8/13/2011

Hoppla

Seitenleiste fort. Was ist denn jetzt schon wieder?!

Revelation Space, Alastair Reynolds

Hier. Die Weltraumoper ist eine eigene Sparte in der Sparte und zeichnet sich durch intergalaktische Melodramatik, Versatzstücken aus Mantel-und-Degen-Akrobatik, tech porn und hoher Seitenzahlen aus. So auch dies hier. Prägnant geht anders.

Denn hier wird vor allem ausgeufert: das All ist enorm alt, die ominösen Relikte (die MacGuffins hier) auch, und die Reise ist enorm lang und das Schiff ist auch enorm groß. Reynolds zerrt recht extreme SciFi ins Boot, ähem, shuttle: Nanobots und Genkontrolle, Fleischrechner und Sporenintelligenz, kristallines Raum-Zeit-Geschwurbel und so weiter. Geerdet werden kann so etwas nur durch Charaktere, die einem irgendwie ans Herz gehen - aber das fällt hier schwer. Die Technologie ist zu extrem, so dass jede menschliche Aktion eigentlich beliebig ist. Die Bühne ist wunderbar ausgestaltet, allerdings verschluckt sie die Helden und Heldinnen. Unangenehm aufgefallen ist die plumpe Sozialkritik, die der Geschichte unterstellt werden kann. Jaja, Meuterei. Gähn. Aber vielleicht ist der Konsument auch einfach zu alt und verbohrt.

Bei den Fans soll RS gut angekommen sein. Sequels gäbe es wohl auch. Im Konsumgraben aber wohl kaum. Zu enorm, das.

8/12/2011

Lethal Injection, Jim Nisbet

Hier. Wie Espresso: kompakt, tiefschwarz, synapsenpeitschend. TBA.

Es ist schon eine magische Geste, die da in den Todeszellen lauert: ein Arzt gereicht die Hand zum Tode. Mit sanftem Druck kommt etwas in die Venen und mit ebenso sanften Druck wird der Verurteilte nachhaltig aus diesem Kasten ausgeschlossen.

Der Protagonist ist Henker-Mediziner und selbst nicht ganz nüchtern und verkompliziert sein eh schon verpfuschtes Leben mit zuviel Nachsorge. Er verfolgt die Fährte des Hingerichteten in entgegengesetzter Richtung und landet in der Finsternis, in der durch Venenverkehr geschwärzten Vorhölle. Unschuld, Erblast, Befleckung und Vergebung: bewährte Themen.

Es ist immer wieder erstaunlich, wie erbarmungslos nicht nur die Charaktere miteinander umgehen sondern auch wie der Autor mit dem Leser verfährt. Und dass letzterem das auch noch gefällt. Seasons in the abyss: die alte Frage nach dem noirigen Kitzel.

Ein Essay zum Thema zitiert jedenfalls so:

Whether death by needle is easier for the executed is an open question, but surely it is easier for the executioners. By wrapping punishment in a therapeutic cloak, the process feels less morally offensive to those who are required to participate, and it is therefore more bearable. There is a deeper issue as well. "The use of a well-known medical tool, general anesthesia, for execution blurs the distinctions between healing and killing, between illness and guilt.," observes Dr. Jerome D. Gorman, a general practitioner in Richmond, Virginia, who has spoken out strongly on the issue.

Die Disney-Fraktion darf ruhig weiterhin Green Mile lesen. Uff.

8/10/2011

Super 8, J.J. Abrams

Hier. Der Unfall des Zuges ist enorm, das muss bejaht werden. Da wurde Michael Bay kurz zitiert. Aber ansonsten menschelt es in diesem entzückenden Breitwandfamilienfilm ganz gewaltig, so dass einem sehr warm um's Menschenherz wird.

Es ist eine alternative Version von E.T. mit mehr Budget. Es ist eine Geschichte, die immer und immer wieder erzählt werden wird. Alle kennen die Schablonen und Formeln, alle kennen die Dialoge und alle müssen lächeln. Und zum Schluss wird nachhaltig aufgeräumt: mit leisem Seufzen löst man sich aus dem Kinosessel.

Es ist ein dreifaches Hurra auf das Medium Film und eine unprätentiöse Schilderung der Bedingungen vor der Medienexplosionen. Wählscheiben, Funkgeräte, Magnetbänder. Das ist aber nicht nur dokumentarisch interessant sondern verdichtet sich zu einer trotzdem spannend erzählten Geschichte... nicht spannend im Sinne von "wie wird es wohl ausgehen" sondern im Sinne von "oh bitte lasst mich noch ein wenig in dieser gemütlichen Hektik verweilen".

