2/27/2012

The Marbled Swarm, Dennis Cooper

Hier und hier und sehr gut auch hier. Cooper zerdeppert das Genre der gothic fiction und baut sich aus den aufgesammelten Scherben eine hübsche neue Karaffe. Die er dann mit Absinth füllt und ganz, ganz nah an die ledergebundenen Marquis-de-Sade-Prachtausgaben und eine abonnierte Einrichtungszeitschrift stellt.

Es geht um Falltüren und Burgen und Kavernen und Höhlen. Paris. Gucklöcher. Die typische Pädophilie, der Masochismus und auch Kannibalismus sind bei Cooper immer da - der Ultraekel wird aber nur ein Element von vielen. Vielleicht ist der Konsument schon abgestumpft (auweia!).

Aber obacht: die tiefste Höhle ist die Sprache. Der Schwarm aus dem Titel ist eine bestimmte Art des kunstvollen exaltierten Sprechens, des blasierten Dahingeplauder eines Sprechers, der niemals nur Butter und Brot auf dem Tisch hatte sondern immer nur Menüs zusammenstellte. Ein Mensch der Qualitäten, nicht der Quantitäten. The Marbled Swarm ist das Gegenteil von Abstumpfung. Es ist das ständige Gefasel, das sonore Beschreiben einer Welt mit zuviel Detail. Also doch wieder Stümpfe. Diese Einsicht kommt... unerwartet.

In früheren Werken von Cooper war der Abgrund viel präsenter. Das schmerzhafte Gelaber von TMS lässt den Leser früher oder später mit den Augen rollen. Der murmelnde Schwärmer deckt die Tiefe zu, er leuchtet alles aus. Er serviert lieber Tee mit Keksen (sieben Sorten!), anstatt auch nur ein wenig ernsthaft seine Lust auf Jungenfleisch zu deuten.

2/22/2012

Ziemlich beste Freunde, Olivier Nakache, Éric Toledano

Hier und hier. Ganz was anderes, nämlich was französisches. Eine Komödie um einen groben Pfleger aus der Armut und einen überreichen Superkrüppel, die zusammen die zivile Existenz beleuchten.

Ist der Film sehr lustig? Ja. Findet er neue Wege, um soziale Umstände kritisch zu beleuchten? Nein. Will er das überhaupt? Wieso sollte er? Er erzählt eine wahre Geschichte nach und impliziert, das manche Dinge eben einfach hingenommen werden müssen, da nützt auch kein Krakeelen (was wiederum in anderen Situationen durchaus hilfreich sein kann, und sei es nur zur eigenen geistigen Entlastung): Armut ergibt Abhängigkeit und eine Lähmung ebenso. Ungerecht-schmungerecht. Letztlich scheint besagte zivile Existenz vor allem durch die Verwaltung von Abhängigkeiten zu bestehen.

2/16/2012

Drive, James Sallis

Die Vorlage dieses Herrn für den derweil recht gelobten Kinofilm. Auch wieder so ein seltsam kurzer Noir-Brocken. Der leidende, kämpfende, umtriebige Held setzt seine Physis ein, um als Stuntman oder Schurke seiner Umwelt zu entkommen. Dabei ist er ausgehöhlt, ein Vakuum: kalt bewegt er sich durch die erbarmungslose Stadt und mit kalter Präzision haut er auch die Gänge hinein.

Und dann bekommt er einen Sprung und das Vakuum will sich füllen. Es zischt: der Fahrer kommt vom Kurs ab.

Drive ist sehr elegant durch seinen Minimalismus. Es geht weniger um die Geschichte, die irgendwann enden soll, sondern um die Ordnung, die solch ein Kosmos vermittelt: es gibt nur Fahrer und Gefahrene. Man sitzt im Auto oder nicht. Ereignisse sind manchmal kompliziert aber immer endlich. Wer sich mit Geschwindigkeitsmaschinen einlässt, der sollte wissen was Beschleunigung bedeutet. Einschalten. Ausschalten. Hochschalten.

Hier ein Link zur logischen Konsequenz dieses Textchens.

2/13/2012

Imperial Bedrooms, Bret Easton Ellis

Hier. Keine Überraschung: einer der besten und tollsten und souveränsten und stimmigsten kleinen Merchandize-Artikel die seit langem konsumiert wurden. Man stellt sich als Konsument wahrscheinlich immer unbewusst den Produzenten der Unterhaltungsgüter vor und projiziert bei nachhaltigem und wiederholtem Konsum irgendetwas auf diese Person. Dann werden Erwartungen erfüllt und übertroffen und man freut sich.

