7/18/2008

Snuff, Chuck Palahniuk

Go, Cassie, go!

Endlich Gang-Bang. Ein berüchtigter amerikanischer Autor nimmt sich einer der plakativsten Begrifflichkeiten der Konsumkultur an und schreibt fixe 200 Seiten dazu. Freilich ist das ganze kein Porno: es ist ein Roman, bei dem es unter anderem um Pornographie und die sie bedienende Industrie geht. Das ist nicht das gleiche.

Cassie Wright, ihres Zeichens der Star von Werken wie World Whore One und Two, will sich mit einer finalen Ultra-Orgie ein Denkmal setzen. Die Geschichte wird von drei Männern erzählt, die neben 597 anderen Herren darauf waren, durch schnelle Penetration Nähe und Ruhm zu erleben. Außerdem kommt Cassies Assistentin zu Wort, die mit Latexhandschuhen und Klemmbrett die Abfertigung der Massen koordiniert. Sehr schnell laufen die Handlungsstränge zusammen und in einem kleinen Zeitfenster entscheidet und enthüllt sich einiges (noch mehr). Der Gang-Bang endet erwartungsgemäß im Big Bang, aber anders.

Es muss bemerkt werden, dass Doubleday Publishing das Marketing ernst nimmt und ein Exklusiv-Interview von Cassie durch Chuck online stellte. Sie sieht besser aus als ausgedacht. Hier ist der erste von drei Teilen:



Und hier der Link.

Insgesamt passt das Werk vortrefflich in das bisher vorhandene beachtliche Gesamtwerk von Mr. Palahniuk. Das Elternmotiv erinnert an Rant, die befremdlichen Körperwelten an Invisible Monsters. Neu ist die rigorose Anwendung der Maximen des Kammerspiels: die Welt wird zum Wartezimmer, zum Wegpunkt für diverse Biographien.

Mehr, mehr, mehr. Go, Chuck, go!

7/14/2008

The Exorcist, William Friedkin

Freilich ist das ein Klassiker. Aber warum? Weil sich das Werk auf einen Bereich des menschlichen Lebens konzentriert, der eigentlich immer mit Schmerzen behaftet sein kann: die Familie bzw. der intergenerative Umgang.

Da ist der Priester, dessen eigene herbe Lebensführung seine Mutter in Mitleidenschaft zieht. Er kann ihr nicht die gewünschte Fürsorge angedeihen lassen. Und freilich ist da das mittlerweile popkulturell ikonisierte besessene Mädchen, das nicht nur alle Artigkeit sondern auch alle Kindlichkeit verliert. Ein großes Grauen ist die Vorstellung, daheim einen bettlägerigen geliebten älteren Menschen zu haben - fast noch schlimmer ist der Gedanke an ein krankes Kind. Das ist ein zerberstender Traum der Zukunft, der die blanke Existenz des Hauses und dessen Wirtschaft ad absurdum führt. Das besessene Balg hier kotzt nicht nur auf Talare, sondern auch auf Teppiche und die teuren Wände, die es eigentlich vor dem kalten Wind schützen sollten.

Vorm Teufel selbst kann man ja schwerlich Angst haben. Doch es sind die potentiellen Schmerzen der Familie, die hier schocken. Niemandes Mutter lutscht Schwänze in der Hölle! Und wenn, dann will das keiner gesagt bekommen. Die Hölle, das sind die Anderen, vor allem zu Hause.

The Incredible Hulk, Louis Leterrier

Hulk smash!

Aus nicht nachvollziehbaren Gründen gibt es eine ab12-Version und eine ab16-Version des Produkts. Erstere soll Gerüchten zufolge mit sinnfreien Schnitten verstören.

Somit muss an dieser Stelle gesagt werden: Hulk ist freilich eine Comic-Verfilmung und kein ange-schocker-tes Kunstkino, Version-ierung hin oder her. Als Sinnbild der hypermaskulinen Sci-Fi-Physis steht dieser Marvel-Held hier endlich einem ebenbürtigem Gegner gegenüber, dem Traditionsfeind Abomination. Leterrier befreit das Ganze aus dem Hintergrund des Kalten Krieges. Alle Beteiligten können *Comic* buchstabieren und tun, was sie sollen.