Alles richtig gemacht. "Drugs are soooo baaaaaad!" Ach, recht hat der Wonneproppen. Wer braucht Drogen bei solch glückseligen Popcorn-Momenten?

8/08/2011

Play It as It Lays, Joan Didion

Hier. Von 1970, Film kam 1972. Der Titel könnte auf eine Western-Stimmung schließen lassen, auf eine Gestalt die bereits ist zum Showdown - auf der Dorfstraße oder im Kasino

Die Heldin stemmt sich gegen das Erwachsensein und scheitert. Beruflich ist sie ein Motiv für Kameras und eine auf Reinheitssimulationen ausgelegte Unterhaltungsindustrie und schon fliegt ihr mit dreißig alles um die Ohren. Dabei bietet die Tektonik von Kalifornien ein stimmiges Leitmotiv: es rumpelt in der Tiefe und Canyons tun sich auf. Der Abgrund ist nicht örtlich von der Protagonistin entfernt, sondern zeitlich. Sie kann nichts für oder gegen einen Absturz tun, denn man kann die Kante (noch) nicht erkennen. Und irgendwie ist sie bereits die Böschung hinuntergepurzelt und liegt mit offenen Brüchen im Geröll. Traumata sind zeitlos: sie haben vielleicht eine Ursache, aber die ist irgendwann egal.

Ach, die Metapher des Ortes. So kann man auch das ganze Autofahren erklären. Der Film von 1972 könnte wahrlich eine Art weibliches road movie sein... die rastlose Anti-Mutter jagt etwas und flieht vor etwas und kann gar nicht ausgewogen essen, so ohne Küche und "plumbing" (Klempnerarbeit aber auch Unterleib). Wie schrieb doch Didions unlauterer Neffe später? People are afraid to merge on freeways in Los Angeles.

8/07/2011

A Single Man, Christopher Isherwood

Hier, die Vorlage von 1964 von diesem unkonsumierten und prämierten Film von 2009. Und man bekommt das Filmposter wirklich kaum aus dem Kopf, denn es ist freilich auch Teil des konsumierten Taschenbuchs. Warum kam der Film nicht früher? Vielleicht (und die Aura von Mad Men als Zeitgeistsimulation schwingt dabei arg mit; bei der Entscheidung des Filmstudios war das vermutlich genau so) weil das Buch eigentlich Science Fiction war, damals in den 1960ern. Intellektuelle sind dort noch seltsamer, vor allem Philologen, denn die können zum space race wirklich nichts beitragen. Und dann auch noch Europäer: Altwelt-Treibgut. Und warum ist dieser zumindest zivilisierte Bürger nicht mit einer Frau verheiratet? Aha. Anderswelt-Treibgut!

Der Held schlumpft also (innerlich recht Lebowski-mäßig) durch kalifornische Ödnis und fährt dabei keinerlei politisches Konzept; er trauert um den Verlust des Partners wie man eben so trauert. Die Umwelt erscheint fader, austauschbarer in ihrer Unbekümmertheit. Der alleinstehende Herr trifft anderes Treibgut und stellt einige feine Beobachtungen bezüglich der titanischen Themen an: Belanglosigeit, Tod und Liebe treffen sich hier freilich und hinterlassen eine ungemütliche Mischung. Kurz vor Schluss holt Isherwood dann noch zu einem letzten Haken aus und semmelt ihn auch direkt auf die letzte Seite.

All Tomorrow's Parties, Jonathan Caouette

Hier und hier und hier aber nicht hier. Manche Musikfestivals sind anders als andere Musikfestivals. Dieser moderatoren- und product-placement-freie (jedenfalls ist irgendetwas anders) Konzertfilm ist ein Zusammenschnitt einiger Auftritte, die repräsentativ für etwas Unheimliches weil Totgeglaubtes stehen: eine lebendige und spannende Jugend- bzw. Musikkultur.

Das Konzept des Festivals und auch des Films öffnet sich nicht. Es steht auch nicht hermetisch da und verteidigt sich. Wacken trifft graduate school? Vielleicht. Du kommst hier net rein denn du willst hier net rein, deshalb ist die Feier hier drin so toll.

Es ergaben sich freilich viele Konsumhinweise, allen voran Seasick Steve und Lightning Bolt. Das ist ein echter Bonus.