Dazugehören kann so einfach sein.

Somit ist Herr Ellis so ähnlich wie Herr King, ein anderer Textzulieferfachbetrieb. Das hat er selbst in Lunar Park schon sorgfältig illustriert.

Nie zweifelt man bei IB an der Autorenschaft. Wenn das alles ein Hoax ist, dann ein Guter (wenn Ellis ein Hirst ist, dann soll er es bleiben wenn sowas dabei herumkommt).

Less than Zero, das Prequel aus dem letzten Jahrtausend, ist geradezu zahm in seiner Egomanie. Bei IB gibt es nur noch michmichmich. Genau richtig so. Der Held und Mittelpunkt will eigentlich gar nichts Neues erzählen und die Thriller-Versatzstücke werden halbgar angegangen. Über die Seiten hinweg zwinkert man Ellis zu und er zwinkert zurück: "Diese Welt ist müde Scheiße und wir wissen es und trotzdem sind Dexter und Entourage angemessene zeitgemäße Unterhaltung." Dazugehören kann so einfach sein.

Die letzte Seite ist wieder einmal besser als die letzten Seiten der vorangegangenen Romane. Alle reden von der unnützen Suche nach Wahrheit und Erkenntnis - Ellis liefert ab. Er hat kein sehr erbauliches Romänchen geschrieben. Aber er hat recht.

Das nächste Werk darf aber wieder mehr als 350 Seiten haben, hu?

2/10/2012

Protagonist, Jessica Yu

Hier und hier. Ach wie fein, endlich was für den Kopf - den männlichen Kopf!

Männliche Biographien werden im Wechsel verglichen und mit diversen Begriffen als allgemeine Lebensstationen definiert. Dabei ist das ganze teils recht intellektuell aufgeladen und teils einfach journalistisch interessant, da jeder der vier "Protagonisten" ein durchaus durchdenkenswertes Leben gehabt hat. Der Film hilft, den Begriff der Adoleszenz zu erweitern. Fraglich nur, ob das auch Sinn macht und ihn nicht eigentlich nur aushöhlt.

Assoziationen mit Campbells Hero with a Thousand Faces und Blys Iron John können kein Zufall sein. Allerdings setzt Yu souverän auf antike Stoffe und versetzt ihre Interviews mit Puppenspielsequenzen (!). OK, das sieht ein wenig aus wie ein kommentiertes Tool-Video. Sei's drum. Avatar, Quest, Protagonist, Plot - alles wichtige Begriffe zwischen Unterhaltung und Sinnproduktion.

2/08/2012

American Horror Story, Season 1, Ryan Murphy & Brad Falchuk

Hier und hier. Genüsslich wird das Genre für's Fernsehen heruntergebrochen. Das liegt höchstwahrscheinlich am noch immer überraschenden Erfolg von AMC's The Walking Dead.

Die Schlüsselelemente sind jedem aus einen EA-Poe-Einführungsseminar oder zwei bis drei Folgen Twilight Zone bekannt: das Haus soll für eine Familie ein Ort der Ruhe und des nachhaltigen Wachstums sein doch es ist infiziert mit Unmoral und Niedertracht in einem letztlich recht verwirrten bürgerlichen Amerika. Somit bekommen die menschlichen Bewohner es mit allerlei Grundsatzfragen zu tun und setzen sich emotional und rational zur Wehr um schließlich doch nach der Pfeife der Verlorenen tanzen zu müssen. Recht so.

Die letzte Folge lässt eine gute Serie sehr gut werden - diese Konsequenz der Produzenten war vorher nicht abzusehen.


2/06/2012

Horseman, Pass By, Larry McMurtry

Hier. Der Titel schraubt ja schon einmal die mystische Vorabverklärung voran: einer der apokalyptischen Reiter soll den Sprecher verschonen und er formuliert diese bitte in einem Gebet. Doch weit gefehlt! Der kleine Roman ist viel mehr Kartoffeln und Bohnen als gedacht. Die Ranch geht nämlich aufgrund der Maul- und Klauenseuche fast zugrunde und die alte Generation scheint damit nicht fertig zu werden. Der verzogene Nachkomme, der finstere Prinz, hat keinerlei nachhaltige Absichten und vervollständigt den Ruin durch sein eigenes ungutes Handeln.