Dramaturgisch spielen auch die Nicht-Kinokonsumenten aus südamerikanischen Favelas eine Rolle: über deren Behausungen können normale (konsumierende) Menschen springen. Bruce entklettert den Schergen übers Wellblech. Nur in der harten Düsternis einer Fabrik wird er dann mean-green und in NYC braucht man sowieso eine solide Gamma-Verstrahlung, um sich den Weg durch die Urbanität zu bahnen.

Schöne Unterhaltung und nicht zu leise (Ang Lees Hulk litt unter schlechtem Marketing und unangebrachter Poesie). Aber Iron Man erfreute noch ein wenig mehr. Und, ja, Mr. Stark hat einen kleinen Auftritt in diesem Film. Alles deutet daraufhin, daß demnächst die Avengers den Weg ins Kino finden. Aber zuvor bräuchte man noch einen einführenden Film von Thor (der wahre MC Hammer) und, ähem, Captain *Unverkaufbar-in-Europa* America. Weiterer Sequel/Forsetzungsabsicht-Verdacht: Sam Sterns wurde ange-gamma-t, er wird also bald zum Leader. Wer einen Leader hat, braucht auch einen Captain, oder?

7/13/2008

Only Revolutions, Mark Danielewski

Die Straße, der Weg, steter Aufbruch und endlose Ankünfte. Verhaltenes Echo.

Natürlich klingeln noch die Augen und der Abgrund dahinter wenn man sich Only Revolutions vornimmt, da Danielewski doch so arg mit dem House of Leaves beeindruckte. Klarer Fall von Erwartungszermalmung. Mit McCarthys Über-Straße hat das Ganze freilich wenig zu tun.

Eine Geschichte gibt es durchaus: Hailey und Sam lieben sich, sie sind jung und sie reisen durch die USA. Sie treffen Freunde und Feinde und trickstern und hetzen sich durch diverse Nöte.

Allein optisch scheint OR ein Schritt im Sinne vom House zu sein, aber auch ein Neuanfang: statt dem ominösen Kern in der Mitte geht es nun um die Bewegung in die Ferne, Bewegung in Zeit und Raum quer über den (amerikanischen oder einen imaginären) Kontinent. Wieder benutzt Danielewski das Layout mit, wobei die Aufteilung der Seiten deutlich stringenter ist als bei HoL. Es gibt bei dem Buch (wie bei einer epischen Reise) kein übergeordnetes Ende nach schmalem Anfang: von der einen Seite kann Haileys, von der anderen Sams Geschichte gelesen werden. Zusätzlich läuft eine Zeitleiste (-liste) der Geschichte der USA neben den in Versen vorgetragenen Erzählungen von Hailey und Sam her.

Das Schlagwort ist Geschichte an sich, der Umgang mit Zeit und Ort. Sam und Hailey preschen kometenhaft voran und nur teils zueinander. Die Geschichte eines Kontinents bildet dabei nur einen Horizont, der den Standpunkt beschreibt. Interessant wird es freilich, wenn die Vektoren sich schneiden und einzelne Koordinaten unterschiedliche Wertigkeiten erlangen.

Die Idee von OR beeindruckt leider mehr als der tatsächliche Konsum des Produkts. Vielleicht fesselt OR weniger als HoL da hier nicht im Sinne von Trent Reznor sondern mit Bob Dylan eine weniger düstere Tonart getroffen wurde (aber nichts gegen Bob, nein, nie). Es geht um Ichs, die Anderen und den Fahrtwind. Das Spektakel fehlt bzw. es ist ein anderes. Es wird vermutet, daß OR mit sehr viel mehr Begeisterung aufgenommen worden wäre wenn denn die Reise ins HoL erst danach angestanden hätte. Aber man kann ja die Zeit nicht zurückdrehen. Hätte, hätte, hätte. Der verlassene Raum existiert beim Wieder-Betreten nicht mehr.

