5/06/2009

Defiance, Edward Zwick

In diesem Western haben die Cowboys lustigere Hüte aus Fell und Cord. Sie huschen durch den Wald und verstecken sich vor den Südstaatlern bzw. Indianern (Nazis), die auch noch Flugzeuge haben.

Nein, im Ernst: Defiance hat (obgleich die hirnlosen Marketing-Quallen mal wieder für den deutschen Markt die Betitelung zerschossen haben) Siegerqualitäten. Die drei gebrochenen/brechenden Brüder (allen voran Craig mit seinen übermenschlich blitzenden Augen) überzeugen mit ihrer Arbeit. Das Buch ist innovativ und genau und verlässt sich nicht auf den historischen Spielplatz als Autorität.

Defiance zeigt, wie sich die Zeiten ändern: das erhabene Thema "Drittes Reich" kommt langsam in der Kulturindustrie an und schon bald wird Tarantino uns mit Staraufgebot zeigen, wo die Gaskammer leckt. Zwicks Film ist wie ein Vorbote: am Anfang schieben sich Pseudo-Original-Filmaufnahmen ins Bild und verdichten sich schließlich zum Kinobild. Sepia wird zu Farbe, die dann am Ende wieder zu Sepia wird. Noch nie war Geschichte so ein famoses Spielzeug. Wolfenstein3D-Profis wussten das schon lange.

Try, Dennis Cooper

Dieser Tage wird vom Konsumgräber oft an JG Ballard gedacht und seine ent-Frickelung des Potentials von SciFi. Irgendwie könnte Coopers Pentalogie, von der Try das Drittwerk ist, auch als SciFi gelten. Als besonders furchtlose SciFi.

Vor einigen Jahrhunderten wurde Sexualität in Homo und Hetero unterschieden und vor Jahrzehnten war Homoerotik überall unsittlich. Illegal auch. Die Mehrzahl der Nationen auf dem Planeten machen heute Schwulen und Lesben das Leben schwer bzw. unmöglich. Noch? Ist die Tendenz fallend? Die sogenannten westlichen Zivilisationen haben eine sexuelle Revolution hinter sich und deren Nachbeben befreit zusehends Menschen, Gruppen und Paare. Wer hätte vor dreißig Jahren mit Swinger-Clubs auf Zwickauer Campingplätzen gerechnet ("Ja, die östlichen Heiden waren ja eh ein leichtes Opfer für die gottlose Wollust")?

Im Vorgänger wurden Knaben in Windmühlen ausgeweidet und es wurde auch einiges mit Exkrementen angestellt. In Try wird nun der jugendliche Protagonist von seiner Familienbande eingeholt: Vater eins ist eine brutale Sau, Vater zwei ist der Ich-Erzähler und versessen auf das Rektum seines Sohnes. Der Onkel ist erstens fett (igitt) und dreht gern Kinderpornos. Der tumbe Freund/Geliebte ist auf Heroin und ein jugendlicher Slayer-Fan hat einen Unfall. Wieviel alternative Moralität hält der Leser dabei wohl aus? Cooper gibt kein Thriller-Korsett vor: normalerweise holen sich die Konsumenten ihren Bedarf an BlutSpermaScheiße aus Bahnhofsbuchhandlungen. Cooper ist ein Befreier. Wie unangenehm ist dieser Gedanke?

Wann wird die sexuelle/körperliche Revolution zum Stillstand kommen? Es gibt Pädophile, die sich offen zu ihren Vorlieben bekennen. Werden sie eines Tages von der Gesellschaft geduldet werden, so wie S/M-Bruderschaften und nippelgepiercete Menopausen-Girlies? Und wie unangenehm ist dieser Gedanke? Braveheart fragte einmal vom Pferd aus: "Was würdet ihr tun ohne die Freiheit?" Ein politisch grübelnder Leser von Coopers Werk fragt sich: "Wieviel Freiheit halten wir aus?"

Der nächste Teil soll einen Rockstar zum Zentrum haben. Heil Satan.

5/04/2009

Prozac Nation, Elizabeth Wurtzel

Die Überraschung kam gegen Ende bzw. nach der Lektüre: das Buch wurde bereits mit Christina Ricci verfilmt und Elizabeth Wurtzel scheint mit dem Ding eine Berühmtheit geworden zu sein. Somit ist das Thema Depression also nicht nur seit Frau Kuttner ein Thema für die Textmärkte.

Achtung, verdächtiger Klischee-Gedanke: mit einer attraktiven jungen Frau verkauft sich wohl alles gut. Aber die Autorinnen können ja nichts dafür, dass sie un-alt sind und zwei X-Chromosomen haben. Das hielt den Verlag aber nicht davon ab, eine entsprechende Cover-Gestaltung vorzunehmen.

