8/07/2008

Diary, Chuck Palahniuk

Ein Thriller in der zweiten Person Singular: Misty schreibt für ihren mysteriös-komatösen Ehemann ein Tagebuch. So kann sie ihn auch immer gleich beschimpfen, wenn ihr die Details seiner Umtriebe klar werden.

Ein Wirtschaftskrimi mit verblüffenden Einblicken in die hässliche Fratze des Tourismus: auf Waytonsea Island sind die Neureichen eingefallen und die Ureinwohner knechten als Kellner und Kassierer. Misty soll sie alle retten, indem sie als berühmte Künstlerin für Reichtum und Wohlstand und die Vertreibung der Festländer sorgt.

Eine Re-Evaluierung bekannter Themen der Schauerliteratur: zugemauerte Räume sind zu finden, geheime Botschaften und die versteckte Wucht der Sippe und der Tradition. Misty, die pummelige Putzfrau, wird von einem Geist besessen, der alle interessiert und spuckt wie von Sinnen Kunst aus sich heraus. Diese Kunst ist aus Schmerz geboren, uh, auf jeden Fall.

Oder doch nicht? CP schrieb kaum stärker über das Schreiben selbst und besonders an der Idee des Tagebuchs lässt er einige knorrige Fragen bezüglich Authenzität und Wahrhaftigkeit im Raume stehen. Er ist in diesem Roman weniger plakativ als sonst und es steht ihm gut.

Und wieder tauchen Ramsch-Juwelen auf, wie auch in vielen anderen seiner Bücher. Was soll man davon halten? Vermutlich die Erkenntnis, dass auch Ramponiertes noch ordentlich funkeln kann. Danke.

8/06/2008

Kung Fu Panda, Mark Osborne & John Stevenson

Bunt, wie erwartet. Anhand der Tiersymboliken bleibt zu vermerken, dass man sich noch nicht von Disneys Kreaturenmanagment gelöst hat, wohl aber teilweisen Mut bewies: einer der Kung-Fu-Kämpfer ist ein Insekt. Bestürzend.

Der Panda passt gut als Held, denn als monochromes Tier fällt er freilich in der zuckrig-rund-prächtigen Pixelwelt auf.

Nochmal Disney: NASHÖRNER IN UNIFORM!! Die bewachen im Kettenhemd den Oberschurken. Da denkt man freilich gleich an Robin Hood zurück, als der Fuchs für die Füchsin den mähnenlosen Löwen bekämpfte und der dicke Bär mit dicker Stimme sprach. Wann kommt endlich mal ein Nashorn als alleiniger Oberheld? Sind Nashörner militaristische Rudelschläger? In der Savanne sieht das doch eigentlich ganz anders aus.

Los, und jetzt gehen wir alle "panda sneeze" bei Youtube suchen.

The Sluts, Dennis Cooper

Derb? Verstörend? Noch mehr beklemmende Brutalität?

Ja, schon, aber noch mehr ist zu vermerken: The Sluts kommt ohne Autoren aus - er besteht "nur" aus den Beiträgen der Nutzer einer Internetseite. Jene Seite hat den Zweck, (männliche) Prostituierte zu bewerten und sich in Foren über die Qualitäten der Dienstleister auszutauschen beziehungsweise neue Geschäftsverbindungen zu knüpfen.

Ah, Subkulturtourismus, mag man denken. Doch weit gefehlt: schnell wird über die Beiträge der Nutzer eine Geschichte erzählt, und zwar die vom grazil-debilen Brad und Brian, dem Monster. Ersterer ist das minderjährige Opfer von letzterem ultra-brutalen Zuhälter. Doch so einfach sind die Dinge nicht, denn hier schreibt nicht Dennis Cooper sondern Dutzende von Zivilisten bauen kollektiv an einem großen Geschichten-Gebilde. Dieser Pulk ist auch in unklare Fehden verstrickt und teils werden Identitäten getürkt und angezweifelt. So kann sich Cooper inhaltlich einiges trauen. Einer der Schreiber beschreibt in ernüchternder Klarheit die Macht, die seine HIV-Infektion ihm gibt: anstatt das Leben in Frauen zu pflanzen kann er den Tod in Männer pflanzen. Und das mag er. Er hat einen demographischen Effekt und fühlt sich dadurch super. Meint er das ernst? Stimmt der Name unter diesem posting? Und will er Brad später wirklich für ein finales Snuff-Video mieten?

Obacht, drollige Metapher: bei der Lektüre wiegen die virtuellen Stimmen im Chor hin und her wie eine Wiese voller Gestrüpp mit undurchsichtigem Bodenbewuchs. Mal glaubt man jenem, dann diesem Sprecher: wie bei handfester Kriminalliteratur bleibt die Konstruktion der vermuteten Wahrheit in ihrer Prozesshaftigkeit gefangen.

The Sluts zwingt den Leser, über die Definition und den Umfang von Prostitution nachzudenken, und das keinesfalls im preiswert-pornographischen Sinn. Was tun Menschen für wen? Welchen Sinn hat es für die Lügner auf der Internetseite, Unwahres zu verbreiten? Wollen sie nur Aufmerksamkeit? Ist das alles nur Lärm? Und wenn ja, warum verbreitet man den? Ist Dennis Cooper selbst hier Dienstleister oder Käufer und was ist dann der Leser? (Es gibt einige umgangssprachliche Verwendungen des Wortes "to fuck" um diese Machtrelationen zu umschreiben.) Ist die Lüge an sich eher Ausnahme oder Standard in der Welt hinter Monitoren?

