12/06/2007

Confessions of a Dangerous Mind, George Clooney

Was verbindet dumpfe Fernsehunterhaltung und Geheimdienstmorde? Sex natürlich.

Der Erfinder des Herzblatt-Konzepts kann ja sowieso kein glücklicher Mensch gewesen sein. Und Fernsehmenschen traut man ja den einen oder anderen Mord schon zu. Allerdings trauert man professionellen Mistproduzenten auch nicht wirklich hinterher. Glauben kann man denen auch nicht, somit sind ihre Geständnisse höchstens schmuddelige Wahnvorstellungen. US-TV im 20. Jahrhundert hat Clooney auch noch einmal ein wenig nüchterner verarbeitet, mit "Good Night and Good Luck".

Sam Rockwell und Drew Barrymore (sind die sich nicht schon beim absurden "Charlie's Angels" begegnet?) sind goldig bis genial, Clooneys Freundeskreis reiht sich brav und stimmig ins Werk ein. Der Film ist jenseits von erzwungener Coolness und auch keine dröge Geschichtsstunde. Unterhaltsam weil verkatert-gebeutelt. Besser als Fernsehen.

Sphären I - Blasen, Peter Sloterdijk

Kein Roman, neinein, also auch keine Geschichte. Oder? Dochdoch! Herr Sloterdijk erzählt die Geschichte vom Raum - Weg von der Diktatur der Geschichtlichkeit und hin zu den weiten Feldern, die sich zwischen Gesichtern aufspannen, im Selbst, im Mutterleib und sonstwo.

Damit hat er die Haupt-Direktive modernder Romanciers erfüllt: nimm was simples und mach was episches draus. Ideenmarktlückenfüllung also? Das kann nicht im Graben sitzend entschieden werden.

"Sein und Raum" statt "Sein und Zeit", schreibt er, aber Heidegger wird eher erweitert als korrigiert. Jedenfalls scheint es so.

Herr S. ist kein Anthropologe und somit ist seine Raumgeschichte auch nicht chronologisch. Die einzelnen Kapitel, durchsetzt mit Exkursen, regen eher jeweils für sich dazu an, Räume neu (oder überhaupt) in variabler Theorietiefe zu denken. Erhellend ist die Lektüre allemal. Prächtig sind die kulturgeschichtlichen Beispiele und die Illustrationen. Eine wahre Schande ist es allerdings, dass bei dem Preis keine Kolorierung der Bilder drin war.

Überhaupt das Layout. Alle stöhnen über den Umfang der Trilogie, aber eigentlich ist das Ding künstlich aufgeblasen. Die Schrift ist riesig, das Format auf schwer getrimmt. Wahrscheinlich ist das bei S.'s Prominenz eine Bringschuld. Oder, mit Rückgriff auf das Thema Raum: nur, was genug Luft verdrängt kann auch genug Platz für zeitlose Gedankenreinheit bieten.

Herr S. schreibt sehr lebendig und entschuldigt sich (zu Recht) an keiner Stelle für seinen weitreichenden Wortschatz. Das trägt zu dem Unterhaltungswert des Werkes bei. Er reiht sich in keine Fachdebatte ein und schließt keinen interessierten, aber uninformierten Leser aus (so wie er hier im Graben sitzt und blättert). Ist Peter S. etwa der deutsche Umberto U.? Und soll das ein Gesichtspunkt für das Sphärenlesen sein?

Der nächste Band befasst sich mit den Räumen da draussen, den Atlanten. Der erste Band der Trilogie verursachte keinen Argwohn. Sphären I scheint wie ein sehr selbstsicheres Sprungbrett, eine gelungene erste Raumfahrt. Aber vielleicht sollte sie doch eher erstmal zu Heidegger führen, bevor man sich der Kartographie zuwendet. Bei manchen Geschichten machen die Hausaufgaben mehr Spaß als das spätere Abfragen.

12/05/2007

Mr. Brooks, Bruce A. Evans

Na sowas. Kevin Michael Costner glänzt und Moore auch und der Film thrillert gut voran bis zum Schluss.