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Doch wenn man mal dieses Brimborium außen vor lässt, so kann man die Lektüre als spannend und unterhaltsam beschreiben. Wirkliche Spannungskurven gibt es nicht, da Wurtzel autobiographisch schreibt und es gerade bei dieser Erkrankung selten zu kathartischen Höhepunkten kommt. Ähnlich wie bei Frau Kuttner ist es der Ton, der die Musik macht: Wurtzel hat eine wunderbar spritzige Schreibe, die das Drama zwar nicht versüßt, aber eben doch auf bittere Art erträglich macht. Die eigentliche Hauptrolle in diesem eigentlich sehr journalistisch zu sehenden Text spielen die USA und ihre vollkommene Überforderung mit dem trendy Thema Depression: in einer Nation ohne Gesundheitssystem erhöht die Geldfrage den Leidensdruck der Patienten/Bürger ungemein. Prekäre Familiensituationen werden nur noch weiter verschärft und Wurtzel taumelt durch Therapien und Arzneischränke wie ein heulsüchtiges Zicklein.

Es kommt einem in den Sinn, dass die Depressive in einem anderen Zeitalter von Dritten eventuell als Hysterische wahrgenommen werden könnten. Vielleicht ist das eine Methode, mit der Attraktivität (und somit der interpersonellen Macht) der Patientiennen (in diesem Beispiel) fertig zu werden. Die Flügel der Schönen müssen gestutzt werden, um den tumben Trott der Masse nicht zu gefährden. Uh, welch subversives Potential diese Idee hat.

Ausgezeichnet sind die zwei Nachwörter des Romans. Mit sehr präzisen Worten beschreibt Wurtzel das Schicksal und die Aura der Depression in den USA um die Jahrtausendwende. Sie berichtet vom Grunge-Chic und von schockierten Lehrern, die in ihren Schülern furchtbares Leid erahnen. Sie berichtet nicht von dem destruktiven Potential eines faschistoiden Hurra-Staates sondern von einer furchtbaren Tendenz weiter Teile der Bevölkerung, darunter besonders viele junge Menschen: es ist der Hang zur Auto-Destruktion; es ist die Auflösung der amerikanischen Seele anhand der massenhaften Korrosion der individuellen Seelen (und Seelchen) der Bürger. States of depression in the State of Depression. Wie soll das nur weitergehen?

Als weiterführender Topos (will heißen: Einstiegsraum in die Thematik) muss an dieser Stelle zumindest die Antipsychiatrische Bewegung genannt werden, die ihre Wurzeln keineswegs nur in den 68ern hat. Vielleicht ist gerade die Depression eine erzwungene Bankrotterklärung der behandelnden Ärzte, die ihren Patienten, die als Kinder der Moderne keinerlei Autorität (und sei es die wohlwollende eines Heilers) mehr akzeptieren können, nur noch Aushaltedrogen reichen können. Vielleicht ist aber auch alles ganz anders.

Gutes Ding. Und jetzt bitte den Film, Modethema hin oder her. Die Ricci wird's schon richten.

4/29/2009

Dorfpunks, Lars Jessen

Hier wird freilich gesoffen, so norddeutsches Gebrauchszeug halt. Ohne Schnörkel. Der Film ist kein Rausch: der masochistische Zuschauer erlebt den Schrecken der Ernüchterung, den Riesenkater, den Schmerz nach dem Absturz.

Schamonis Vorlage wurde nicht gelesen, deshalb erwartete man einfach eine Art Fleisch ist mein Gemüse mit jüngeren Darstellern. Verwirrenderweise wurde der Film zu letzterem (gloriösen) Text nicht geschaut. Und somit stoben die Erwartungen sehr schnell auseinander: die Dorfpunks führen die Lächerlichkeit von Jugend und Deutschland und Punk überhaupt ziemlich gut vor. Und der NDR hat mitgesponsert.

Jessen machte auch Da Kommt Kalle. So hart ist die Welt, jawohl. Austrinken, los.

4/22/2009

Crank 2: High Voltage, Mark Neveldine & Brian Taylor

Körper überall und deshalb ###SCHNELLAAAAA!!!!### spritzt alles mögliche ###SCHNELLAAAAA!!!!### ficken, und die fetten ###SCHNELLAAAAA!!!!### Statham funktioniert und rast wie ###SCHNELLAAAAA!!!!### Hektik, die begeistert, aber der ###SCHNELLAAAAA!!!!### voll krass, wie die Schlampe ###SCHNELLAAAAA!!!!### und er dann voll so ###SCHNELLAAAAA!!!!### ganz schön ungezwungen ###SCHNELLAAAAA!!!!### jedenfalls ist der Jackie-Chan-mässige Abspann sympathisch und beweist, dass eben doch Menschen und keine Marketing-Idioten diesen Film produziert haben.