Ganz schön viel Text trotz mittelmäßiger Begeisterung. Spontan-Assoziation: es muss gesagt werden, dass Rammstein sich dieser Poesie (die eh schon im maritimen Jargon vorhanden war) auch schon bedienten und ein Lied bauten: "Reise, Reise, Seemann, Reise / Jeder tut's auf seine Weise". Dem pflichtet OR bestimmt bei. Herr Danielewski möge trotzdem weiterhin so gescheite Bücher schreiben.

7/11/2008

Nekrophilie ist in Wisconsin illegal

Ausgraben und anfassen ist im Mittleren Westen ein komplexes Thema. Drei junge Männer haben nun endlich eine klarere Rechtsprechung verursacht.

"The law in Wisconsin had been murky, and two dissenting justices insisted Wednesday that lawmakers did not mean to ban necrophilia but to allow assault charges when someone was raped and then killed."

Von Vergewaltigung kann tatsächlich nicht die Rede sein. Die Zwillinge und ihr Kumpan dachten sogar an Selbstschutz:

"Armed with shovels, a crowbar and a box of condoms, the men went to a cemetery in Cassville in southwestern Wisconsin in 2006 to remove the body of a 20-year-old woman killed the week before in a motorcycle crash, police said."

Das kann alles hier nachgelesen werden. Danke, FoxNews.com. Danke, Rotten.com, wo die Nachricht überhaupt erst wahrgenommen wurde.

7/10/2008

Hancock, Peter Berg

Der Film hat zwei Teile. Zunächst stolpert der depressive Anti-Superheld umher, läutert sich und erfreut den Zuschauer. Dann wird die gezeigte Welt komplizierter: Hancock ist eben doch nicht allein und die Normalsterblichen sind noch nichtiger als zunächst angenommen. Erst also Hallodri-Kino, dann Popcorn-Erhabenheit.

Unterhaltsam ist das Produkt in jeder Minute. Erfreulicherweise wurden die Konventionen des Genres erkannt, genutzt, aber nicht persifliert. So ist es sehr schön, wenn am Ende die Eckpfeiler des amerikanischen Universums (LA und sein Gegenpol NYC) bestätigt werden.

Hancock verleitet zu der Annahme, dass Superheldenfilme die Western der 00er Jahre sind. Das Grundmotiv wird breitgetreten und beliebig variiert. Somit steht fest: Smith wird einmal Präsident. Doch. Er hat nämlich nicht nur im seltsamen Wild Wild West seine Cowboy-Pflicht erfüllt sondern trägt das Spandex auch wie es sein sollte.

Der Schneemann, Jörg Fauser

Fauser ist gemein. Sein Deutschland ist hier krümelig, zerfasert, und wahrlich dreckige Gestalten driften durch nicht minder dreckige Landschaften. Der Protagonist Blum hangelt sich umher und muss letztlich seine Chance vertun. Fauser schildert ein Scheitern ohne mit irgendeiner Katharsis zu entlohnen. Warum er genau deswegen so bemerkenswert ist, wird anhand des Nachworts von Feridun Zaimoglu deutlich.

Seltsam im Gedächtnis bleiben die spanischen Stiefeletten: ein denkbar unpassendes Schuhwerk für fast alles, was Blum versucht.

Der Schneemann ist ein Krimi für ein Land, dass allein den Tatort als heilige Kuh der Unterhaltung kennt oder kennen will. Es soll eine Verfilmung geben - aus dem finsteren Jahr 1984, mit Herrn Westernhagen als Blum. Schon die Vorstellung beunruhigt. Andere Autoren sind auch gemein, aber keiner ist wie Fauser.

7/07/2008

Terminator 3, Jonathan Mostow

Alle Macht den Maschinen, schon wieder.

