9/25/2011

The Dharma Bums, Jack Kerouac

Einatmen, ausatmen. Hier. Ein halb-echter flinker Roman der vielleicht sogar besser ist als der Klassiker On the Road.

Es wird so viel schönes getan in dieser Geschichte: wandern, backen, billige Haarschnitte beim barber college abgreifen, Pläne machen und Landkarten ignorieren. Die Abwesenheit eines großen Planes und eines düster-dräuenden Schicksals ist schon beeindruckend. Man erwartet eine aggressivere Anklage der konformistischen 1950er aber es ist eher eine lebendige Alternative im erweiterten Wortsinn: Smith/Kerouac lärmt nicht und heult auch nicht. Er beschreibt eine alltägliche Freiheit, eine ungezwungene Aufgeschlossenheit. Niemand predigt hier. TDB ist wider Erwarten keine Ausschlachtung von fernöstlichen Glückskekspoetiken sondern eine entspannte Erforschung zivilen Rumlungerns.

Und noch eine Überraschung: der Roman endet in plötzlicher Epik. Smith/Kerouac beginnt eine Zeit als Waldwächter und sitzt auf einem physischen und spirituellen Hochsitz. Da kommt freilich Vertigo auf. Recht so.

9/18/2011

Dead Man, Jim Jarmusch

Hier. Der Film geht geradeaus, er fummelt nicht so herum wie der Protagonist. Die Richtung ist vorgegeben: nach Westen geht die Reise, es wird nicht in jede Richtung gelebt sondern nur zum Pazifik hin.

Eigentlich ist Dead Man kein Anti-Western sondern ein Meta-Western: alle genreüblichen Elemente werden ad absurdum durchgesetzt und der Treck ins vermeintliche Paradies ist unmöglich, wird aber trotzdem unternommen. Der bald Sterbende macht eine Wandlung durch: erst ist er ein Auswuchs der rationalen und expandierenden Industrie im Osten und ist empört, dass die Spielregeln der Zivilisation hier im Grenzland verwittern. Dann wird er langsam vom Opfer zum Blatt im Wind. Durch das angeschossene Herz kann er loslassen... der Druck lässt nach, das Blut spritzt nicht mehr sondern schmaddert. Am Ende gleitet er rücklings im Kanu auf sanften Wellen dahin. Von Fest zu Flüssig und dann zum vielleicht ins Ätherische.

Großes Kino, dickes Kino. Breitwand in Schwarzweiß. Und Iggy Pop im Kleid.

9/17/2011

White Noise, Don Delillo

Alle Jahre wieder. WN bleibt eine Referenz nach all den Jahren weil es Grundthemen umreißt, die in vielen Formen die Mehrzahl der konsumierten Produkte hier durchweht. Und eigentlich geht es um Konsum im Allgemeinen und Speziellen: wie kann die sogenannte moderne Familie zu dem stehen, was reinkommt und was rausgeht? Wie hermetisch ist das Domizil eigentlich und wie nachhaltig kann man ideologische Diffusion und die Außenwirtschaft außen halten?

White Noise ist die muntere Kontamination und die leise beschriebene Alltagsverschleppung. Bemerkenswert ist auch, dass der Roman schon so alt ist. Seitdem sind viele airborne toxic events durch Schirme und Geister gewandert. Nachwievor bleibt der Wunsch nach nachhaltiger Buße durch Terroristenfabeln und Splatterfabriken - eine Erdung durch Moralitäten des vor-televisionierten Jahrhunderts. Delillo hat das auch in anderen Werken anschaulich zerlegt.

Community, Dan Harmon

Ausgezeichnet. Hier und hier. Ein schöner Moment in der zweiten Staffel: man macht sich über das seelenlose Cougar Town lustig. Das tut gut.

Community ist eine selbsterklärende sitcom: die seltsam diverse Lerngruppe an einer Feld-, Wald- und Wiesenhochschule reflektiert über sich selbst und auch über das gesamte Genre der Bildschirmunterhaltung und nutzt ihre Sendezeit optimal. Wer nicht mitkommt, konsumiert nicht genug: freilich ist das eine gerade in diesem Blog gern gesehene Prämisse. Community ist weniger aggressiv als erwartet und eher drollig.

