legendären Enigma-Maschine. Den kann man aber erst richtig würdigen, wenn endlich die letzte Seite von Cryptonomicon erreicht wurde. Zackzack!?

Year One, Harold Ramis

Ramis ist doch einer von den Guten. Warum macht er dann so etwas? Hier spielen so viele Menschen mit, die für sich allein komisch sein können. Könnten. Ja, wenn denn! Year One ist Unfug, der nicht wirklich Spaß macht. Bis auf ein paar räudige Rumpelscherze kann das faserige Gezuppel nicht überzeugen. Ist es nun eine Bibel-Persiflage? Ein Anti-Emmerich? Ein Frisuren-Krimi?

Vor allem die Fäkalienspielereien nerven eigentlich nur. Aber vielleicht gehört das dazu: die leidlich erfolgreiche Klamotte Dumm und Dümmer mit dem damals noch hoffnungslos unterforderten Jim Carrey hat eine gewaltige Diarrhoe-Szene. Muss das also sein? Es ist ein schmaler Grat zwischen Schmutz und Scherz... Year One verbockt es. Ein Film ist mehr als die Summe seiner Teile. Ein Drehbuch wäre auch gut.

Død snø, Tommy Wirkola

Der tote Schnee ist eine Metapher (die einzige in diesem arg direkten Film) für tiefgefrorene Nazi-Zombies, die ein paar zunächst fröhliche Rodler zermatschen. Ja, zermatschen. Das Genre heißt Splatter und hier fällt niemand so einfach um - nein, es muss auch jeglicher Appetit aus dem Zuschauer getrieben werden. Signifikant ist die berufliche Intention der jungen Opfer: es sind angehende Mediziner, sie wollen mit Körperwelten Geld verdienen. Einer von ihnen (der sich noch am erfolgreichsten gegen die furchtbar glucksend-schleimigen Uniform-Germanen schlägt) kann zunächst kein Blut sehen. Haha. Wenn es denn nur ums "sehen" ginge. Ha.

Für alle, die die Relevanz dieser Art von Produkt in Frage stellen: es gibt Filmfestivals, bei denen nur solcherlei Filme gezeigt werden. Und ein gewisser Herr Jackson, der sich jetzt mit Hobbits und Mittelerden rumschlägt, hat einst als Regisseur von Braindead die wohl größte Referenz dieser Klasse geschaffen.

Freilich wurde hier außer totem Schnee ein ekelhafter Film erwartet, denn wo die Geschichte klar ist und keine Spannung aufweisen kann (wie das so ist beim Splatter), muss die Bestürzung des Zuschauers das Maß aller Dinge sein. Man muss sich fragen, warum man sich solchen Mist überhaupt anschaut. In jener Hinsicht verdienen diese Winterspiele eine Goldmedaille. Man muss es wohl sportlich sehen. Denn irgendwie ist das Produkt sympathisch, auf diese nerdige, abgründige Horrorkonsumentenart - wahrscheinlich sind es die vielen Genrezitate, die eine subkulturmäßige Heimeligkeit schaffen. Freilich auf ganz widerliche Art und Weise.