7/26/2011

Treme, David Simon & Eric Overmyer

Ohne The Wire gäbe es Treme freilich nicht. Und ohne Katrina auch nicht. Was ist jetzt davon trauriger?

Denn Treme macht einen großen Fehler: es sorgt in der ersten Staffel dafür, dass der unüberwindbare John Goodman nicht in der zweiten auftauchen kann. Wie könnte man das verzeihen? Es ist ganz egal, welche Vertragskonditionen hier greifen und ob es am Geld liegt oder an irgendeinem zwangsauthentischen Drehbuch.

Ansonsten gibt es vielleicht politisches TV: der stetige Bezug zum realen Ereignis ist neu und kommt ohne Explosionen gut aus. Food Porn gibt es auch. Die Protagonisten, deren Geschichten miteinander verstrickt sind, nerven leider zum Teil. Zu parallel sollen hier persönliche und kollektive Fehlschläge verwoben werden, ohne dass da eine interessante Schnittmenge entsteht. Das Musikerpaar gehört nach Kanada abgeschoben, zumindest er am Klavier. Sie kommt in den Recall.

Staffel zwei soll es tatsächlich noch geben. Bei aller Sympathie und Anteilnahme für The Wire bzw. Katrina: warum?

7/24/2011

My Darling Clementine, John Ford

Hier. Der Konsumgräber ist ja sehr alt, aber so alt doch wieder nicht. Die dominanteste Assoziation mit diesem Western war und ist der französische Comic Lucky Luke, der die Posen und Bühnen dieses Filmes als Standard übernommen hat.

Hier steckt man knietief in der Mythologie: mit Doc Holliday und Wyatt Earp hat man zwei zeitlos kontrastierende Helden vor der Linse, die hervorragend gecastet wurden. Laut wiki geht es hier um die Gründung einer zivilisierten Gesellschaft im Grenzgebiet des Wilden Westens. Verwegen formuliert. Aber durchaus sinnvoll: die frauenlose (=sterile) Herrschaft der kriminellen Brüder und ihres Vaters (=unüberwundenes Patriarchat) wird ersetzt durch einen freiwilligen Verbund gleichgestellter Männer. Doc Holliday lebt zu sehr in seinem durch die Vergangenheit befeuerten Zorn und nur Wyatt Earp kann sich von den Verletzungen der Vergangenheit lösen. Der Gesunde ist der Unverzagte, der Pionier: auch der Mord am eigenen Bruder kann abgehakt werden. Wyatt Earp schlägt nur Wurzeln wo und wann er es will.

Chihuahua (die Hündin, jawohl: bitch) nimmt dabei eine zentrale Rolle ein: ein wenig mexploitation, ein wenig hysterische Selbstdiffamierung und vor allem die Unterstreichung der männlichen Tragik. Wann kommt endlich ein echter "Mann" her und sorgt für Ordnung! Wer das schafft, darf dann mit Clementine abziehen.

Winter's Bone, Daniel Woodrell

Leise Wucht? Vielleicht trifft es das: der Schnee fällt stetig und in der frostigen Einöde wird der Müll immer neu überdeckt. Das Verweilen wird noch unangenehmer, denn erstens ist es kalt und zweitens kann man bei genauem Hinsehen die Umrisse der Ruinen ausmachen, die da als Unterlage des Schnees herhalten müssen.

Hier wird nicht gerodelt.

Es beginnt mit Kadavern, die "zur geschmacklichen Ausreifung" noch ein wenig auf der Veranda abhängen. Es geht dann über gefrorene Leiber, die mit ihrer Erstarrung fertig werden müssen. Und altes Gewebe, dass im Eis vernarbt. Es endet mit verlorenen Zähnen und einem Wunsch nach Rädern, einem Wagen - der prozessuale Abrieb soll gemindert werden.

Hier wird nicht gerodelt, denn hier nutzt man Menschenknochen als Kufen.

Die jugendliche Heldin ist nicht Alice oder Lara und auch kein politisches Vehikel, sie ist Teil der schockgefrosteten Umstände und versinnbildlicht die Klaustrophobien von Familie, Heim, Haus und Plot (as in family plot) wie kaum eine zweite.

Herrschaften, lesen Sie diese knapp zweihundert Seiten! Es ist schnell, es ist schön, ja, es ist wohl auch schmutzig aber selten wurde eine so grundlegende Geschichte so souverän erzählt. Der Konsumgräber ist sehr gespannt auf die neuerliche Filmversion. Die anderen Werke von Herrn Woodrell sind freilich vorgemerkt.

Secret Life: An Autobiography, Michael Ryan

Warum erstanden? Klar: Sex, Sex, Sex. Aber soviel Fleischlichkeit gibt es dann doch nicht. Freilich hat der Text Autorität als die Autobiographie, die er ist, und er gewinnt auch an Wucht als der sexuelle Missbrauch im Vorschulalter erinnert wird.

Was aber in der zweiten Hälfte folgt ist so endlos wie das Leben: natürlich macht der Protagonist/Erzähler irgendwie weiter und durchläuft weitere rites of passage, persönliche und kollektive. Besonders das Verhältnis zum Vater wird eindringlich in all seiner emotionalen und phyischen Brutalität geschildert. Das Erlebnis in der Kindheit bleibt unauslöschbar, aber andere bauen darauf auf und daran an.

Das geheime Leben mag an diesem traumatischen (einen Groschen für das Phrasenschwein) Zwischenfall kleben. Mit Sex hat der Missbrauch aber wenig zu tun, das wäre ein zu übersichtliches Wort. Einsilbig, geradezu. Ryan verwehrt sich einer Teilung in Ursache|Wirkung.