Es muss eine dritte Staffel geben, ob nun mit oder ohne Chevy Chase... aber lieber mit. Hehe.

9/12/2011

The Pale King, David Foster Wallace

Hier.

Mit Wehmut begann der Konsum... DFW ist zu gut und dies ist der Rest vom Schützenfest, editiert von einem uneinschätzbaren Lektor und zusammengestellt aus Romanfragmenten, die in der Garage gefunden wurden.

Aber das muss ja nicht schlecht sein. Dies könnte das Phänomen namens Literatur weiter erhellen, indem es wirklich eine zerteilte Autorenschaft unterstreicht - bei TPK wird zumindest deutlich, dass Bücher Produkte sind, die sich verkaufen sollen oder müssen und die dementsprechend von mehr als einem Hirn gestaltet und (nach-)strukturiert werden.

Der Roman ist ein Sammelsurium aus Anektdoten und Geschicht(ch)en, die sich mit der Steuerbehörde der USA im letzten Jahrhundert, in der Zeit vor Internet und PDF, befassen. Es ist eine monströse Bürokratie, eine Urgewalt der Fussnoten und der abstrakten Evaluationsregeln: es ist auf unheimliche Art kreativ, aber eben absolut abstrakt da es sich mit dem Unding namens "Geld" in zweiter Ordnung beschäftigt. Formulare stapeln und falten sich ineinander, da wälzen sich Vorgänge mit kryptischen Anmerkungen und analogen Links durch Maschinen, die als Schreibtischkollektion mit menschlichem Anhang gestaltet sind.

Der Roman ist eine beklemmende Arbeit über Arbeit im Sinne von Job und Geldverdienen. Von wegen Kreativität und Selbstverwirklichung: hier geht es in einen Elfenbeinturm, der die Staatswirtschaft zusammenhält und dokumentiert. Es geht um Vorgänge, die nicht für Menschenaugen Sinn machen müssen sondern nur für ein Heer bürokratischer Systematiken. So kann Wallace wieder um die schon von Infinite Jest bekannten Kernthemen Stupor, Geistesleere und Langeweile, dem Mittagsdämonen, kreisen. "No word for the Latin accidia made so much of by monks under Benedict. For the Greek. Also the hermits of third-century Egypt, the so-called daemon meridianus, when their prayers were stultified by pointlessness and tedium and a longing for violent death."

Und das Unheimlichste ist das Brechen der vierten Wand. Wallace selbst (!?) schreibt von seinem eigenen Job in diesen Büros in Peoria, Il. Schmerzhaft genau bebildert er den Stumpfsinn dort und erläutert auch die juristischen Umstände seiner Berichterstattung. Eskapismus? Nein, kein Entkommen.

So weit, so seltsam. Warum sollte man TPK trotzdem lesen? Wallace schreibt unbarmherziger als im Infinite Jest und so finden sich Sätze wie "(L)ife owes you nothing; that suffering takes many forms; that no one will ever care for you as your mother did; that the human heart is a chump." Und: "Pain is a wholly subjective experience and thus ‘inaccessible’ as a diagnostic object. Considerations of personality type also complicate the evaluation." Ein unheimlicher Heroismus bringt das Leitmotiv auf den Punkt: "To be, in a word, unborable... It is the key to modern life. If you are immune to boredom, there is literally nothing you cannot accomplish."

Es gibt Einblicke in den Stillstand von Geist und Arbeit bzw. Geistesarbeit und wie einen selbst dieser Stillstand prägen kann: "and then unbidden came the thought that boring also meant something that drilled in and made a hole."

Ja, sicher, man kann TPK als überhebliche Nabelschau und als Schmähung der arbeitenden Massen abtun aber letztlich fängt der Roman erneut die Frage ein, die jeder halbwegs junge Mensch sich stellt: wie kann man in einer Welt voller Unfug etwas Sinnvolles tun und wie erkennt man das? Und selbst wenn man so existentiellen Schwermut nicht haben will, so ist TPK immer noch ein Wallace: sehr, sehr seltsame Menschen und Geschehnisse werden auf einmalige und maximalst unterhaltsame Art und Weise geschildert. Das Buch könnte also das Gegenmittel zu seinem eigenen Thema sein. Infinite Jest ist noch immer besser, aber selbst unfertig kommt TPK überraschend nah heran.

