9/07/2012

God Bless America, Bobcat Goldthwait

Hier und hier. Dies ist ein sehr, sehr feines Produkt, das an seiner radikalen Prämisse nicht scheitert. Das ist ein politischer Film. Er befasst sich mit etwas, was selten direkt in Erscheinung tritt und trotzdem eine Vielzahl von Aktivitäten in sogenannten Gemeinschaften verursacht: blanker Hass und Verachtung.

Mit dem Hass und der Wut und der Verachtung verhält es sich wie mit dem Teufel: der größte Trick, das schlimmste daran ist, dass alle die Existenz selbiger Begriffe leugnen.

Die Verachtung ist hier ehrlich und offenbar und wird zelebriert und treibt Taten voran, die nicht gruselig sind sondern eine feine Genugtuung verursachen, da sie auf die kollektive Wut, die sonst nur mit beiläufigem Hohn und Spott ausgedrückt wird, aufbauen. Dieses Wort war zumindest beim Konsum im Raum. Bei keinem Kinobesuch erlebte der Konsument so viel Szenenapplaus im vollbesetzten Saal - also ist ein "böses" Gefühl für ein "gutes" Gefühl (oder ein "bittersüßes"?) verantwortlich? Ist das Katharsis, gute, alte Reinwaschung und Erlösung durch Schmerz?

Unser Held (nein, MEIN Held, an manchen Tagen mehr und an manchen Tagen weniger) ist freilich ein Redner und seine Rolle ist nicht auf gekünstelte Realitätsreflexionen angelegt sondern auf das, was Wut am besten kann: die Wirklichkeit vereinfachen. Wenn die Idioten einmal identifiziert sind, dann kann auch etwas unternommen werden. Natürlich kann der Held niemanden überzeugen. Viele Menschen (nach GBA-Logik die Idioten) werden ihn und seine Geschichte für übertrieben und geschmacklos halten - andere sehen sie als Zeichen der Hilflosigkeit der Menschen, die gern ein positives Interesse an der Außenwelt entwickeln wollen. Letztere werden aber ständig auf die letztlich un-ironisierbare Nichtigkeit, Widerlichkeit und Idiotie der sogenannten Mehrheit hingewiesen. Es ist richtig, das GBA Gewalt gegen Kinder beinhaltet, denn das sind ja auch nur zukünftige Idioten. Natürlich ist Gewalt eine böse Lösung, aber nur nach dem "Bosheits"-Begriff der Idioten. GBA zelebriert eine Befreiung - aus der Ferne winkt ein verflachter Nietzsche, als der Kugelhagel die Kamele zu Löwen und dann zu Kindern werden lässt.

Ob die Wut mit dem Alter vergeht, zeigt der Film freilich nicht. Hier wird niemand erwachsen, auch keine behüteten koketten Mädchen.

9/06/2012

Gerry, Gus Van Sant

Hier und hier. Da gehen dann eben zwei Typen in die Wüste und verwüsten die Erwartungen an ein Drama. Wortlos und karg und eindimensional bleibt alles, und trotzdem findet Van Sant Zugang zum suspense: denn das Gehirn des Zuschauers hält freilich nicht still und spekuliert los: wer könnte da was für ein Motiv haben? Ist das ein Mord? Ist er geplant, wurde er wie geplant durchgeführt und was faselt der eine da am Lagerfeuer? Achso, er spielt sowas wie Civi2 oder ähnliche Langzeitstrategiekisten. So weit, so normal. Macht das den anderen so wütend? Zeigt er seine Wut? Gibt es Indizien? Wer ist denn nun dieser Typ von dem die beiden reden und den sie als Adjektiv, Verb, Subjekt/Objekt benutzen?

Fein die gewaltsamen Kameraeinstellungen, die in ähnlicher Art und Weise freilich auch die anderen beiden Filme der Death Trilogy durchwehen. Da wird eben minutenlang Sediment gezeigt. Die Steine liegen steinig herum und dem Sand ist das getreten werden herrlich egal. Das ist nicht anti- oder posthumanistisch, das ist eine Ganzheitlichkeit, die den Menschen als kurzzeitige Störung identifiziert. Die letzte Einstellung ist eine Ansammlung dieser elementaren Wucht: ein Meer aus Salz (?) und eine einzige Horizontlinie und darin sich krümmende Leiber. Alles verschwindet. Alles verteilt sich in die Unkenntlichkeit.

