2/16/2009

Der Verschollene (Amerika), Franz Kafka

Ganz schlimme Menschen sind ja Deutschlehrer. Die haben Herrn Kafka ihr eigen gemacht und warfen seine Werke nach jungen Menschen, die das Adjektiv "kafkaesk" fortan als Synonym für "verkopft und nutzlos" erlernten.

Freilich alles falsch. Wenn man den Autoren K. erst mal auratisch entkrustet hat, bietet er starke Lektüreerlebnisse.

Der Verschollene ist unvollendet. Die Reise des jungen Protagonisten (ein proto-Holden?) bricht nach diversen obskuren Erlebnissen ab und in der vorliegenden Ausgabe folgen nur noch einige Fragmente. Kafka selbst hat den Roman als "ins Unendliche angelegt" beschrieben - und behält recht. Die Uferlosigkeit ist nicht nur faktisch gegeben (Ende fehlt) sondern in den Seiten zuvor schon sichtbar: Karl Rossmann ist jung und naiv und seltsam passiv und schlägt sich durch dunkle Räume. Diese Räume sind im Inneren eines Schiffs oder in einem seltsam gigantischen Hotel. Dann steckt er mit zwei Halunken in der Wohnung einer fetten Frau fest und tastet sich durch vermüllte Salons. Karl weiß nicht, wo seine (Ausbildungs-/Lebens-)Reise hingeht. Weder er noch der Leser können in diesem fiebrigen Pseudo-Amerika keine richtigen Pläne erkennen oder schmieden. Karl ist mit der Freiheit scheinbar überfordert. Sein Herz/Willen könnte ein ebenso unbeleuchteter und somit beliebig tiefer Raum sein.

Verschollen kann also heißen, dass man räumlich und zeitlich entrückt ist. Klingt sogar recht gut. Welch treffliche Bezeichnung der Jugend.

Was ist in der Jugend auch noch wichtig? Sex, Sex, Sex. Somit könnte dem Roman auch eine sexuell aufgeladene aber unerotische Stimmung unterstellt werden: der arme Karl ist Matrosen, seinem Onkel, reichen Herren, einer Köchin, Tippsen, Küchenhilfen, einer halbtoten Fetten und zwielichtigen Gestalten immer hemmungslos unterlegen. Karl trifft niemanden auf Augenhöhe und letztlich findet sich kein Tom Sawyer, um diese geheimnisvolle Welt zwischen Jung und Alt mit Karl zu erkunden. Vielleicht ist es aber nur der korrumpierte Konsument, der den Roman mit dieser Sexualisierung vergewaltigt.

Der Verschollene an sich ist ja eh das machtloseste aller Objekte, der aus sich heraus nie (mehr) diverse Häfen erreichen kann.

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