Der erste Crank war charmanter, legte aber schon die Übertreibung in einem möglichen Sequel fest. Also ist Crank 2 konsequent - und immer noch eine schnelle Gaudi.

4/20/2009

Darkness Visible, William Styron

Dieses Essay wird oft in der Augenzeugen-/Patienten-/Konsumentenliteratur zur Depression erwähnt. Nun wurde es also flux zerkaut, und siehe da: man sagt "Recht so!".

Styron ist ein Literat, von dem bisher nüscht im Konsumgraben landete und deshalb hatte er auch keinen Ruf zu verteidigen/beschädigen. Sein Text ist autobiographisch und direkt und beschreibt in knappen, aber menschlichen und leicht verständlichen Worten, wie es zu seinem persönlichen Zusammenbruch kam und wie er ihn überlebte. Dabei tangiert er in typisch anglophoner Lässigkeit kulturgeschichtliche und biologische Fakten zum Thema. Kurzweilig ist das alles auch, aber nur für Newbies - alle anderen müssen sich komplexerer Literatur zuwenden. Mit etwas mehr Zeitaufwand kann man sich aber auch gleich dem Mittagsdämon von Herrn Solomon anvertrauen.

Death Race, Paul W. S. Anderson

Ah, dieses Rumpel-SciFi-Remake begeistert durch knallharten Materialismus: Es gibt Autos und Menschen und die Menschen sind nur aus Fleisch und das Metall der Autos ist so viel härter und härter ist besser denn die Zukunft ist auch hart. Die Härte der Zukunft liegt im knallharten Gefängnissystem, welches eine Ökonomisierung des Strafvollzugs ermöglicht und somit eine Running-Man-Gladiatorik ermöglicht.

Laufen, laufen. Erst der Blade Runner, und der Running Man. Dann gibt es noch Logan's Run, der nichts mit Wolverine zu tun hat. Schneller, schneller. Je schneller ein Objekt, desto härter wird der Aufprall... auch beschleunigtes Fleisch donnert ganz schön, wenn es auf kinetische Widerstände stößt. J G Ballard (RIP) hätte seine Freude dran, zumindest an der Idee.

Death Race ist ein sehr OKer Film, der Bock auf Autofahren macht. Außerdem macht er klar, dass der einzig wahre Autolack ein dumpfes, feuerfestes Schwarz ist.

Knowing, Alex Proyas

Nicolas Cage unterwegs im Namen des Herrn: Halleluja! Endlich sind zwei eigentlich unversöhnliche Himmelsversionen im Mainstream-Kino vereint, das ist so als ob fantasy auf sci-fi trifft. Die Macht kommt von oben, ihr Menschen! VON OBEN! Aliens und Engel bekriegen einander nicht, nein, sie sind gleich! Beide Himmelsversionen machen die Menschlein nichtig und lassen sie staunen, beide lassen Prophezeiungen verlauten, die dann angezweifelt, bewiesen und beweint werden können.

Das Ende war selten schöner, und weil das Ende immer zählt, ist das hier ein guter Film für das verkackte RTL-Eventkino ("Schatz, machse ma Nudelsalat, da is hoidamd der Kerl aussem Con Air inna Glotze").

Die Wohlgesinnten, Jonathan Littell

Ohne den Hype beim Erscheinungstermin wäre das Erlebnis etwas geringer. Da fragt man gleich, wer die Wohlgesinnten denn nun sein sollen: der berichtende Feuilleton, die preisenden Leser, die buhenden Leser, die Nichtleser oder etwa einige der Romanfiguren? Und wenn man sie schon als klassische rasende Rachegöttinnen akzeptiert, dann bleibt die klare Zuweisung ebenso offen. Die Wohlgesinnten ist ein geduldiger Roman, ein Kübel, der von innen beschrieben ist. Und in dem Kübel, so die Inschrift verdeckend, ist eine Menge Mist, Dreck, Jauche und Müll. Hinein!

Oh, wie zynisch: die Lektüre macht Spaß. Da ist das perverse Schauspiel im Großen und Kleinen: Stalingrad und Holocaust bieten genügende Horrormotive und auch der Protagonist Max bietet mit seiner Schwesternliebe, dem eventuellen Matrizid und der passiven Vergewaltigung eines Baumes genug Anlass zum schaurigen Ekel. Voll der Irre, äi! Das name-dropping allein ist pervers im Sinne von grob fahrlässig: fix trifft Max Mengele und Konsorten, Eichmann und Hitler selbst werden ebenso abgeklatscht wie die geographischen greatest hits des Top20-Albums "WW2".

