6/28/2008

The Contortionist's Handbook, Craig Clevenger

The Contortionist's Handbook befasst sich mit der Rolle von Information und Datenverarbeitung im Innen und Außen des Individuums. Der John Doe heißt hier John Dolan Vincent und ist auf der Flucht. Er ist ein Fälscher, der sich und anderen neue Namen, neue Papiere und neue Biographien besorgt. Der Roman spielt in den glorreichen 1980ern, als die digitale Erfassung des Einzelnen erst begann.

Als Identitätsnomade muss Doe/Dolan einsehen, dass man eben doch Spuren hinterlässt, sogar in Kalifornien. Das Gefängnis des eigenen Körpers erschwert die Existenz: mit einem Finger zuviel, rotem Haar und einem eklatanten Drogenproblem werden die Dinge nicht wirklich einfacher. Ein Lügennetz bietet da mehr Stabilität als der Mensch an sich, sollte es ihn denn geben.

Dieser kompakte Roman beeindruckt auch durch eine zwar schemenhafte, aber doch eindringliche Schilderung von Romantik (jawohl!) in Gestalt einer Jane Doe. Außerdem gibt es eine verkorkste Vaterfigur, die am Besten von einem durchtätowierten Billy Bob Thornton verkörpert werden sollte.

6/26/2008

Demon Theory, Stephen Graham Jones

Ein enormes Vehikel. Jones hat nicht nur einen Roman geschrieben, sondern eine Filmtrilogie. Oh ja!

Das Kaufargument auf dem Cover nennt als Referenzen zum einen Wes Craven, Gottvater aller erschreckten Teenager und zum anderen David Foster Wallace, seines Zeichens ein sehr erfrischender US-Literat des sinnverschränkten Gebrabbels. Dieses name dropping ist gerechtfertigt.

Die Handlung selbst ist unter dem Stichwort Slasher zu verbuchen. Es geht um eine Schar Heranwachsender, ein Horrorhaus, plakative Konfliktbewältigung, Messer, Unfälle, Medizin, Hysterie, Verfolgungsjagden. Dabei steht beim ersten Teil eine einfache Grundhandlung im Vordergrund: ein scheuer (verdächtiger) Bursche will mit seinen Freunden zu Muddi und ihr Insulin (der wohl simpelste MacGuffin des Genres) bringen. Dabei geht's freilich hinaus aufs Land, in das einsame Elternhaus und hin zur aufzudeckenden furchtbaren Familiengeschichte. Dies ist nicht das einzige Mal, dass man an Danielewskis House of Leaves erinnert wird.

Sequel eins verlegt das Gezeter ins Krankenhaus, hier gibt es Dramatik dank Medikamenten, Heizungsräumen, Skalpellwürfen und Videoüberwachung. Sequel zwei (die Rückkehr zum Horrorhaus) erschüttert und revidiert die Bedingungen des vorangegangenen Grauens und bringt das Ganze sinnvoll zum Abschluss.

Und der Tod kommt von oben, woher auch sonst? Gargoyle (also die Dinger, die u. a. Marvels Green Goblin stilistisch beeinflussten) zerledern die Luft und schnappen sich kreischende junge Menschen. Verwirrend nur, dass sich manche Charaktere auch gern mal als Gargoyl verkleiden.

Die Lektüre von Demon Theory ist trotz der eigentlich ja recht simplen Slasher-Theatralik anspruchsvoll. Es ist schlichtweg eine enorme Menge an Handlungen, die sich über wenige Zeilen ergießen: hat er die Waffe noch? Ist sie die Treppe hinuntergefallen? Wer hat denn nun die Küche angezündet? Demon Theory muss sehr genau gelesen werden, gerade weil innere Monologe und essayeske Exkurse im Text selbst fehlen. Nach dem genauen Lesen wird man aber belohnt: wunderschöne Parallelismen tun sich auf und zwischen den drei Teilen können diverse (blut-)rote Fäden verfolgt werden. Zum Beispiel verliert der Knabe, der mit Amputationen kokettiert, am Ende tatsächlich einen Arm. Diese Prothese dient ihm und anderen dann wiederum als Schlag- und Stichwaffe. Herrlich.