Mostow hatte die undankbare Aufgabe, einer eigentlich abgeschlossenen Filmreihe (die zugegebenermaßen nur aus zwei Teilen besteht) einen weiteren Teil hinzuzufügen. Nötig war und ist Terminator 3 für die weitere Nutzung des Franchise, welches mittlerweile auch im TV stattfindet. Der in den ersten beiden Teilen stetig angesprochene Jüngste Tag musste endlich stattfinden - und wo kann ein solches Ereignis besser dramatisiert werden als im Kino?

Es ist allerdings schade, dass das Drehbuch-Team keinen kreativeren Einfall hatte, als das Hardware-Duell des zweiten Teils zu wiederholen. Sei's drum: mit dem akzeptablen, aber nicht berauschenden T3 ist der Weg bereitet für T4-6. Die finden dann ohne Gouverneure statt und können ihre eigene Aura entwickeln (oder auch nicht). Stillstand ist der Tod.

Transformers, Michael Bay

Herrliche Farben. Es glänzt, scheint und schillert. Kerosin ist Ambrosia und die Giganten aus dem Weltall helfen den Fleischlingen, ihre Minderwertigkeit zu überwinden. Auch auf DVD unterhält Transformers und lässt einen hoffen, dass das angekündigte Sequel ebenso sowohl im Kino als auch Daheim gut funktioniert.

Bewegtes Metall überwindet auf auf jeden Fall Beton. Unterm Strich gehen viel mehr Gebäude kaputt als Maschinen. Alle Macht den Maschinen.

Raging Bull, Martin Scorsese

Karg und rauh und s/w kommt er daher, der Stier. Rocky (vier Jahre älter als RB) ist in Farbe. Rocky hat bessere Fleisch-Matsch-Effekte. Rocky ist zugänglicher. Vielleicht hat Scorcese genau das abgelehnt, diese Sympathie, die man dem ersten Rocky als Charakter und als Film entgegenbringen kann. RB zeigt den echten (zumindest biographisch überprüfbaren) Weg eines echten Boxers in einer echt harten Stadt, die sich eben durch krümeliges Monochrom in ihrer Kantigkeit präsentiert. Wieviel kann LaMotta, der Einstecker, einstecken und wer erleidet Kollateralschäden?

Ein paar Worte zur Körperlichkeit des Herrn de Niro: die Vorbereitung auf das letzte Drittel des Films muss enormen Spass gemacht haben. Diese Plautze! Zusammen mit der Nase entfremdet sie den Schauspieler ganz *gewalt*ig. Damals (1980) war das sicherlich neu und groß und hat maßgeblich zur Legendenbildung von de Niro und auch Scorcese beigetragen. Das Neue Hollywood tanzt keine Walzer. Schon bei Taxi Driver haben sie ja diese tolle Frisur gewagt (und noch einiges mehr, und Raging Bull wird wohl nie so wichtig sein wie Taxi Driver).

Bing-Bing, die Bronx im Nacken: RB ist ein unbequemer Klassiker. Rocky ist aber auch wichtig, der spielt allerdings in Philadelphia.

7/03/2008

Running with Scissors, Augusten Burroughs

Huch!

Was hat Augusten mit William S. gemeinsam außer dem Familiennamen? Zumindest die Vorliebe für eher appetitzügelnde Darstellungen menschlicher Umtriebe in Verbindung mit einer homosexuellen Orientierung. Wenn es bei William u. a. ums Nackte Mittagessen ging, so wird bei Augusten auch einmal nackt gekackt, und zwar vors Klavier. Es wird gebeten, die hiesige Wortwahl zu entschuldigen, doch sie entspricht dem hier abgehandelten Produkt.

Das wohl erschreckendste Wort bei Running with Scissors ist "memoir". So furchtbar kann doch niemandes Kindheit sein! Der junge Augusten wird von seiner grenzwertigen Frau Mutter (eine der anstrengendsten Runzel-Poeten-Karikaturen der Ostküste) bei der Familie eines fragwürdigen Therapeuten abgegeben und wächst in einer Art ranzigen Kommune auf. Augusten träumt vom heiligen Glanz des Vidal Sassoon und kloppt mit seinen Ziehschwestern Löcher in das marode Haus. Psychopharmaka verursachen und lösen seine Probleme teils.

