1/04/2009

Australia, Baz Luhrmann

Erbarmen. Hat denn keiner Erbarmen? Dieses Produkt warb damit, ein Schnulzschinken zu sein, doch es ist eigentlich eine kalte Platte aus Versatzstücken der Filmgeschichte, aber mit dickem Budget dahinter.

Die erste halbe Stunde ist geradezu grotesk witzig und keiner ahnt, welch wackelige Melodram-Schiene das Werk in den nächsten (gefühlten 8435) Stunden einschlägt. Ein bisschen Gone W/ the Wind und ein wenig Out of Africa. Staubige Romanzen mit Staub in vielerlei Form, die vielerlei Anhänger fanden. Ach, und was lässt Australia doch am Ende für Zynismen zu: so ist zu betrachten, dass down under als Spielort viel kompakter ist als der Wilde Westen, denn hier sind die Sklaven Indianer und Nicht-Weiße in einem. Praktisch! Das creamy Halbblut und somit die Personifizierung des Outback-Humanismus nervt leider arg und die primitivistische exploitation wird noch nicht mal versteckt.

Hauptsache, die weiße Frau kriegt Haus, Mann und Kind. Uh, gerettet - und schlank ist sie zum Glück auch auch.

The Cleaner, Brett Battles

Noch so ein Geheimagenten-Hitman-Geschwurbel. Der Protagonist ist ein Hecht und zeigt seinem Agenten-Trainee, wie wahre Undercover-Effizienz auszusehen hat. OK. Dann gibt es noch alte Liebschaften und böse Patriarchen, die aus dem Halbdunkel auftauchen.

Oh, und man hetzt auch durch Berlin. Das ist eine Stadt in Deutschland.

Ansonsten nicht viele Neuerungen. Der Titel versprach, dass hier so einiges derb und schmutzig wird, aber Pustekuchen. Die Geschichte passt leider ins Vorabendprogramm. Gibt es denn keine Thriller mit ein wenig mehr Schweinerock da draußen?

The Discovery of Being: Writings in Existential Psychology, Rollo May

Herr May hat hiermit ein kleines Buch der Ideengeschichte geschrieben, das für selbige Geschichtsschreibung eintritt. Er verknüpft die Ideen von Kierkegaard und Nietzsche mit Freud und seinem Gefolge und stellt dabei konkrete Merkmale einer existentialistisch umfassenden Psychotherapie dar. Unerschrocken verurteilt er die rein mechanistisch-naturwissenschaftliche Sicht auf den Geist des Menschen. Das Buch ist recht kurz und es kann Herrn May nicht vorgeworfen werden, dass er seine "Gegner" nur oberflächlich benennt.

Rollo May (genialer Vorname, nebenbei) bestätigt das positive Klischee bei englischsprachigen Autoren: seine Sprache ist klar und freundlich ohne anbiedernd zu klingen. Mit sehr lebendiger Rhetorik schließt er keinen Leser aus - bei letzterem sollten aber schon einige dumpfe Vorkenntnisse vorhanden sein.

Am Schluss will man weiter, weiter.

The Dark Knight, Christopher Nolan

Ja, schon wieder... es musste sein. Die Aura des aktuellen Blockbusters nimmt einen in die Arme. TDK verknüpft Media Markt mit Kulturzeit und diese Ganzheitlichkeit schafft beim Konsumenten einen tiefen inneren Frieden. Ein bisschen religiös ist es schon.

Wenn man sich nun vorstellt, dass man das Produkt objektiv sehen könnte (was ja gar nicht geht), dann müsste man sich schon fragen wie realistisch das alles ist. Telefon im Bauch - geht. Schminken und terrorisieren - geht auch. Doch was nicht geht, sind die Anatomien von Two Face und dem Batmobil, obgleich beide Objekte ästhetisch (wieder) überzeugen. Ersterer könnte ohne linke Wange schlecht reden und das lidlose Auge gibts nur in Mordor aber nicht im menschlichen Antlitz: das fällt irgenwann zertrocknet ab. Und letzteres, das Über-Auto, kann freilich schlecht ein Moped (oder "Pod") gebären. Die Fortpflanzung unter toten Dingen ist ja schlecht möglich! Aber welche Kinder/Sequels mag der lebhafte Erfolg von TDK gebären? Wunder über Wunder. Bis zum nächsten Mal.

Infinite Jest, David Foster Wallace

Seltsame Dinge geschehen, hier und anderswo.Durch den plötzlichen Freitod eines vielgepriesenen und verblüffend unterhaltsamen amerikanischen Autoren wird man dazu angeregt, sein sogenanntes Hauptwerk zu lesen. Man kniet sich in die tausend Seiten hinein. Man liest jede der über dreihundert Fußnoten.

Und man erstarrt.

Das Buch transzendiert und transpiriert den Sinn und Nutzen und die Attitüde dieses Blogs. Wie es das schafft, kann nur durch Eigenlektüre verstanden werden.