Außerdem: die Zitat-Folgen-Funktion des Kindle (dessen Preis letztens gesenkt wurde, harumpf) erweist sich hier natürlich als große Hilfe.

8/30/2011

Pause? Urlaub!

In ca. fünf Stunden wird der Durchschnittsdarm mit Durchschnittskost Gerüchten zufolge fertig. Jetzt elf Tage Unterbrechung: was da alles verdaut werden kann! Pale King fast fertig, Ayn Rand ist im Gepäck. Mal sehen.

Freaked, Tom Stern, Alex Winter

Hier. Das muss verdaut werden. Avatar war Firlefanz. Hier geht es so richtig schön in die 1990er und alle brechen Neonfarben und niemand hat ein Telefon und Bill und Ted sind im Kino gewesen und Pop wird mit dem Zerfall der vermeintlichen Gegenkultur im Osten Sinnbild der Sinnentleerung und des globalisierten Dumpfsinns.

Aber Freaked ist trotzdem drollig. Voller Überschwang gehen hier alle ans Werk und verzapfen beharrlich Irrsinn. Es geht um Mutanten und deren Produktion und die Zwangswirtschaft, die mit den vermeintlichen ästhetischen Außenseitern betrieben wird. Die Maskenbildner kamen so in Schweiß, dass die CGI-Atzen von heute den Film vielleicht gar nicht mehr verstehen.

Brooke Shields und Mr. T in EINEM Film. Mehr kann man nicht verlangen.

8/18/2011

Hurra, Seitenleiste wieder da

Erfolg! Es haben sich unlautere HTML-Partikel in einen Eintrag geschlichen und das Layout kontaminiert. Säuberung erfolgreich, Ordnung wiederhergestellt.

Weitermachen.

The Church of Dead Girls, Stephen Dobyns

Hier. "Populäre Belletristik." Es ist ein Kleinstadt-Thriller, also eine Geschichte, die sich mit dem Zerfall einer eigentlich als homogen erachteten Gemeinde befasst. Irgendwann sind ein paar Mädchen tot und irgendwann drehen alle durch. Auswärtige werden angefeindet, alte Feindschaften brechen auf und in Zorn und Angst verfällt der Mob in Raserei.

Beeindruckend der geradezu klaustrophische Plauderton des Biologielehrers, der die Geschehnisse erzählt und teils in sie eingreift. Jaja, die Lehrer. Naturwissenschaft. Was nutzen denn sezierte Frösche wenn es doch viel mehr zählt, ob und wie man zur guten Seite gehört? Kurzweilig, ja.

8/15/2011

The Daring Young Man on the Flying Trapeze, William Saroyan

Hier, nicht hier. Das ist eine Moderne, wie sie passt. Kurzgeschichten von enormer aufrichtiger Schreibe, die um eine Position kreisen: der mittellose junge Mann vor der Schreibmaschine in der urbanen Ödnis. Er hat ein Fenster, er hat wenig zu essen, aber er hat noch ein paar Seiten leeres Papier für die Schreibmaschine. Mal wird mehr beobachtet, dann wieder mehr erinnert. Aber immer ist es das titelangebende Trapez, das mitschwingt: am höchsten Punkt wartet die Schwerelosigkeit. Für einen Moment kann man das Ganze loslassen. Für einen Moment wird man vom Ganzen losgelassen. Für einen Moment könnte man einfach loslassen und gegen die Innenwände der Manege donnern. Mehr als ein Absatz beinhaltet sternenscharfe Lyrik. Recht so.

8/13/2011

Hoppla

Seitenleiste fort. Was ist denn jetzt schon wieder?!

Revelation Space, Alastair Reynolds

Hier. Die Weltraumoper ist eine eigene Sparte in der Sparte und zeichnet sich durch intergalaktische Melodramatik, Versatzstücken aus Mantel-und-Degen-Akrobatik, tech porn und hoher Seitenzahlen aus. So auch dies hier. Prägnant geht anders.