Dabei fällt auf, wieviel Genre-Kenntnis das Drehbuch beim Zuschauer anscheinend schon vorraussetzt. Der Film hält sich nicht lange mit Erklärungen auf sondern schildert fix die Verschlitterungen der einzelnen Charaktere. Großartig ist die Spannung/Komplizenschaft von Brooks und Marshall.

Mr. Brooks hat zahlreiche prominente Vorbilder, die allesamt erkannt werden können aber trotzdem wirkt er nicht wie eine simple Hi-Fi-Kopie. Training Day, Fight Club, American Psycho und weitere Werke waren den Autoren bekannt. Aber das ist schon OK so. Mit ganz viel Wohlwollen kann man sogar (nicht nur wegen William Hurt) eine leichte Nuance von History of Violence erkennen, Cronenbergs Geschenk von 2005.

Ach, der Schluss. Der Epilog mit dem Alptraum ist ein wenig weich - ein echtes Ende mit großem E wäre konsequenter gewesen. Nächstes Mal. Ansonsten aber angenehm RTL-Kino-Sonntag-inkompatibel (nagut, die Hoffnung stirbt zuletzt).

Elizabeth Costello, J.M. Coetzee

Genialität ist ein schweres Wort, doch es mag hier treffend sein. Der Kurzroman ist ein Proseminar der Geisteswissenschaften. Coetzee stellt Grundprobleme dar deren Besprechungen jeweils schon seit Jahrhunderten ganze Bibliotheken füllen. Es geht um die Tätigkeit des Lesens, des Schreibens und um die Position des Menschen dabei in der Mitte oder am Rand. Herr Coetzee, wer hat Ihnen das beigebracht?

Disgrace war schon so ein Kunstück: da hat er die Agonie und die Tiefe der postkolonialen Epoche als klassisches, aktuelles und auch noch zügiges Drama inszeniert.

Das U verabschiedet sich bei der Lektüre von Elizabeth Costello nie. Die Fahrten der alternden Literatin rahmen die philosophischen Exkurse und bieten eine spartanische und doch zweckmässige Bühne für sehr prägnante Erörterungen. Costello trifft auf Menschen, die aus der Perspektive von Nicht-WASPs, Christen oder Familienangehörigen ihre Berufung beurteilen. Denken und Schreiben ist spannend - wer hätte das gedacht? Für Coetzee ist die Sache ernst - ein verstaubtes Bildungsbürgerideal verteidigt er nicht. Der Campus ist nur eine Arena von vielen.

12/02/2007

Die Unbesiegten, William Faulkner

Klingt der Name schwer und wuchtig und Kanon-kompatibel? Das wäre vollkommen unangebracht. Zum einen: Faulkner hat’s für Geld getan. Er hat in Hollywood Romane verdaut und ähnliche Brot-Jobs gemacht. Der Nobelpreis hat ihn auch nicht vom Saufen abgehalten. Faulkner ist kein Weiser vom Berg.

Zum anderen ist ein Roman wie Die Unbesiegten jenseits von Wucht, haut einen aber trotzdem um. In der bekannten fiktiven Südstaatenregion tobt erst der Bürgerkrieg und dann die Rekonstruktion: eigentlich eine prächtige Bühne für Heldenmut und Glorie. Doch die Figur des weißen Gentleman der alten Schule, inkarniert in Daddy Sartoris, wird in in vielerlei Hinsicht gebrochen und aufgeweicht. Der Erzähler der Geschichte ist des Vaters Sohn und der Sklavenjunge Ringo wächst quasi als sein Bruder heran. Die Sklaven des Hauses sind Fürsorger und Beschützer. Hier sind die Rassen weder getrennt noch gleich.

Die Gewinner des Bürgerkriegs sind im Süden keine Sieger. Hier, rund um Jefferson, zeichnet man sich eher dadurch aus, im einen oder anderen Sinn nicht besiegt worden zu sein.