Es stellt sich die Frage nach Art und Weise des Niedergangs: ist es biologisch-medizinisch und gewissermaßen vom Wetter abhängig oder ist es die Niedertracht der Menschen, die stumpfe Gier der neuen Generation entwurzelter Amerikaner, die eine lebenswerte Gemeinschaft vernichtet? Der jugendliche Erzähler hält sich vortrefflich zurück mit seinen Einschätzungen und berichtet die recht schusswaffenfreie Handlung mit atemloser Verzweiflung. Er wird sich demnächst entscheiden müssen ob er sich nach am Ethos des toten Königs oder an der Kühnheit der Freibeuter orientiert.

McMurtry hat nicht nur Lonesome Dove geschrieben und an Brokeback Mountain mitgearbeitet sondern hat schon mit diesem Debüt glorreich abgeliefert. Übrigens wurde HPB auch als "Hud" verfilmt, und zwar mit Paul Newman.

2/05/2012

Boardwalk Empire, Season 2, Terence Winter & Nelson Johnson

Enorm. Hier die erste Staffel. BE kann man gar nicht unterschätzen. Hier kommt die geballte Erzählmacht des Fernsehens zum Einsatz, hier wird CGI sinnvoll eingesetzt, hier stehen Historiker in Lohn und Brot um die Zeit der Prohibition so wuchtig wie möglich darzustellen.

Diese Serie ist äußerst gewalttätig in symbolischer und materieller Hinsicht. Die Figuren sind allesamt Zivilisten doch bewahren sich ihre potentielle Monstrosität. Ausbruch und Einbruch sind stets möglich und der Konsument ist gebannt von dieses dunklen, spröden Innenräumen mit unglaublich unbequemen Heizsystemen und ganz ohne Fernsehapparat in der Ecke. Der Konsument stellt einen schaulüsternen Masochismus an sich selbst fest: das Zerlegen von KKK-Schergen und anderem Abschaum schreckt ab und erfreut zugleich. Im sprichwörtlichen BE liegt so viel Gewalt in der Luft dass es knirscht und zerrt. Beim Konsum wurde oft gerufen und gefiept.

Das Finale dieser Staffel entsetzt. Nach einer Orgie an (Selbst-) Zerstörung fliegt dem Konsumenten das kleine bisschen Behaglichkeit um die Ohren. Da kommt die Gewalt in mehrfacher Hinsicht zum Tragen. Die Figuren werden entlarvt als ineinander verkeilte Zwangstäter, die nur oberflächlich durch das Medium Alkohol als Schmuggelware miteinander interagieren.

Ganz großes Tennis, äh, Kino... äh, Fernsehen.

2/04/2012

The Elder Scrolls: Oblivion, Bethesda Softworks

Hier. Skyrim ist es nicht. Selbiges soll ja für PS3 auch arg verkäfert sein. Das ist mehr als schade, Bethesda. Bei Fallout gab es ja ähnliche Macken.

Und auch hier bei TES: O gibt es ärgerliche Sackgassen. Die Kämpfe sind OK und nett dynamisch mit dem Blocken und Hauen und Ausweichen, aber die NSCs gehorchen teils gar nicht oder... gar nicht. Teils braucht man Glück oder Irrsinn für die Queste, keinen gesunden Spielerverstand. Das Finale ist eine Flaute sondergleichen. Einfach mehr altbekannte Gegner klatschen und dann zusehen, wie ein konservatives Großdings ein anderes Großdings klatscht.

Opulente Epik will sich so nicht einstellen. Vielleicht ist man viel zu franchise-geschädigt. Der Konsument wünscht sich Illithiden und Streitkolben +2 zurück. Da weiß man was man hat. Aber das endet vielleicht auch in Seufzer. Verwirrung. Mancher Mist ist wohl bloß Mist. Dragon Age war jedenfalls besser... dessen Sequel vielleicht auch.

Scott Pilgrim vs. the World, Edgar Wright

Hier. Warum ist da ein trüber Beigeschmack? Vielleicht weil bei allen young-adult-Kisten eine sehr intime Nostalgie mitschwingt. Wenn man nun auch noch alle T-Shirts und alle Phrasen kennt, dann ist das schon herb.

Basierend auf dem graphischen Roman ist nun also dieser Film entstanden und selbiger leugnet seine Abstammung keineswegs, im Gegenteil: da wird animiert und persifliert und getschingerassabummt dass es scheppert. Der trübe Beigeschmack: eigentlich darf die Welt doch nicht erfahren, dass man als dermaßen alter Konsument noch immer die Nintendo-Sounds und die Arcade-Logik im Kopf hat und bei einigen Weltbetrachtungen zum Einsatz bringt. Und SP zerrt das nun alles ins offene. My precious...

