10/05/2007

Falling Man, Don DeLillo

Alles nicht so einfach. Zunächst kann man denken, dass der womöglich wichtigste amerikanische Schriftsteller der Gegenwart mit seinem 9-11-Roman endlich Licht ins Dunkel bringt und die Verdauung des Ereignisses erleichtert. Das ist freilich falsch. DeLillo lässt es nicht zu, als lichtbringender Dämonenbezeichner zu fungieren: Falling Man ist bereits ein berühmtes Foto und hat bereits Texte und mediale Bearbeitungen inspiriert. Sollte DeLillo dies beim Schreiben gewusst haben, so kann man das als weiteren Bezug zur massenmedialen Gewaltkultur ansehen: der Autor begreift sich als ein weiterer Koch in einer unendlichen Küchenlandschaft.

In früheren Romanen hat DeLillo schon ein berühmtes Pferd gesattelt: any plot moves deathward, so wie bei Libra und White Noise. Der Tod ist mehr als Huibuh sondern geheiligtes Ende in der Zeichenkette dieser Epoche. Auch in Falling Man kann man diesen Gedanken aufspüren, doch das Pferd wird beileibe nicht geschunden. Der Performance-Künstler Falling Man stellt den Sturz nach, der Tod wird evident und zum Spektakel. Wieder ist es das kollektive Betrachten, das Massengefühl, welches unausweichlich mit dem event (ha!) verbunden ist. Wenn der Mann immer wieder fällt, taumeln dann auch die Türme immer wieder zu Boden? Wann hören die Bilder auf? Dem entgegen steht die grossartige Truppe Alzheimer-Patienten, die einen creative writing Zirkel bilden. Deren Tod ist nah doch ihr Geist schwebt woanders.

Besonders erwähnenswert ist DeLillos Art, Kinder darzustellen: wie schon Heinrich und Wilder in White Noise ist "The Kid" in Falling Man eine fast schon groteske alternative Lebensform - passiv doch aufmerksam, durchsichtig und doch massiv.

Freilich gibt es noch viele andere interessante Ideen. Dies ist keine Novelle, so wie The Body Artist. Und so kommt man auch zu dem eventuellen Haken bei der Evaluierung dieses Textes, sollte man das denn vorhaben: der Fallende Mann (ob in echt oder auf Foto oder beides) kennt nur eine Richtung, nämlich zum Tod hin. DeLillos kurzer Text hingegen bewegt sich seitwärts und schlingert sogar. Der Roman Falling Man kann nicht einstimmig gelobt werden. Die Erwartungen waren schlichtweg zu gross. Die vielen Perspektiven und Ideen (das existentialistische Erwachen durch Poker-Kultur etwa) verfransen sich ineinander und DeLillo weigert sich fast, eine Bühne für EIN wuchtiges Bild zu schaffen. Vielleicht ist es das, was er zeigen will: die Vielheit zwischen den Türmen und ihrer Zerstörung, die Vielheit zwischen diesem einem Datum und heute.

Interessanterweise lässt sich das dicke, dicke Underworld eher als Schlüssel zu 9-11 lesen als Falling Man. Hier gibt es die amerikanische (Gegen-)Idylle im Breitwandformat. Eine bezeichnende Randnotiz ist freilich, dass DeLillos dickstes Buch von 1997 die Twin Towers auf dem Cover hatte.

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