Ein großes kleines Buch. Wer sich an infernalischen Beschreibungen nicht weiter stört und (mal wieder) Bret Easton Ellis' Werke schafft und mag, dem sei dieser kleine Kommentar zur schönen neuen Informationsgesellschaft arg ans Herzlein gelegt.

Hier gehts zur (echten?) www-Präsenz des Autoren.

8/04/2008

eXistenZ, David Cronenberg

Viel wurde erwartet und nun endlich vollzog sich der Konsum von Cronenbergs eXistenZ. Filme über Computerspiele sind meistens verstörend, da Regisseure natürlich neidisch sind auf das viele Geld, das Spieleentwickler verdienen. Aber soviel Missgunst will man Cronenberg freilich nicht unterstellen.

Die ästhetische Verbindung von Technik und Fleisch ist herrlich - ein wenig erinnert das ganze an die Kälte von Gigers Alien, aber nur ganz ein wenig. Der Einfall, eine Knochenpistole Zähne schießen zu lassen gehört gefeiert und gepriesen. Auch die Cyberdecks, die welpenhafte Hautknuddeligkeit simulieren sind gelungen, ebenso wie die Nabelschnüre. Cronenberg schafft aber keine coole Actionwelt. Er wagt es, unbequem zu sein und fast schon mit kalter (nicht cooler) Wut die dumpfe Technikbegeisterung zu attackieren. Er ist ein Konservativer: er bricht das Geschehen auf Leben und Tod herunter und ergeht sich darin.

Bitte, bitte, jemand soll Herrn Cronenberg mal ein riesiges Budget und ein Jährchen Zeit geben. Das Ergebnis wird bestimmt schauderlich-schön-klug. Alle Macht geht vom Fleische aus.

Kiss Me, Stupid, Billy Wilder

Das ist ein überraschend frivoler Film. Eigentlich will der notorisch eifersüchtige Protagonist nur den schmalzigen Dino (jawohl: Dean Martin) zum Kaufen seines Liedguts überreden. Doch dann kommt ein situationskomischer Schwank zu Stande, in dem Ehefrauen vorgetäuscht und vermietet werden und sich anrüchige Handelsstrukturen anbahnen.

Aber zum Schluss kommt freilich die moralische Wende, oder? Nein! Die drollig-dralle Ehefrau Zelda nimmt den Rollentausch mit der Prostituierten Polly notgedrungen an und äußert sich danach keineswegs als geschändetes Opfer. Sie sinniert quasi über Männer und Frauen im Allgemeinen. Skandal!

Beeindruckend auch Pistolen-Polly, dargestellt von Kim Novak. Sie ist keineswegs ein Opfer sondern hat den ökonomischen Wert ihres Körpers durchaus verstanden. Sie slackt allzu menschlich durch den Tag und trauert dem Nicht-Erreichen des klassischen Frauenbildes nicht hinterher. Im Trailer wohnt sie, mit einem Papagei - die Karikatur eines bodenständigen Heimchens mit Schürze und Muffins. Am Ende entkommt Polly, und Zelda kehrt wissend und ausgenüchtert zu ihrem Gatten zurück. Was für unzüchtige, sympathische Frauen.

The X-Files: I Want to Believe, Chris Carter

Da hat man keine Wahl.

Die X-Akten sind eine der prägendsten Serien der 1990er gewesen und stellten eine Mystery-Auffangstation für alle möglichen Gruselstrukturen dar. Schon allein die Folge mit dem Rolltreppenmörder beeindruckte die Schulhofgemeinschaft damals nachhaltig (und der winterschlafende Leberfresser wird auch noch gut erinnert). Mit Mulder und Scully hatte man ein äußerst praktisches Ermittler-Duo an der Hand: er der diplomierte Nerd, der sich durch eine Vorliebe für erhabene Antworten auf grausige Fragen zum Sonderling macht (trotzdem darf er eine Marke und eine Waffe haben) und sie der eisige Verstandesvollprofi. Ja, bei Dana Scully war immer ein wenig Echo von Clarice Starling zu vernehmen. Er durfte in die Psyche gehen und Geschichten erzählen, sie durfte den fleischlichen Thrill eiskalt medizinisch-faktisch beschleunigen. Dieses Konzept musste im weiteren Verlauf der Serie freilich aufgeweicht werden, zumal irgendwann auch ganz andere Schauspieler den Kahn übernahmen. Es gab zwei Arten von Folgen: zum einen jene, welche die Alien-Verschwörungs-Saga vorantrieben und zum anderen einmalige Schocker.

Achso, der Film. In diesem konkreten Produkt des X-Franchise wird die un-außerirdische Seite betont, es mordet jemand und seine splatterigen Gründe sind aufzudecken. Eine schöne Doppelfolge mit mehr Außenaufnahmen ist entstanden, aber das ist sehr in Ordnung. Es wäre schade, wenn dies der letzte Film der Reihe gewesen sein soll. Na los, Star Trek wird demnächst auch noch eine Chance gegeben.

Die allerletzte Einstellung ist trotz der karibischen Stimmung aber doch fast noch bewegender als das zuvor gesehene Drama.