3/27/2011

The Sopranos, David Chase

Ein "davor" und ein "danach" werden meistens durch einen Schnitt getrennt, hier ist es ein smash cut. Das ist das Ende. Endlich ein leuchtendes Beispiel für die Emanzipation des Fernsehens vom Medium der bloßen Verdauungsförderung hin zur echten Erzählmaschine.

Die Welt ist voller Lob für die Sopranos. Geradezu klischeehaft gut sollte diese Serie sein. Geradezu klischeehaft hat der Konsument sie gemieden. Wollte der Stimme des Volkes nicht trauen. Und das Unheimliche daran: die Welt hat recht. Die Sopranos sind die beste Fernsehserie, die es gibt bzw. die es zur Zeit ihrer Ausstrahlung gab. Es packt, es rührt, es widert an, es ist weitab von der Mehrheit der Fernsehproduktionen, inklusive Wetterbericht und breaking news. Die Produzenten und Darsteller haben Monster geschaffen, die zu finster sind, um wahr zu sein: Tony ist (und das hat der Konsument tatsächlich irgendwie erwartet, ach wie doof war er doch...) KEIN aufgebrühter Brando ohne Frucht im Mund, Tony ist das allumfassende Scheusal der Gegenwart, mit dem der bloßgelegte Fernsehzuschauer trotzdem Zeit verbringen möchte. Das "Wie kann er nur?" wechselt sich ab mit dem "Warum muss er das?" und die Antworten tun jeweils ein bisschen weh. Das Brutale ist weit mehr als die kurze Schaulust mit Goodfellas-Zitat, es ist in die Textur der Serie eingewoben: wie kann man so weitermachen, sowohl die da als auch wir hier? Wieso vertieft jede Staffel das Interesse und die Abscheu gleichermaßen?

Das ausgenudelte (Ah! Nudeln! Supersexy Hauptgerichte werden hier oft in Szene gesetzt... Carmela sollte ein Kochbuch schreiben) Motiv des organisierten Verbrechens residiert hier in ganzer Breite und Allgegenwart. Die alternativen Genealogien leben ja am Ende: an den losen Enden der zivilen Wirtschaft, an den Tresen und Kassen, den stetigen kleinen Materialflüssen von Abfall und anderen Finanzen. Fleischabfälle, Abfallfleisch. Diese Serie ist quasi die radikalste Darstellung von Wertekreisläufen überhaupt. Parasiten? Wie nennt man Parasiten, die ihre Wirte buchstäblich zermalmen können? Diese Mafia ist ein Maul, ein Kieferapparat. Das Gegenteil aller sitcoms - und das Motiv der Psychoindustrie, die Tony helfen kann und es teils auch tut, ist keinesfalls politisch-hämisch zu verstehen. Lebensfreude ist auch ein Wert. Der eine hat sie, der andere holt sie sich. Von wegen Ende der Nahrungskette und so. Da war der Bauchschuss durch den schwerverdauenden Alten sehr naheliegend. Mit dem Zahnverlust ist man heraus aus der Konsumentensippe.

Wie kann es schlechten Menschen schlecht gehen? Das ethische Dilemma ist bei den Sopranos weit mehr als nur pastorale Gutmenschromantik, es ist die falsche Frage. Sieht das die lobende Mehrheit auch so? Oder kommen die nicht weiter als zur (wahren) Feststellung dass alle Familien irgendwie beschädigt sind, die meisten aber (?) weniger kriminell? Toi, toi, toi. Die Sopranos sind allumfassend, mit Ethik und solchen Käuflichkeiten geben sie sich nicht ab.

Jede Folge ein Gedicht - Mad Men hat sich zurecht erfolgreich an diesem Standard orientiert (Matthew Weiner durfte hier ja üben). Beeindruckend ist die dramaturgische Konsequenz, die man (wie immer) besonders am Ende bemerken kann: der Zuschauer wird so allein gelassen wie jeder in einer Welt aus Gier und Gewalt. Kommt der Hieb, der Schnitt? Kam er schon? Hängen wir alle in der alten Lackiererei von der Decke, leise in eine Ölwanne blutend? Diese Serie hat die betörendsten Geräuschkulissen überhaupt wenn es um stumpfe Gewalt und präzises Sterben geht. Wo mag New Jersey aufhören? Bestimmt nicht in Manhattan. Das richtige Leben im falschen gibt es nirgendwo, vielleicht auch nicht das Gegenteil davon. Die Sopranos sind ganz großes Tennis, ihnen gehört der Platz... am Ende ist der Zuschauer der Korrumpierte, der Infizierte, der Angefixte. Augenzeuge und vielleicht auch Mitspieler.

Zerschmettern. Abschneiden. Smash. Cut. Alles andere ist nur Abspann.

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