9/02/2012

The Lovely Bones, Peter Jackson

Jener. Da hat sich einer auf seine Bilder verlassen. Ok, die Stimmung ist herrlich und das knallbunte Fegefeuer (Limbo? Wartesaal?) macht einen Riesenspass. Das Thema der Trauerarbeit verschwimmt auf ungewöhnliche Weise mit Spannungselementen, die mit der coolsten Oma seit langem garniert sind.

Am Ende wird man um die Wut betrogen. Der genial gespielte und inszenierte Kindermörder kommt einfach zu leicht davon. Das bisschen Genickbruch langt nicht: er liegt nicht in Benzin, er liegt nicht im Gedärm und er wird auch keines offenen Splitterbruches gewahr. Da macht man schon sehr laut "hmm" und isst noch ein Stück Käse.

Da hat sich einer auf die Bilder verlassen. Hat Peter Jackson seinen Cameo unbedingt im Fotoladen haben müssen? Dieser Halunke. Und soll die Rückkehr der Mutter einen Heilungsprozess beenden oder beginnen? Jackson hat mit Wonne die Genres gesprengt - in den 1990ern hätte man mindestens drei filme daraus gemacht: Kindermord (Thriller), Familientrauma (Melodram), coole Oma (Komödie, mit zwei bis drei Sitcom-Stars). Hier sind sie alle vereint im jenseitigen CGI-Reigen. Hui, alles funkelt...

The Invention of Lying, Ricky Gervais & Matthew Robinson

Hier. Im Kopf super, auf der Leinwand ein wenig herb.

Die Ausgangsdystopie ist ja schon sehr krass: es hat noch nie jemand gelogen und die Menschen sagen sich immer die Wahrheit. Das ist sehr faszinierend zu betrachten, aber in den wenigen Sekunden Verschnaufpause fragt man sich dann doch: warum weinen die nicht, wenn die das hören? Das ist dann eine sehr abstrakte Komödie, deren Argument und dessen Ausführung absolut neu und mutig ist.

Die Szenen selbst funktionieren als sehr, sehr clevere Sketche und hätten in einem Episodenfilm herrlich funktioniert. Der Hieb auf die Religion und auf die weibliche Gensuche sind dann fast schon zu plump bei so einer findigen Grundidee. Ein sequel wäre somit drin, denn man könnte jetzt auch den "nichtlügenden Politiker" als neuartigen Freak inszenieren.

Where the Wild Things Are, Spike Jonze

Dieser. Der Film ist eine feine kleine Ode an das Toben, das zwischen friedlicher Agitation und echter Wut pendelt. Jonze lässt den Jungen nicht reden, er erklärt sich nicht, er tobt und weint und lacht und es ist eine wahre Freude. Jonze hat wieder einen Mittelfinger in seinem Film versteckt und man versteht die Richtung der Geste.

Die Kreaturen sind, und so muss das auch sein, eine Schau: eine feine Physis wird offenbar, wenn sie sich wuchtig durch die Gegend werfen. Man denkt ja immer, dass so große Muppets viele filigrane Stangen und Seilzüge im Inneren haben und zuckt dann so zusammen: hier wird aber die CGI dezent zur Hilfe genommen, um ordentlich Krach zu schlagen. Trotzdem zuckt man, denn James Gandolfini spricht das zentrale Wilde Ding. Beklommen denkt man an die abgründige Herzlichkeit bei der wichtigsten Familie New Jerseys. Die Charaktere verschwimmen und der plumpe Beschützer wird zu einer noch komplexeren Figur. Der Abschied ist dementsprechend schlimmer als bei Old Yeller. Gut, dass es ||-Schalter gibt.

Das ganze Ende ist phantastisch. In diesem kleinen Moment am Esstisch wird das Wunder der Aufzucht von Kindern und Eltern offenbar - nicht als große Allegorie inszeniert sondern als erstaunliche, entsetzliche, erhabene Routine.