Die Sachlage ist insgesamt verwirrend. Der andere Ziehsohn von Augustens Ziehvaters (über dreißig und freilich arg debil) beginnt eine Beziehung mit seinem Ziehbruder Augusten (dann weniger als halb so alt wie er). Brrr. Sexuelle Ausbeutung ist bei Running with Scissors aber komplex und im Roman werden keinerlei eindeutige Schuldzuweisungen vorgenommen - alle Beteiligten sind gestört, gefangen und erscheinen in menschlich-ekligem Licht. Verstörend komisch wird von körperlichen und seelischen Entgleisungen erzählt. Große Einblicke kommen dem Helden dann barfuß in einer Lobster-Bar.

Eine der größten Pointen lauert am Schluss. Augusten überlebt das alles, geht in die Werbung und schreibt dieses vortreffliche und sehr, sehr witzige Buch. Bei solch einer Vorlage muss die Filmversion konsumiert werden. Aus irgendeinem Grund heißt sie hier "Krass".

Aufgrund der herben Thematik schämt man sich seines Lachens allerdings schon. Wieviel Sprachlosigkeit und Verlegenheit liegen wohl im Humor an sich? Der Abgrund der Päderastie wird demnächst wieder besucht werden, und zwar mit der Lektüre von The End of Alice von A. M. Homes und Samuel Delanys Hogg. Die beiden Romane werden vermutlich eher mit Bataille als Burroughs verknüpfbar sein.

The Happening, M. Night Shyamalan

Da freut man sich auf Kung Fu Panda.

Was kann einem dazu einfallen? Die Dialoge sind abstrus, die Handlung ist nicht nachvollziehbar und die Darsteller reißen auch nichts raus. Spannung stellt sich so nicht ein. Das Geraschel im Gras und in den Bäumen mag einen meditativen Nutzen haben, aber ein Thriller hat doch eigentlich ein anderes Ziel.

Eine unschöne Idee kommt auf: wollte man hier Uma Thurman die Tour vermasseln, die wohl 2010 mit der Schätzing-Verfilmung von "Der Schwarm" um die Ecke kommen will?

Das Ende enttäuscht und man weiß: Shyamalan muss endlich einmal in ein knackiges Drehbuch investieren. Der frühere Ruhm ist nun aufgebraucht.

6/28/2008

The Contortionist's Handbook, Craig Clevenger

The Contortionist's Handbook befasst sich mit der Rolle von Information und Datenverarbeitung im Innen und Außen des Individuums. Der John Doe heißt hier John Dolan Vincent und ist auf der Flucht. Er ist ein Fälscher, der sich und anderen neue Namen, neue Papiere und neue Biographien besorgt. Der Roman spielt in den glorreichen 1980ern, als die digitale Erfassung des Einzelnen erst begann.

Als Identitätsnomade muss Doe/Dolan einsehen, dass man eben doch Spuren hinterlässt, sogar in Kalifornien. Das Gefängnis des eigenen Körpers erschwert die Existenz: mit einem Finger zuviel, rotem Haar und einem eklatanten Drogenproblem werden die Dinge nicht wirklich einfacher. Ein Lügennetz bietet da mehr Stabilität als der Mensch an sich, sollte es ihn denn geben.

Dieser kompakte Roman beeindruckt auch durch eine zwar schemenhafte, aber doch eindringliche Schilderung von Romantik (jawohl!) in Gestalt einer Jane Doe. Außerdem gibt es eine verkorkste Vaterfigur, die am Besten von einem durchtätowierten Billy Bob Thornton verkörpert werden sollte.

6/26/2008

Demon Theory, Stephen Graham Jones

Ein enormes Vehikel. Jones hat nicht nur einen Roman geschrieben, sondern eine Filmtrilogie. Oh ja!

