2/25/2009

96 Hours, Pierre Morel

Dirty Harry, aufge-Bourne-t? Eine positive Überraschung ist die Rücksichtslosigkeit dieses Geiseldramaselbstjustizaktionsfilms. Die osteuropäisch angemoslemten Widersacher sind so furchtbare Verbrecher, dass es nicht schade ist wenn sie Zähne und Gehirnmasse verlieren. Es ist ganz klar, wer die Bösen sind. Deswegen ist Kino so toll: hier ist die Welt überschaubarer. Keine Diskussionen - die lenken nur von der Urteilsvollstreckung ab.

Die Effekte und die Akrobatik sind nicht revolutionär sondern ehrlich und treffend. Trotz einiger Irritationen hinsichtlich der Logik ist das ein schöner Film. Neeson ist beweglich und ausdrucksstark und darf ruhig mehr derlei Filme drehen.

2/23/2009

Der Plan von der Abschaffung des Dunkels, Peter Hoeg

Die Kindheit im Heim ist hart und grausam und die Grausamkeit eines Zeitgeistes kann man stets an der damals vorherrschenden pädagogischen Denke festmachen. Päd-ploitation, quasi. Aber Hoeg hat mit seinem Roman mehr vor als nur von den erzieherischen Verwirrungen des zwanzigsten Jahrhunderts als Augenzeuge zu berichten, nein, er referiert über das institutionelle Aufwachsen insgesamt. Er geht dabei die Poesie der Zeit an. Traumatisches wird dabei zum Beweis des Seins in der Zeit.

Und Hoeg verhebt sich. Mit kühler halblauter Stimme berichtet er von Zucht und Ordnung und harten Lektionen und Opfern und Tätern. Zwischendurch parliert er über Zeit und ihre Bewandnis. Die eigentliche Handlung ist leidlich spannend, allerdings nur durch die zurückhaltende Erzählweise des sich erinnernden Erzählers.

Zerbrechlich ist das Geschichtchen, ja, aber das ist kein Synonym für "interessant".

The Noonday Demon: An Atlas of Depression, Andrew Solomon

"Atlas" impliziert eine umfassende Darstellung, eine kühle Durchmessung des Themenraumes, quasi. Das trifft auf das vorliegende Buch nicht zu. Solomon hat zugegebenermaßen sehr viel geschrieben, doch er packt es eher in lose zusammenhängende Essays. Das steht dem Werk aber sehr gut.

Solomon ist Buchautor und Patient. Interessanterweise war er schon immer reich, denn sein Vater ist dick im Pharmageschäft (auch Psychoprodukte, jawohl) und so konnte er eine ordentliche literarische Ausbildung genießen. Ein echter "akademischer Arbeiter" ist Solomon nicht. Er reichert seinen Atlas mit vielen persönlichen Episoden an und gibt sich dabei sehr offen - die Depression an sich steht aber immer im Mittelpunkt seiner Betrachtungen. Eine Menge Recherchen und Interviews stützen sehr interessante Texte, unter anderem zum Thema Wirtschaft, Gesundheitssystem und Selbstmord. Auch hochinteressant ist die Beschreibung der Heilmethoden in Afrika und bei den stets schwermütigen Inuit: dabei tritt Solomon aber nicht als weißer Richter auf, sondern unterstreicht die grundlegende menschliche Erfahrung der Hoffnungslosigkeit. Ihm geht es nicht um Präzision und klare Antworten - er versteht die Depression als ein aus dem rein medizinischen Diskurs zu befreiendes Thema.

Noonday Demon ist sehr fein und sehr persönlich geschrieben - für ein in das Thema einführendes Buch ist es zu dick und ausgeschmückt doch jeder, der sich auch nur ein wenig mehr mit der Depression als Zustand und Konzept befassen will, kann sich hier gut festbeißen.

Ham on Rye, Charles Bukowski

Ein einzigartiger Autor salingert sich durch seine Kindheitserinnerungen und mittelfingert den besagten Platzhirschen kurz ab.

Bukowski ist eine Wucht, so war es und so wird es immer sein. In Ham on Rye beschreibt er die Kindheit und Jugend seines alter egos Hank Chinaski, der ja später auch bei der Post stempeln geht. Der deutsche Titel ist freilich Unfug: "Das Schlimmste kommt noch" konnte nur von einem uninteressierten Lektorat bestimmt werden. Auch sachlich ist das unangebracht. Die miserable Existenz des Henry C. ist und bleibt beknackt und keinesfalls lässt er sich dazu herab, auch nur irgendetwas von der Zukunft zu erwarten, und sei es etwas Schlimmeres. Das macht ja gerade die rohe Kraft dieser unzensierten Adoleszenzierung aus: hier schreibt einer, der schon mit vier Jahren depressiv war. Diese schwarze Perspektive legt die kleinbürgerliche Scheinwelt offen und Chinaski trifft niemanden, von Vorschule bis Kneipe, der nicht ebenso gebrochen ist wie er selbst.

Bukowski ist nicht am Wohlergehen des Lesers interessiert. Hier gibt es keine Umarmungen und Erläuterungen und niemand gibt einen Scheiß auf Deine Mutter. Und gerade diese Ehrlichkeit, die entsteht, wenn alles Prätentiöse fehlt, fesselt. Der wunderbar trockene Abgang des Buches hallt deshalb auch lange nach. Der erwachsene Chinaski spielt mit einem fremden Kind, nur kurz, aber diese Konfrontation löst etwas in ihm aus: er geht fort und seine Geschichte endet.

Im Konsumgraben ist Ham on Rye ein besonderes Buch, denn die deutsche Ausgabe mit dem dämlichen Titel wurde schon vor vielen Jahren verschlungen, allerdings wurde sie dann lange im Regal vergessen. Beim erneuten Lesen im Original konnte die Freude an Bukowski wiederholt und gesteigert werden. Das lässt freilich Rückschlüsse auf die Geschmacksgenese des Konsumenten zu. Vielen Dank an Bukowski und die JCD-Stiftung.