Warum ist da ein weiterer trüber Beigeschmack? Wegen Kanada?! Diesmal nicht: Herrn Cera kann schlichtweg Year One nicht verziehen werden. Jetzt nicht und wahrscheinlich nie. Arrested Development und Juno sprechen für ihn, immerhin.

Ansonsten ist SP aber eine Riesengaudi und gibt einem den Glauben an kreative Filmemacher zurück.

The Tortilla Curtain, T.C. Boyle

Hier. Ein Klassiker. Bonfire of the Vanities trifft Suburbia mit Sonnenmilch und Pilates-Kurs. Den armen weißen Opfern laufen diverse mexikanische Zwangsmechanismen vor's Auto und durch den Vorgarten. Die Invasion der stummen Handwerker hat begonnen.

Der Erfolg des Romans liegt in seiner fast schon unliterarischen Schilderung des Grenzproblems im Südosten der USA. Vorhersehbar? Vielleicht. Aber Boyle baut Humor ein - keinen brachialen, aber einen humanistischen. Niemals wird das Drama zu streng und stets legt sich eine feine Süße über die böse Welt. Zumindest bis zum tosenden Finale, welches einmal mehr die Romanversion von Grapes of Wrath zitiert.

2/03/2012

Entourage, Season 8, Doug Ellin

Hier. Michelle Obama findet's knorke. Das bewährt Konzept wird weitergeführt, aber ein leichter Grusel stellt sich wieder ein. Nicht weil Turtle Millionär wird.

Klar geht es um Berühmtheiten und dessen kalifornische Inkarnationen. Es geht um die Unterhaltungsindustrie und die Menschen, die dort beschäftigt sind und immer frisches Quellwasser und Dinkelmuffins im Eckchen haben.

Diesen leichten Grusel hat der Konsument auch bei der Klonarmee aus den fortgesetzten StarWars-Produkten... das sind alle die Gleichen, aber nicht die Selben. Die arbeiten gemeinsam an einem Projekt aber es gibt feine Hierarchien. Wie werden selbige angelegt und festgelegt? Die Hierarchien bei Entourage sind ähnlich unklar verflochten. Wo ist der Autor, wo ist der Zuschauer, was ist der Inhalt und wie weit "draußen" ist das? Ob sich Michelle Obama auch diese Fragen stellt sei dahingestellt.

2/02/2012

Der Golem, wie er in die Welt kam, Paul Wegener, Carl Boese

Hier und hier. Alles so schön bunt hier! Die einmaligen Bauten und die stimmungsvolle Kolorierung lassen den Golem fast in die Nähe von Fantasia rücken.

Inhaltlich ist freilich alles herrlich knifflig: der Rabbi baut im Judenghetto den Urahn von Frankenstein zusammen, dessen Bewegungen auch noch beim T800 Verwendung finden werden. Wer haut denn da mit Lehm, der sollte sich was schäm', der sollte doch was andres nehm' als ausgerechnet Lehm. Wieviel Märchen ist da drin und wieviel Signifikanz kann man dem zuweisen? Der Golem an sich und diese einmalige Verfilmung passen nahtlos in schon lange geführte Diskussionen über Individualität, Utilitarismus, totalitäre Verantwortung und verwirren die Sicht mit ein wenig Melodrama und Drolligkeit.

Das letzte Mal stand der nimmermüde Golem beim siebzehnten Tree House of Horror im Mittelpunkt und auch beim famosen 2000er Wälzer von Chabon, der sich um die Anfänge und Notwendigkeiten des Superhelden-Kanons dreht.

Panzerkreuzer Potemkin, Sergei M. Eisenstein

Hier und hier. Mit stählerner Wucht pflügt der Film voran. Episches Kino ist das wohl: das Schiff ist mehr als die Summe seiner Mannschaft und die allumfassenden Geschehnisse an Bord werden durch ihre Fortsetzung im Hafen nur weiter entzündet... es ist eher eine Welle, die sich in fünf Kapiteln auftürmt und die dann, nach viel Rollen und Grollen, die Küstenlinie nachhaltig verändert.

PP ist jenseits vom politischen Film, vom Drama, von jedem Wort das man heute an Filme anlegen könnte. Es ist die filmgewordene Wucht. Die Darstellung des Individuums ist Eisenstein recht egal, so scheint es: zwar macht er von einmaligen Nahaufnahmen der Gesichter der Beteiligten Gebrauch doch es stets steht das Schicksal der Allgemeinheit (wie auch immer man die ohne Einzelmenschen denken kann) im Mittelpunkt. Was Kameras so alles können.