Und Oma ist die Größte: während der virile Herr des Hauses im Gebüsch den Yankees auflauert, muss sie den Haushalt durch das Chaos und den schwarzen Exodus geleiten. Zum Ende steht der Sohn am Totenbett des Vaters und ihm fällt auf, dass er dessen Gesicht nie unentspannt gesehen hat. Schmerzhaft muss er den alten Südstaatentugenden abschwören. Wie gesagt: keine Wucht, aber das Erhabene im Detail.

Die Perspektive des Kindes beziehungsweise des Heranwachsenden ist eingeschränkt und das Geschehen hat eine verstohlene Qualität; der Protagonist ist gleichzeitig von seiner Welt umschlossen und gleichzeitig kein Teil von ihr. Er formuliert seine Zweifel selten und so wird der Leser mit den Schilderungen allein gelassen – auf die Spitze getrieben hat Faulkner diese Perspektive mit dem zurückgebliebenen Benji, der den ersten Teil von The Sound and the Fury bestimmt.

Jawohl, das Ding wurde auf Deutsch gelesen. Es stammt von einem Flohmarkt auf Sylt und sieht fein braungelb und vergessen aus. Was für ein Geruch.

Faulkner hat auch eine Kurzgeschichte geschrieben, in der ein Graben vorkommt. Bei Gelegenheit wird deren Titel hier vermerkt. Es ist eine ziemlich finstere kleine Geschichte. Man weiss nie so recht, was in Faulkners Kosmos noch so lauert.

Altered Carbon, Richard Morgan

Solcherart Literatur muss einen gleichzeitig in den Arm nehmen und ein bisschen zu fest zudrücken. Morgan schafft beides. Zunächst trifft man auf altbekannte Motive und Kaufgründe für den Fan an sich. Bei Altered Carbon wäre das Philip K. Dicks Blade-Runner- Ästhetik und die Aufbereitung von William Gibsons Erbe. Autos, die fliegen, Mistwetter und die verzeckten Massen in finsteren Betonschluchten. Saubere Virtualität und zeternde AIs. Naniten im Neonblut quasi. Dicks L. A. ist hier konsequenterweise nur eine ’Bay City’.

Aber Morgan kann diese Landschaft noch erweitern und wahrlich einen eigen nuancierten Lektüregeschmack erreichen: statt Zeitreisen gibt es Körperreisen. Die Betonung liegt nicht auf Replikanten obwohl die Maskerade durchaus eine Rolle spielt. Die Menschen speichern ihren Geist in Maschinen und werden dann in ’sleeves’ geladen, Körper von der Stange oder von der Straße. Und so kann man knackige Noir-Elemente wunderbar vom Leder reißen: ’Methusalems’ leben schon ewig und haben Geld für genug Backup-Kopien ihrer selbst. Das sind perfekte General Sternwoods. Die Wertigkeit von Blut, Schweiß und Tränen verschiebt sich und der Protagonist Kovacs kann nun in verschiedenen sleeves auf’s Maul bekommen. Allerdings bekommt auch der gelegentliche Beischlaf eine beunruhigende Komponente. Kurz vor dem Showdown wird die Wahrheit formuliert: das Fleisch wächst von allein doch um die Maschinen muss man sich kümmern. Selbstkontrolle ist sinnlos in einer Welt der gelebten Selbst-Losigkeit.

Die Existenz in Altered Carbon ein stetiges Ringen mit dem Content Management System der Körperkonsumkultur.

Morgan drückt aber auch zu: stets hat man das Gefühl, dass da noch viel mehr ist in dem Universum, das er sich ausdachte. Kovacs ist nur ein Partikel in einer größeren, eigenständigen Dynamik. Da werden dutzende von interessanten Dingen und Geschichten nur angerissen. Und außerdem gibt es Schießereien, Prügel-Sessions und Splatter-Sequenzen. Eine Punktlandung im postcyberpunkigen (doch, das Wort gibt es wirklich) dritten Jahrtausend.