4/11/2009

Traffic, Steven Soderbergh

Man könnte meinen, die Welt sie kompliziert. Man könnte meinen, dass in der Vielheit der Perspektiven und der Motivationen die Geworfenheit des Einzel(l)menschen zu einer zeitlich versetzten Naturgewalt anschwillt. Ein Sturm tost nicht über das Jetzt hinweg, nein, das Jetzt reitet auf einer Welle, die sich aus den Echos der Vergangenheit zusammensetzt.

So auch bei Traffic und beim Verkehr. Alle wollen wo hin. Alle müssen kämpfen, da anzukommen wo sie hinwollen. Keiner will seinen Kurs willentlich korrigieren, alle sind auf die Beobachtung der Gegenwart angewiesen.

Soderberghs überraschend alter Film (fast eine Dekade!) profitiert von der veranschaulichten Vielheit, die schon bei Magnolia und Konsorten so schön war. Sowohl hier als auch dort sowie beim Drogenproblem im Allgemeinen führen alle Wege ins Herz der menschlichen Rotten, nämlich in das Minisystem Familie. Hier befinden sich Konsumenten und Produzenten. Beim Güter-, Menschen- und Bedürfnisverkehr (also auf dem *Lebensmarkt*) verschwimmt die behäbige Dichotomie öffentlich|privat. Hat Habermas je inhaliert?

Speaking of Sadness, David A. Karp

Einen Untertitel gibt es auch: Depression, Disconnection, and the Meaning of Illness.

Dieses Buch ist sehr journalistisch. Der Autor/Patient ist Soziologe und hat Interviews geführt. Somit liest man hier über die verschiedenen Formen des Leidens aus den unterschiedlichsten Perspektiven.

Eigentümlich ist die betonte Behutsamkeit des Autors. Es scheint, als würden bei ihm Mitleid, Verständnis und Wissenschaftsethos im Konflikt stehen. Das macht er kenntlich. Sehr tugendhaft, aber ein paar knackigere Thesen wünscht man sich schon.

Ein besonderes ist das letzte Kapitel. Da ist Schluss mit O-Ton, da wird soziologisch vermutet. Karp stellt sich die Frage, warum gerade heute eine Epidemie des Schwermuts um sich greift. Problematisch ist erstens der Begriff Arbeit: im postindustriellen Panorama ist die Dichotomie Mühe|Belohnung (vielleicht) wackelig geworden. Zweitens ist da die Liebe: wie flexibel kann (konnte) man heute wirklich sein? Freud dachte da ähnlich, aber Karp hat ein schönes Essay drüber verfasst.

Mängelexemplar, Sarah Kuttner

Vor unendlich langer Zeit gab es mal das Brüllwort "Popliteratur" und nicht nur Stuckrad-Barre hatte dann irgendwann die Nase voll.

Mängelexemplar ist auch Pop, will aber lieber sein. Weniger plakatives Ennui und verspieltes Oberflächengeschlidder sondern mehr so Richtung outsourcing, downsizing und voll authentische realness. Die Depression schillert nicht mehr in ironischen Tönen sondern wird konkret zum Gegenstand von Handeln und Denken der Protagonistin. Das ist jetzt bestimmt Trend. Kann man Frau Kuttner etwas vorwerfen? NEIN. Man könnte sie verdammen, wenn sie denn sagen täte, dass sie selbst die Hauptperson ist und achsoschlimm leidet. Jeder darf schreiben.

In der Glotze ist Frau K. freilich eine Wucht. Die macht eigentlich immer Freude und von diesem Sympathiebonus profitiert auch Mängelexemplar. Die Autorin geht zwar nicht literarisch, aber doch frisch mit Sprache um, wie man es von ihr gewohnt ist. Es gibt sehr viel schlimmeres in den Bestsellerlisten, das sich sehr viel besser verkauft. Ohne den dicken Namen würde der Text vielleicht in der Jugendromanecke versauern.

Da zitiert man gern einen Imperativ der unvergessenen und unerreichten Primus: "Keep on sniffin' til your brain goes POP". Primus sind voll meta, Mängelexemplar ist wie Meta, die Marktfrau vom Samstag. Gemütlich und rund und recht fix vergessen. Pop halt. Erfrischend. Danke. Jetzt bitte weiter, zum Beispiel auf den Zauberberg.

4/06/2009

Religulous, Larry Charles

Völker, hört die Signale. Schwört ab vom Götzentum und bekennt euch zur atheistischen Weisheit. Denn nur der Atheismus bringt das Reich und die Kraft und den Frieden und die Option für die Ewigkeit, denn an die Apokalypse zu glauben verschaukelt jedwede progressive Dialektik.

Das musste so kommen: als einigermaßen aufgeklärter Mensch in einer hi-end-Industrienation muss es einem ja auf den Senkel gehen, wenn die eigene Regierung fundamentalistische Ansichten vertritt. Bill Maher machte mit dem Borat-Macher einen mooresken kleinen Film, in dem er Christen, Juden und Moslems naiv fragt und fix bloßstellt.

Religion zu dulden heißt Beihilfe zum Leid verantworten zu müssen: eine derbe These, oder? Noch derber ist es aber, den Begriff "Religion" als klar umreißbaren Begriff zu sehen. Wie steht es denn mit Tradition, Identität, Unterhaltung, Legitimation? Das hat alles damit zu tun. Die ominöse Wissenschaft der Soziologie mag da aufschlußreich sein.

Insgesamt ein kurzweiliger Film voller bizarrer Polaroids. Als pädagogisches Objekt mag er seine Wirkung in den so heterogen modernisierten USA nicht verfehlen: vielleicht begegnet man dort den Wanderpredigern in Senat und Prärie nach Konsum dieses Filmes mit etwas mehr Argwohn.

Aber ein ordentlich finanziertes und demokratisches Bildungssystem wäre auch nicht schlecht.