Der Roman besteht aus fiktiven Erinnerungen. Das allein mag das perverseste sein: da setzt sich einer hin, denkt sich einen Erinnerer aus und macht dann einen mit historischen Fakten zersetzten Würgreizcocktail. Dabei ist das Getränk süffig: die vielen, vielen Seiten fliegen dahin und mit Staunen und Thrill folgt der Leser den Irrfahrten des SS-Schergen Max. Dabei bedient sich der Autor einer bemerkenswerten sprachlichen Dichte: oft driften die Erinnerungen in essayhafte Sphären ab und der Leser erfährt viele (gefilterte) Informationen über Ethnographie, sogenannte Rassenkunde und pseudo-kultistischen Nazi-Klimbim. Das ist dann ein wenig so, als wenn Dr. Henry Jones Jr. über Gräle und Laden referiert.

Und hier ist man wohl im Herz der Grausamkeit: all die furchtbaren, seelenfressenden Fakten sind ja letztlich eine Geschichte. Eine von vielen. Andere Geschichten, wie die von Indy, bedienen sich der Fakten, der Bilder und der Meme auf andere Art und Weise. Da war eine Katastrophe, da ist sie nun in der Vergangenheit und da liegt sie quer als unverdaulicher Brocken. Lasst uns daraus U-Artikel bauen!

Netterweise erwähnt Littell/Aue an einer Stelle sogar explizit die klassischen Tarzan-Romane, übereinfache (heutzutage trashige) Jugendliteratur von früher. Das passt.

Littell nimmt eine Position zwischen Joachim Fest und John Barth ein indem er sich sowohl einem der größten Themenkreise der Westlichen Zivilisationen widmet als auch dem (gotifizierten) Schelmenroman. Das ist in dieser Form und in diesem Ausmaß originell. Welch miese Sache: eine geduldige Erörterung von Werwiewas ergibt niemals zwangsläufig eine Antwort auf das Warum. Der Roman bestätigt eine längst verbreitete Erkenntnis: Humanismus ist Puppentheater für materiell sichere und isolierte Menschen - mit dem Menschsein selbst hat Humanismus freilich wenig zu tun. Alles was bleibt, ist Text - und der ist geduldiger als die müßige akademische, journalistische oder spirituelle Wahrheitssuche. Vorstellungen und Vorhänge fallen stetig und Fragen müssen offen bleiben.

4/14/2009

Master and Commander: The Far Side of the World, Peter Weir

Auf dem Ozean hört einen keiner schreien und dem Ozean ist eh alles egal. M+C ist ein seltsam abgebrühter Film, denn es scheinen keine Menschen mitzuspielen: Crowe mag sich aufführen und verkauft werden wie Charlton Heston, aber hier ist er nicht Kapitän und Avatar sondern die Person, die irgendwie notgedrungen durch die Raufereien führt. Wer ist denn nun Master, wer Commander? Crowe nicht. Vielleicht der Ozean.

Ist das eine Fortsetzung der Truman-Show? Nach der tragischen Überpräsenz des Protagonisten nun eine Oper der Verschollenen? Vielleicht macht sich Weir wirklich viele Gedanken über das Weglassen und das Aufbauschen, sein Picnic at Hanging Rock von 1975 machte diese Technik thrilleresk deutlich.

In diesem eiskalten Film sind die Effekte schön. Die Bilder auch. Ein bunter Besuch im Museum und eine feine Lektion über totes Britentum.

4/11/2009

Traffic, Steven Soderbergh

Man könnte meinen, die Welt sie kompliziert. Man könnte meinen, dass in der Vielheit der Perspektiven und der Motivationen die Geworfenheit des Einzel(l)menschen zu einer zeitlich versetzten Naturgewalt anschwillt. Ein Sturm tost nicht über das Jetzt hinweg, nein, das Jetzt reitet auf einer Welle, die sich aus den Echos der Vergangenheit zusammensetzt.

So auch bei Traffic und beim Verkehr. Alle wollen wo hin. Alle müssen kämpfen, da anzukommen wo sie hinwollen. Keiner will seinen Kurs willentlich korrigieren, alle sind auf die Beobachtung der Gegenwart angewiesen.

Soderberghs überraschend alter Film (fast eine Dekade!) profitiert von der veranschaulichten Vielheit, die schon bei Magnolia und Konsorten so schön war. Sowohl hier als auch dort sowie beim Drogenproblem im Allgemeinen führen alle Wege ins Herz der menschlichen Rotten, nämlich in das Minisystem Familie. Hier befinden sich Konsumenten und Produzenten. Beim Güter-, Menschen- und Bedürfnisverkehr (also auf dem *Lebensmarkt*) verschwimmt die behäbige Dichotomie öffentlich|privat. Hat Habermas je inhaliert?