Außerdem kann man fix die Spur verlieren: nicht weniger als 300 Zitate und Zitatzitate (bis in die siebte Ebene) füllen den Anhang. Ah, hier sind die inhaltlichen Ausflüge, die im Text selbst unterschlagen werden. Pseudowissenschaftliches Geschwätz mag das sein, aber enorm unterhaltsam. Endlich kann die Verbindung von Lee Majors, She-Hulk, dem Blob und Descartes gefunden werden. Jones gelingt es tatsächlich, einen Film zu schreiben - mit der "Pause"-Taste in Reichweite.

Demon Theory ist die Darstellung von zeitgenössischen Geschichtenkonsumverhalten. Es ist unterhaltsam, überraschend und beliebig tief. Ein großer Spaß. Ist der Roman trick, treat oder beides? Für den an Horrorhumor nicht interessierten Leser ist er auf jeden Fall unlesbar.

Demon Theory verfügt auch über das wohl sympathischste Nachwort des Jahres, in dem weitere Konsumempfehlungen (neben den Zitaten) vom Autoren ausgesprochen werden und er seine Fan-Werdung beschreibt. Großes Tennis. Halloween ist mehr als ein Film oder ein Datum. Wes Craven ist ein wichtiger Amerikaner. Demon Theory ist nicht nur ein Roman. Und Stephen Graham Jones ein Autor, den man nicht vergessen sollte.

The Cocka Hola Company, Matias Faldbakken

Aus Norwegen! Hurra!

In der Mitte der Geschichte steht wie so oft Pornographie. Genauer: es ist ein Firmen-Info-Meeting von beteiligten Produzenten und Darstellern. Doch wer nun errötend-erotische Reibliteratur erwartet, wird enttäuscht. Diverse Gestalten sind aus unterschiedlichsten Gründen an die Firma gebunden und tragen unterschiedliche Konflikte mit der Umwelt aus.

Der Überrevolutionär namens Simpel (sic!) nutzt die Pornofirma zur Finanzierung seines Kulturterrorismus, der sich auf die Zerstörung alles Artigen konzentriert.
Es ist so schön zu lesen, dass man Kunst und Kultur und den ganzen anderen Bockmist so unterhaltsam hassen kann. Dies widerspricht dem Klischee des lockeren Skandinaviens durchaus. Aggro geht immer. Und diese Galeristenschnepfen hat er schon immer gehasst.

Die offensichtlichste Verbeugung vor Friedrich Nietzsche findet sich wiederum in einem Kind (wie auch bei Speed Racer, aber ohne Affe und böse): der Grundschüler Lonyl ernährt sich von Rindfleisch und ist einer der derbsten und gefährlichsten Minderjährigen wo gibt. Dazu braucht er keinen Hip Hop oder sonstwelches Pop-Gedöns - er springt, kritzelt und beißt und es ist eine Freude, ihn bei der Destruktion der allgemeinen Schulkultur zu begleiten. Die einzige Antwort auf Adventsfeierfaschismus kann laut Feldbakken (und Lonyl) nur das Einschmuggeln von drastischen Filmen sein.

Und zum Schluss muss sich der misanthropische Aktivist Simpel eingestehen, dass sich auch das wildeste Zucken im ewigen Kreislauf des Marktes bewegt.

Ein schönes, schnoddriges Buch. Und nach der letzten Seite geht man erstmal Hände waschen.

The Bank Job, Roger Donaldson

Die erste halbe Stunde ist etwas zäh, doch dann stellt sich durchaus Schaulust ein.

England in den 1970ern: diverse Parteien wollen diverse Dinge aus einem Tresorraum. Die illustre Schar macht sich diverse Hoffnungen mit unterschiedlichem Vorwissen. Sex, Verbrechen, Geld, Information. Teils soll das Ganze auf realen Geschehnissen beruhen. Fraglich nur, wie sehr.

Das Genre der Bankraub-Filme ist ja schon etwas mystisch: da wollen ein paar Gestrauchelte kurz ins Elysium (Tresor) und sie schwitzen dafür und schleichen und machen und tun. Für das Recht auf Glück in modernen Zeiten beginnen die Helden mit dem archaischen Ausheben von Tunneln. Ein Hurra auf die Spatenkunst. Sie brechen in eine Zelle ein und hoffen dann, sie so flink zu verlassen dass sie dann nicht zwangsweise in einer anderen Zelle untergebracht werden. Wahrhaft gratwandernde Raumfahrt.