IJ ist ein unvergleichliches Werk, das jede seiner vielen Seiten braucht und gleichzeitig das gesamte Genre des Romans hinter sich lässt. Die konservativen Leser (und auch die wären begeistert) würden hier Phrasen wie "Ulysses des amerikanischen Millenniums" einfügen und gar nicht mal so falsch liegen.

Aber eins nach dem anderen. Zunächst: IJ ist witzig. IJ ist eines der komischsten Bücher, dass jemals in den Graben gingen. IJ ist mehrdimensional witzig und man erkennt, dass Humor eben nicht nur das Zuckerstückchen ist, dass das Individuum durch die Routinen treibt, sondern der Fensterkitt des Ego-Hauses. Humor ist die geladene Pistole im Kühlschrank. Humor ist mehr als haha. Humor ist die stetige Arbeit am Leben mit der Furcht und Humor ist mehr als die Distanzierung von all den Idioten und Idiotien da draußen. IJ ist unversöhnlich, aber es ist mehr als Trotz: in diesem Textvehikel steckt ehrlicher (auweia, nun kommt eine Vokabel voller Abnutzung und Verbrämung, doch in Ermangelung einer besseren und angesichts des geringen Platzes im sogenannten WWW muss sie hier benutzt werden:) Trost.

Dann noch: DFW macht nichts geringeres als die USA als Prinzip in all ihrer totalitären Wucht zu beschreiben, Scherz hin oder her. Es geht um: Familien, Zucker, Rollstühle, Müll, Tüll, Tennis, Drogen, Depression, Bedarf, Nachfrage, Sekten, Pickel, kanadische Seperatisten, frankophone Verschwörungen, Strände, Transen, Mikrowellen, Windeln für Erwachsene, Hackfleisch und die Taste "Play". Zwei Pole können willkürlich im Gesamtkosmos ausgemacht werden: einmal eine Tennisakademie zwischen Leistungsdruck, Ping, Pong, Zen, Muskelauf- und Gehäusebau. Sie ist sowohl Insel und Zuflucht als auch Produktionsstätte von konsumierbaren Sportunterhaltern. Zum anderen gibt es ein Rehabilitationswohnheim mit einer Vielzahl komplex gebrochener Bewohner, die diverse Stoffe überkonsumierten und damit aufhören wollen/müssen.

Total und voll frontal: die Vielzahl der Geschichten (auf den tausend Seiten werden Romane erzählt, die eigentlich auf zehntausend weiteren keinen Platz fänden) ent- und verspinnt sich in einer möglichen nahen Zukunft - einer Zeit, in der die Medienwelt erschüttert und revolutioniert wurde, die Jahreszahlen verfranchised wurden, der nordamerikanische Kontinent kulturell und politisch seltsam zusammengewachsen ist und in dem die unerträgliche Leichtigkeit des amerikanischen Seins so voller (Nach- und Vor- und heideggerscher) Sorge ist wie heute und noch mehr.

Als zentralster Begriff mag Unterhaltung herhalten, also jener Prozess, bei dem der Einzelne und die Masse von anderen Prozessen und dem Prinzip der Prozesshaftigkeit überhaupt abgelenkt wird. DFW wuppt die alte braune Stute Existentialismus auf eine neue erfrischende Ebene, und jetzt ist sie nicht mehr was sie war, ist nicht mehr, was sie war. Unterhaltung ist gleichzeitig Stütze und zu stützendes und formt gleichzeitig die Menschen wie auch die Menschen die Unterhaltung formen. Eskapismus ist auch eine Form von Überleben und sollte niemals unterschätzt werden.

Der Konsum von IJ war ähnlich epochal wie der des Oevres von McCarthy oder Clevenger oder Palahniuk (vielleicht kann das Werk als Bastard dieser drei Einflüsse verstanden werden? Nur so ein Gedanke... dann muss aber noch Pynchon genannt werden, denn dessen Schatten ist ununterschätzbar). Deshalb und weil die Begeisterung zu stark ist, müssen zwei Dinge abschließend bemerkt werden: IJ wird seinen Platz auf der Sidebar dieses Blogs finden und eine neue Rubrik eröffnen. Zweitens muss dieser Eintrag mit einem prägnanten Zitat beendet werden, wie es derzeit vom Konsumgräber nicht besser zu formulieren ist. Der Blogger von Yawn of the Apocalypse ist nämlich auch begeistert und beschließt seinen Eintrag mit treffenden Worten:

I’ve written nearly 600 words and I’ve still only begun to touch on what makes Infinite Jest one of the most important novels I’ve ever read, both on a literary and intensely personal level. David Foster Wallace effectively produced a snap shot of what it means to be an American today: our intense preoccupation with entertainment and technology, the unrealistic expectations of beauty and wealth they create, the prevalent drug culture, the increasing problem of just where the hell to put all the garbage our ever-consuming lifestyle creates and how intensely lonely, helpless and disconnected it can all make us feel.