4/18/2011

9to5: Days in Porn, Jens Hoffmann

Hier. Der Dokumentationsmarathon nähert sich dem Ende... zunächst. Mit diesem preisgekrönten Werk über die kalifornischen Fleischfilmer erhält der interessierte Zuschauer Zugang zu menschlichem, allzu menschlichem. Das war zu erwarten.

Aber was wird noch geliefert? Es werden Menschen gezeigt, die man so wahrscheinlich nicht sieht: wie sie an ihrer Branche genesen und zugrunde gehen. Die über mehrere Monate begleiteten Charaktere, äh, echten Menschen, haben Pläne und Hunde und Hypotheken und finden einen Platz in der zugegebenermaßen gewaltig großen Pornowelt. Viel spielt sich im Auto ab, wahrscheinlich ist in den beigegrauen Feldern kalifornischer Pendlerödnis ein Interview am ehesten zu führen.

Es scheint, als ob die Flüchtigkeit der hier massenhaft produzierten Medien sich in den Leibern selbst niederschlägt - keiner hat Bestand. Vielleicht ist es ja das Echo von Decasia aber 9to5 ist einer der nihilistischsten Filme überhaupt: es gibt noch nicht einmal einen moralisierenden Moderator, der als Sollbruchstelle herhalten könnte, es gibt nur den (vielleicht inhaltlich ungewöhnlichen aber vor allem) enorm unstetigen Lebenstrott der Brancheninsassen. Ist das bei Bänkern auch so? Den stabilsten Lebensentwurf scheint hier die als Ärztin tätige Exdarstellering zu haben: sie behandelt STDs und klärt über die Endlichkeiten und Bedingungen von Sekreten, Geweben und Praktiken auf. Sie hat sogar Zimmerpflanzen und einen Vogel.

Decasia, Bill Morrison

Und die Säge, die hat Zähne. Hier und hier und hier.

Jawohl, Film ist eigentlich Reibung, Aufreibung: Decasia besteht aus Filmmüll, der zum Zeitpunkt seiner Zerreißung noch einmal abgefilmt wurde. Die Bänder hängen aneinander und sind fleckig, brüchig und brachial - Gespenster tauchen auf, die in ihrem einst intendierten Sinnzusammenhang vielleicht nur Beiwerk zu irgendwelchen Erzählungen waren. Widergänger, Wiedergänger... der gothic Aspekt ist bei Decasia riesig. Erstens sind alle Menschen, deren Umrisse, Fratzen und Zuckungen hier schimmern und schattieren, sehr tot. Auch die Kamele (waren es Dromedare?) sind bestimmt nicht mehr da. Nur der Zerfall. Bestürzende Zerstürzung.

Von allein ist der Film weder auf Schock, noch auf Grusel getrimmt und doch stellt sich ein leichtes Schaudern beim Sehen ein, da der schwarzweißgraue Bildersturm zwar inhaltlich erklärbar ist aber eben doch leichte Wehmut mit geschundener Schönheit verbindet. Ein Film, der keine Produkte verkaufen will. Ein Film, der keine menschliche Bedarfsempathie propagiert. Gruselig.

Maßgeblich zum Schauerlebnis beitragen kann der Soundtrack: hier wird gerauscht und geschrammt und gerumpelt, aber rhythmisch und jenseits aller wohltemperierten Klaviere. So atmen Fabriken, so hört sich eine Autofahrt vom Inneren des Vorderreifens an. So sterben Bilder - das heißt im Umkehrschluss auch, dass sie einmal lebten. Leben heißt vielleicht nur "Frequenzwechsel" und Neuüberlagerung.

Und noch eine Ebene Zerfall: Decasia verzeichnet die letzten ihrer Art, denn im Zeitalter digitaler Bilder und Speichermethoden wird solch ein Geschrammel eher selten werden. Dann kommen glitches und Systemabstürze auf, dann poppen blue screens auf und beenden die Restbilderschauen abrupt. Hier schleppt es sich alles weiter, und steht der Projektor auch in Flammen: da raucht es erst ein wenig, bevor die Filmschnur reißt.