Der beste Bankraubfilm ist aber immer noch Welcome to Collinwood, auf germanisch Safecrackers.

6/23/2008

Culture Jam, Kalle Lasn

Lasn ist dagegen: er zürnt auf die durchkommerzialisierte Welt, die den Konsumenten zur Kaufmaschine degradiert. Lasn scheint Humanist zu sein. Er schreibt von Psychohygiene und virulenten *memes*, die sich des menschlichen Geistes bemächtigen und letztlich die westliche Zivilisation verkrüppeln. Mit der Glotze in den Abgrund.

Nach der flinken Lektüre stellt man fest, dass Lasn gar nicht soviel neues erzählt. Widerstand gegen Marketing ist auf dumpfe Weise vielen Menschen bekannt - aber auf eine ganz eigentümlich oberflächliche Art und Weise. Das Erkennen von Manipulation gehört zum guten Ton und man überlegt schon arg, bevor man sich den Amazon-Warenkorb vollklickt wie ein neureicher Chinese.

Seit dem Erscheinen seines Buches ist mit den Matrix-Filmen sogar eine märchenhafte Visualisierung seines schmissig formulierten Anliegens entstanden. Lasns Rhetorik kann auf junge Leser nur sexy wirken, vor allen Dingen auf die arme (mit geringer Kaufkraft ausgestattete) Mehrheit davon. Wer sich die frischen Nikes nicht leisten kann muss sich halt einreden, dass er sie gar nicht haben will. Da kann man dann die Matrix schauen und grob eingespielte Gitarrenmusik hören und sagen, dass man ja gar nicht so ein Opfer ist wie die anonyme Rest-Masse, die döö(ö?)fere.

Culture Jam sagt: die Hölle, das ist der galoppierende Kapitalismus. Disney und Calvin Klein machen arm, doof, krank und depressiv. Lasn lobt explizit die Punk-Bewegung und distanziert sich von den GenXten Slackern der 1990er.

Wer will denn Revolution? Klar ist TV blöd, aber ohne TV schaut man nur eine Tapete an. Da kann man dann schlecht drüber reden. Und außerdem: die Hölle, das sind vor allem die anderen und warum sollte man denen durch Anti-McD-Aktionismus die Welt verschönern? Der Westen erfährt einen Anstieg der Kinderlosigkeit und somit ein Abebben von langfristig angelegten Zukunftsentwürfen.

Lasn ist eine der führenden Persönlichkeiten bei Adbusters. Ein nobles Ziel und mehr als ein zeitgeisty Exkurs.

Aber Lasn scheint eins nicht verstanden zu haben: hier kommt keiner lebend raus. Ist das nicht eine Grundmaxime des Punk? Ach, Kalle.

Next, Lee Tamahori

Ein weiteres Stück Blockbusterkino aus dem Nachlass von P. K. Dick.

Cris (Cage) kann in die Zukunft sehen, aber nur zwei Minuten. Das macht das Schreiben eines vernünftigen Plots eher knifflig. Im Falle dieses Films geht man einen einfachen Weg, der allerdings funktioniert und das Hirn des armen Konsumenten nicht allzusehr überfordert. So kann auch Jessica Biel eingebaut werden, und was kann daran schlecht sein?

Aber: das Thema Hellsehen wurde mit Minority Report besser behandelt (Cruise mag nerven, aber er funktioniert in jenem Film ganz gut). MR hatte auch ein dickeres Budget. Die Effekte bei Next wirken teils doch arg alt.

Aber 2: wer einmal Blade Runner sah, für den sind andere Dick-Verfilmungen zwangsläufig eher unaufregend.

Die Musterknaben, Ralf Huettner

Der lief sogar im Kino. Aber warum?

Gesehen wurde mit Die Musterknaben ein betont ranziger Werktagskrimi. Die unsägliche Hip Hop Untermalung weist auf das obskure Jahr 1997 hin und lässt einen schaudern. Die Darsteller wirken nett. Die Handlung ist mäßig spannend. Der Abspann kommt überraschend, aber wenn er denn da ist, dann ist das auch gut so. Warum hat dieses Produkt einen so guten Ruf?

Laut wiki befasst sich das Sequel dieses Werkes mit Phil Collins im Puff. Aha. Immerhin eine nette Idee.