Das Kaufargument auf dem Cover nennt als Referenzen zum einen Wes Craven, Gottvater aller erschreckten Teenager und zum anderen David Foster Wallace, seines Zeichens ein sehr erfrischender US-Literat des sinnverschränkten Gebrabbels. Dieses name dropping ist gerechtfertigt.

Die Handlung selbst ist unter dem Stichwort Slasher zu verbuchen. Es geht um eine Schar Heranwachsender, ein Horrorhaus, plakative Konfliktbewältigung, Messer, Unfälle, Medizin, Hysterie, Verfolgungsjagden. Dabei steht beim ersten Teil eine einfache Grundhandlung im Vordergrund: ein scheuer (verdächtiger) Bursche will mit seinen Freunden zu Muddi und ihr Insulin (der wohl simpelste MacGuffin des Genres) bringen. Dabei geht's freilich hinaus aufs Land, in das einsame Elternhaus und hin zur aufzudeckenden furchtbaren Familiengeschichte. Dies ist nicht das einzige Mal, dass man an Danielewskis House of Leaves erinnert wird.

Sequel eins verlegt das Gezeter ins Krankenhaus, hier gibt es Dramatik dank Medikamenten, Heizungsräumen, Skalpellwürfen und Videoüberwachung. Sequel zwei (die Rückkehr zum Horrorhaus) erschüttert und revidiert die Bedingungen des vorangegangenen Grauens und bringt das Ganze sinnvoll zum Abschluss.

Und der Tod kommt von oben, woher auch sonst? Gargoyle (also die Dinger, die u. a. Marvels Green Goblin stilistisch beeinflussten) zerledern die Luft und schnappen sich kreischende junge Menschen. Verwirrend nur, dass sich manche Charaktere auch gern mal als Gargoyl verkleiden.

Die Lektüre von Demon Theory ist trotz der eigentlich ja recht simplen Slasher-Theatralik anspruchsvoll. Es ist schlichtweg eine enorme Menge an Handlungen, die sich über wenige Zeilen ergießen: hat er die Waffe noch? Ist sie die Treppe hinuntergefallen? Wer hat denn nun die Küche angezündet? Demon Theory muss sehr genau gelesen werden, gerade weil innere Monologe und essayeske Exkurse im Text selbst fehlen. Nach dem genauen Lesen wird man aber belohnt: wunderschöne Parallelismen tun sich auf und zwischen den drei Teilen können diverse (blut-)rote Fäden verfolgt werden. Zum Beispiel verliert der Knabe, der mit Amputationen kokettiert, am Ende tatsächlich einen Arm. Diese Prothese dient ihm und anderen dann wiederum als Schlag- und Stichwaffe. Herrlich.

Außerdem kann man fix die Spur verlieren: nicht weniger als 300 Zitate und Zitatzitate (bis in die siebte Ebene) füllen den Anhang. Ah, hier sind die inhaltlichen Ausflüge, die im Text selbst unterschlagen werden. Pseudowissenschaftliches Geschwätz mag das sein, aber enorm unterhaltsam. Endlich kann die Verbindung von Lee Majors, She-Hulk, dem Blob und Descartes gefunden werden. Jones gelingt es tatsächlich, einen Film zu schreiben - mit der "Pause"-Taste in Reichweite.

Demon Theory ist die Darstellung von zeitgenössischen Geschichtenkonsumverhalten. Es ist unterhaltsam, überraschend und beliebig tief. Ein großer Spaß. Ist der Roman trick, treat oder beides? Für den an Horrorhumor nicht interessierten Leser ist er auf jeden Fall unlesbar.

Demon Theory verfügt auch über das wohl sympathischste Nachwort des Jahres, in dem weitere Konsumempfehlungen (neben den Zitaten) vom Autoren ausgesprochen werden und er seine Fan-Werdung beschreibt. Großes Tennis. Halloween ist mehr als ein Film oder ein Datum. Wes Craven ist ein wichtiger Amerikaner. Demon Theory ist nicht nur ein Roman. Und Stephen Graham Jones ein Autor, den man nicht vergessen sollte.