4/17/2011

Global Metal, Sam Dunn & Scot McFayden

Noch einmal mit (noch mehr) Gefühl... die zweite Metalldokumentation vom Anthropologen Dunn widmet sich der weltweiten Strahlkraft dieser Kulturtechnik. Die Genres sind ja nun bereits identifiziert und die (Sinnleere einer) "Entschuldigung" persönlicher Musikvorlieben abgefrühstückt. Die Weltreise macht somit durchaus Sinn.

Von Wacken aus zieht Dunn herum und zerrt indonesische, indische und brasilianische Metallmenschen vor die Kamera und bleibt dabei ganz Fan. Freilich ist besonders die Episode in Japan sehr, sehr verstörend. Self-fulfilling prophecy nennt man das wohl. Und China gibt es auch! China metal. Völkerverständigung dank akustisch angewandter Elektrizität.

Und so rumpelt auch diese Doku sinnstiftend und unterhaltsam über Globus und Bildschirm. Für manche ist es nur eine Fußnote im größeren Globalisierungstheoriegebäude, eine weitere Anekdote - für andere vielleicht die Bestätigung, dass Jugendkultur sich allerorts (ähnlich) entwickelt. Also, alle die eine "frohe Botschaft" in informativen Narrationen gut finden sind mit Global Metal gut bedient. Alle anderen können endlich mal wieder ein Werk von Dillinger Escape Plan durchhören.

24, Season 1, Joel Surnow & Robert Cochran

So geht das mit der Echtzeit, aha. Dieser alte Schinken hat vor einem Jahrzehnt die Glotze gerockt und spannte sogar die Werbeblöcke in die Darbietung ein. Es ist ja vom Inhalt her nicht neu: Gefahr im Verzug, Leiber hetzen umher und verpassen sich fast. Dazu die mobile Telefonie und Satellitengekasper. Aber eben Echtzeit.

Wahrscheinlich sind die Produzenten Logiker und wollten Sicherheit definieren: wenn man einen geschlossenen Raum hat, dann ist der sicher. Aber wenn man eine offene Zeitlinie hat, geht irgendwann jedes er-/geschlossene Gebiet den Bach runter oder in Flammen auf. Je komplexer die Maschinerie, desto mehr Fluchtlinien stellen sich ein. Wahrscheinlich wollten die Produzenten aber auch nur einmal eine Antithese zum A-Team formulieren, ohne Jason Bourne zu vergessen und ohne bewährte TV-Spannungsdialoge zu revolutionieren.

Und man wollte es zwar nicht wahrhaben, doch es begab sich so: nie konnte nur eine Folge geschaut werden, immer waren es drei oder vier, bevor die beknackte echte Welt den Konsum unterbrechen musste. Ach, diese echte Welt mit ihrer lahmen Echtzeit.

Aber das mit der toten Gattin bleibt schon hängen. Sehr unerwartet, das.

Spun, Jonas Åkerlund

Klare Opfer ihrer Umstände! Die Protagonisten sind in der sonnenverbrannten urbanen Ödnis Kaliforniens gefangen und fahren viel zu lahme Autos. Kein Wunder, dass sie da ein wenig Geschwindigkeit dazukaufen müssen und diese dann in Venen, Mund und Nase einführen.

Der Regisseur kommt ja vom Videoclip. Aha, sagt der nüchterne Kritiker: deshalb die schnellen Schnitte. Aber man kann sie freilich auch mit der Geschwindigkeit erklären, die da so verehrt wird. Keine Bewegung, doch die Pupille rast: der ungestüme Gedanke tastet die vergammelte Lebenswelt ab, um irgendwo Krümel zu entdecken, Partikel, die Ablenkung und Erbauung versprechen.

Die Darsteller haben vermutlich viel Spaß beim Dreh gehabt. Dazu sind die Dialoge zu authentisch... wenn man die oft genug wiederholt, kann man ob der Widerlichkeit der Welt schon druff kommen. Aber auch sie sind Opfer ihrer Umstände: ein wenig ist das alles hier Maskenball und die Häschen unter der Konsumenten könnten die Charaktere für überzeichnet halten. Und das Ende ist leider inkonsequent... oder genial? Weiß man ja nie, ob und wie und wann man runterkommt - und wann man unten ist und/oder bleiben kann. Keine Zeit zum Rekonsum. Mehr, mehr, schneller, schneller.