11/23/2007

Abbitte, Joe Wright

Blumentapete herrscht. Diese Literaturverfilmung bedient sich eines jungen Stoffes von einem der meistgehypten Schreiber Britanniens und ist ein Klotz voll Farbe, Wucht und Drama auf Stelzen.

McEwan kann auch schlechte Bücher schreiben, meist macht er das aber mit seinen besseren Werken wieder gut. Abbitte war und ist ein überraschend schmaler Roman mit einer kompakt gelieferten Meditation über Schuld und Sühne. Nun also das alles auf Film.

Und es ist alles auf einmal sehr aufgeblasen. Das tut der Optik gut: die Gartensymbolik rauscht dahin. Ums Herrenhaus herum gibt's Gestrüpp und Zwielicht, Dinge wachsen im Verborgenen, trallala. Der zentrale Brunnen ist das Taufbecken und uns' Piratenbraut (zu der später mehr) macht sich und den Knaben nass. Die Kriegszenen sind perverserweise schön: es wird nicht wirklich gekämpft doch es gibt eine ausgiebige Ruinen-Tour. Als Bilderwelt ist Abbitte ein schickes Teil. Die Bündigkeit des Romans hat aber jede Geltung für den Film verloren und so mäandert der Plot mit allerhöchster Grimmigkeit durch die Zeitebenen.

Dass das Ding schlussendlich in der Gegenwart ankommt geht im Buch ganz gut, doch im Film wirkt es wie eine nachträgliche Versalzung des Stoffes. Da wird auf den letzten Metern noch mal ein grosses Fass aufgemacht ohne dafür noch Zeit zu haben.

Abbitte ist auch ein weiteres Beispiel für furchtbare Kinder im Film: groteske Minderjährige bevölkern diese Welt und richten allerhand an und aus. Ein Hoch auf die Besetzung hierfür: so grausige Gnome gab es selten. Äpfel und Stämme.

Keira Knightley kann sich mit Abbitte bestimmt nicht vom Piratenschatten lösen. Sie beeindruckt zwar mit elfenhafter Gestik aber ist von der Mimik her recht flach. Genetik und Hunger reichen irgendwie nicht ganz. Vielleicht hat die Synchronisation alles verhunzt. Schätzelein, lach doch mal.

Alle Jahre wieder. Jetzt erst mal ein Schnaps zur Verdauung.

Rechtfertigung

Hier gab es eine Zwangspause. Die Schuldzuweisung deutet in eine bekannte Richtung. Ein Spaten flog.

11/19/2007

The Premature Burial, Roger Corman

War 1962 ein gutes Jahr für Schocker? Jedenfalls sind Umsetzungen von Poe fürs Kino eine wunderbare Sache. Grandmasta Grusel baute seine Geschichten um eine Idee herum, die optisch gut aufgemöbelt knappe anderthalb Stunden durchaus unterhalten kann. Als hätte er er die Bedürfnisse Hollywoods vorausgeahnt. Corman hat einige solcher Filme fabriziert und konnte davon ganz gut leben.

Freilich ist das hier ein Genrefilm, eine Aneinanderreihung von Blaupausen - doch ist gothic fiction das nicht immer ein wenig? Überraschenderweise ergibt sich ein leichter Nachhall von Plan 9. Dies geschieht vor allem, weil Corman die Nebelmaschine anscheinend stetig laufen ließ, jedenfalls in den Außenaufnahmen. Spukig.

Der vom Tode besessene Protagonist baut sich also die idiotensichere Krypta - und gibt sie für die Liebe seines Lebens wieder auf. Es ist zu beobachten, wie hysterisch er sich eigentlich verhält. Stimmungsschwankungen und lähmende Panik sind dem Ideal des tough guy diametral entgegengesetzt und sorgen in der Umwelt freilich für Bestürzung.

Auch sehr cool der Sarg mit dem kleinen Fenster über dem Gesicht. Der Scheintote konnte seine Augen öffnen, doch bleibt reglos. Wenn die Sargträger doch nur herschauen würden! Doch nein: dem Toten schaut man nicht ins Gesicht. Sehen und nicht gesehen werden. Dabei besteht eben doch ein verstohlenes Interesse an den Verstorbenen: Mediziner und Forscher experimentieren in Kellern mit Strom an Leichen herum und Totengräber verdienen ihr Geld mit dem Spaten. Ganze Gebäude werden um den Tod, um Totes herum errichtet und doch darf der Kern des Ganzen nicht erörtert werden. Schlösser, Burgen, Grüfte: was geht rein, was kommt raus?

Erfrischend.

11/18/2007

Planet of Slums, Mike Davis

Uah, Sachbuch. Aber wie! Herr Davis liefert eine enorme Anzahl von Fussnoten und Verweisen und hält sich nicht etwa mit der Ästhetik des Schmutzes in einer quitschsauberen Erstwelt-Optik auf. Vielmehr umreisst und erläutert er die Lebensbedingungen von vielen, vielen Menschen die weit, weit weg wohnen. Hier soll keine soziologisch-geopolitische Kompetenz geheuchelt werden: für eine Fachdiskussion reichen die Kapazitäten im Graben nicht. Das tat der faszinierten Lektüre aber keinen Abbruch.

Städte sind seltsam, als Metapher und als Heimat. Wittgensteins Sprachspielerei trifft Darwin trifft Natur vs. Kultur und so weiter. Architektur wurde ja schon bei Ayn Rands Roman als ergiebiger Denkrahmen ausgewiesen.

Slums of today: Kinder in Nairobi setzen Fäkalien in Flaschen als Erpressungsmittel ein. Andere Nachbarschaften wenden sich Spiritualismus und Hexenkult zu da ihr Leben von grundauf furchtbar ist. Scheiterhaufen türmen sich neben den Highways. Kabul erstickt in einer Decke aus festgetrampeltem Müll. In Brasilien wachsen die Slums einzelner Megaplexe zusammen und werden zu unkontrollierbaren mehrstöckigen Sümpfen.

Bahnbrechende Neuigkeiten sind nicht zu finden, aber eben Genauigkeit. Für Davis ist es der neoliberale Oktopus, der mit Privatisierungswahn und fadenscheinigen Hilfsprogrammen die urbanen Eiterbeulen eher erstarken als veröden lässt. Der ehemalige Fleischhauer und heutige Soziologe betont aber auch, dass es im dritten Jahrtausend "weit, weit weg" als Koordinate nicht mehr gibt. Er kritisiert sowohl zweidimensionalen Almosen-Optimismus als auch die dumpf-schicke Haltung von ökologischen Romantikern. Die Dinge sind komplizierter als man denkt und vor allem sind sie sehr viel schmutziger.

Durchweg lesbar, durchweg ernüchternd. Zum Weiterlesen mag sich Davis' Aufarbeitung des Viktorianischen Zeitalters oder die Ökologie der Angst in Kalifornien anbieten. Oder der Blick wandert zu Sennett: vielleicht beantwortet sein "Fleisch und Stein", welches Material letztlich härter ist.