Denn hier wird vor allem ausgeufert: das All ist enorm alt, die ominösen Relikte (die MacGuffins hier) auch, und die Reise ist enorm lang und das Schiff ist auch enorm groß. Reynolds zerrt recht extreme SciFi ins Boot, ähem, shuttle: Nanobots und Genkontrolle, Fleischrechner und Sporenintelligenz, kristallines Raum-Zeit-Geschwurbel und so weiter. Geerdet werden kann so etwas nur durch Charaktere, die einem irgendwie ans Herz gehen - aber das fällt hier schwer. Die Technologie ist zu extrem, so dass jede menschliche Aktion eigentlich beliebig ist. Die Bühne ist wunderbar ausgestaltet, allerdings verschluckt sie die Helden und Heldinnen. Unangenehm aufgefallen ist die plumpe Sozialkritik, die der Geschichte unterstellt werden kann. Jaja, Meuterei. Gähn. Aber vielleicht ist der Konsument auch einfach zu alt und verbohrt.

Bei den Fans soll RS gut angekommen sein. Sequels gäbe es wohl auch. Im Konsumgraben aber wohl kaum. Zu enorm, das.

8/12/2011

Lethal Injection, Jim Nisbet

Hier. Wie Espresso: kompakt, tiefschwarz, synapsenpeitschend. TBA.

Es ist schon eine magische Geste, die da in den Todeszellen lauert: ein Arzt gereicht die Hand zum Tode. Mit sanftem Druck kommt etwas in die Venen und mit ebenso sanften Druck wird der Verurteilte nachhaltig aus diesem Kasten ausgeschlossen.

Der Protagonist ist Henker-Mediziner und selbst nicht ganz nüchtern und verkompliziert sein eh schon verpfuschtes Leben mit zuviel Nachsorge. Er verfolgt die Fährte des Hingerichteten in entgegengesetzter Richtung und landet in der Finsternis, in der durch Venenverkehr geschwärzten Vorhölle. Unschuld, Erblast, Befleckung und Vergebung: bewährte Themen.

Es ist immer wieder erstaunlich, wie erbarmungslos nicht nur die Charaktere miteinander umgehen sondern auch wie der Autor mit dem Leser verfährt. Und dass letzterem das auch noch gefällt. Seasons in the abyss: die alte Frage nach dem noirigen Kitzel.

Ein Essay zum Thema zitiert jedenfalls so:

Whether death by needle is easier for the executed is an open question, but surely it is easier for the executioners. By wrapping punishment in a therapeutic cloak, the process feels less morally offensive to those who are required to participate, and it is therefore more bearable. There is a deeper issue as well. "The use of a well-known medical tool, general anesthesia, for execution blurs the distinctions between healing and killing, between illness and guilt.," observes Dr. Jerome D. Gorman, a general practitioner in Richmond, Virginia, who has spoken out strongly on the issue.

Die Disney-Fraktion darf ruhig weiterhin Green Mile lesen. Uff.

8/10/2011

Super 8, J.J. Abrams

Hier. Der Unfall des Zuges ist enorm, das muss bejaht werden. Da wurde Michael Bay kurz zitiert. Aber ansonsten menschelt es in diesem entzückenden Breitwandfamilienfilm ganz gewaltig, so dass einem sehr warm um's Menschenherz wird.

Es ist eine alternative Version von E.T. mit mehr Budget. Es ist eine Geschichte, die immer und immer wieder erzählt werden wird. Alle kennen die Schablonen und Formeln, alle kennen die Dialoge und alle müssen lächeln. Und zum Schluss wird nachhaltig aufgeräumt: mit leisem Seufzen löst man sich aus dem Kinosessel.

Es ist ein dreifaches Hurra auf das Medium Film und eine unprätentiöse Schilderung der Bedingungen vor der Medienexplosionen. Wählscheiben, Funkgeräte, Magnetbänder. Das ist aber nicht nur dokumentarisch interessant sondern verdichtet sich zu einer trotzdem spannend erzählten Geschichte... nicht spannend im Sinne von "wie wird es wohl ausgehen" sondern im Sinne von "oh bitte lasst mich noch ein wenig in dieser gemütlichen Hektik verweilen".

Alles richtig gemacht. "Drugs are soooo baaaaaad!" Ach, recht hat der Wonneproppen. Wer braucht Drogen bei solch glückseligen Popcorn-Momenten?