11/18/2007

Planet of Slums, Mike Davis

Uah, Sachbuch. Aber wie! Herr Davis liefert eine enorme Anzahl von Fussnoten und Verweisen und hält sich nicht etwa mit der Ästhetik des Schmutzes in einer quitschsauberen Erstwelt-Optik auf. Vielmehr umreisst und erläutert er die Lebensbedingungen von vielen, vielen Menschen die weit, weit weg wohnen. Hier soll keine soziologisch-geopolitische Kompetenz geheuchelt werden: für eine Fachdiskussion reichen die Kapazitäten im Graben nicht. Das tat der faszinierten Lektüre aber keinen Abbruch.

Städte sind seltsam, als Metapher und als Heimat. Wittgensteins Sprachspielerei trifft Darwin trifft Natur vs. Kultur und so weiter. Architektur wurde ja schon bei Ayn Rands Roman als ergiebiger Denkrahmen ausgewiesen.

Slums of today: Kinder in Nairobi setzen Fäkalien in Flaschen als Erpressungsmittel ein. Andere Nachbarschaften wenden sich Spiritualismus und Hexenkult zu da ihr Leben von grundauf furchtbar ist. Scheiterhaufen türmen sich neben den Highways. Kabul erstickt in einer Decke aus festgetrampeltem Müll. In Brasilien wachsen die Slums einzelner Megaplexe zusammen und werden zu unkontrollierbaren mehrstöckigen Sümpfen.

Bahnbrechende Neuigkeiten sind nicht zu finden, aber eben Genauigkeit. Für Davis ist es der neoliberale Oktopus, der mit Privatisierungswahn und fadenscheinigen Hilfsprogrammen die urbanen Eiterbeulen eher erstarken als veröden lässt. Der ehemalige Fleischhauer und heutige Soziologe betont aber auch, dass es im dritten Jahrtausend "weit, weit weg" als Koordinate nicht mehr gibt. Er kritisiert sowohl zweidimensionalen Almosen-Optimismus als auch die dumpf-schicke Haltung von ökologischen Romantikern. Die Dinge sind komplizierter als man denkt und vor allem sind sie sehr viel schmutziger.

Durchweg lesbar, durchweg ernüchternd. Zum Weiterlesen mag sich Davis' Aufarbeitung des Viktorianischen Zeitalters oder die Ökologie der Angst in Kalifornien anbieten. Oder der Blick wandert zu Sennett: vielleicht beantwortet sein "Fleisch und Stein", welches Material letztlich härter ist.

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