1/06/2008

Running Scared, Wayne Kramer

Eine der positivsten Überraschungen seit langem. Erwartet wurde ein preiswert-blutiges B-Movie Gemetzel bei dem Last Boy Scout zu oft zitiert wird und am Ende das unbeschmutzte Gute gewinnt.

Doch weit gefehlt!

Die Geschichte wird angenehm schnell erzählt und einige wilde Kamerafahrten sorgen für ungeteilte Aufmerksamkeit. Die Splatter-Zitate am Anfang weisen den Weg doch nehmen sie das Ende nicht vorweg.

Running Scared begreift sich als Genre-Film und Kramers großes Anliegen ist es, diejenigen Zuschauer zu vergraulen, die auch mit Charlie Huston oder Death Sentence wenig anfangen können. Noir und Pulp brillieren mit wenigen Zutaten: Autos, Telefone sowie Waffen aller Art und genug Gründe für das Benutzen selbiger. Vom Zuschauer wird lediglich verlangt, obskure Zufälle und die comic-artigen Charaktere im Garden State zu akzeptieren.

Das Schauen solcher Filme bringt niemanden irgendwie weiter, doch das macht die Dinger so symphatisch ehrlich. Volljährig sein kann so gut sein. Die Altersfreigabe ab 16 ist allerdings ein ziemlich schlechter Scherz.

1/03/2008

Superman Returns, Bryan Singer

Re-Vision nach dem Erstkonsum im Kino Nummer Zwei. Ein Goldjunge ist er schon. Richtig super wird er in Szene gesetzt da die Flugszenen so betont werden und er immer leicht steril wirkt unter den ganzen Normalsterblichen.

Wie beim Spielberg-Spektakel geht es um die Masse für die Masse: die allverschlingenden Blutgerinsel sind hierbei wuchernde Kryptonkristalle. Freilich rettet der Messias mit Hitzeblick ein abstürzendes Flugzeug vor den Augen vieler, nämlich in einem Baseballstadion. Ein schöner Verweis. Jener Sport gebar damals, als die Action Comics ihren Siegeszug antraten, die berühmten Sammelkarten. Der unmündige junge Mensch bekam seine Kaufkraft und erschuf Ikonen wie Babe Ruth oder eben Kal-El.

Auch schön das direkte Bildzitat mit dem Auto über dem Kopf des Stählernen, Rücklicht in der Höhe. Und außerdem noch das Springen des Teenagers: Superman konnte lange Zeit nicht fliegen sondern bewegte sich fort wie Marvel’s Hulk.

Besorgt sich ein Atheist (oder Metatheist) wie Kal-El eigenlich einen Tannenbaum im Dezember? Seine Festung der Einsamkeit ähnelt Santa's Hütte am anderen Pol schon ein wenig; ein Ort des Stillstands, ein Hafen der Einfarbigkeit und der Ruhe.

Krieg der Welten, Stephen Spielberg

Re-Vision nach dem Erstkonsum im Kino Nummer Eins. Auffallend ist die Aufteilung des Bildschirms. Der Film ist absolut 4:3 kompatibel. Herr S. weiß, was ihn groß machte: die Glotze ist stets auch Werbeträger für Kinoprodukte und die Marke des Regisseurs. Die ganze Familie auf dem Sofa und im Marketing: hier wird kein Spät-/Endkonsument durch abgeschnittene Bilder abgestraft und an die Beiläufigkeit seines Filmkonsums erinnert. Danke, Herr Kaminski.

Inhaltlich auffallend ist die Invasion der Dinge und der Gesichter, die an- und abklingt: zunächst gibt es vollgestopfte Wohnungen, dynamische Straßenbilder und wuselnde Menschenmassen. Dann geht’s ab durch die Nacht in die Klaustrophobie des Kellers. Daddy Cruise und seine Kinder fliehen von der Vielheit ins Dunkle. Am Ende wird die Welt von Blutgerinseln überzogen und erstarrt in einheitlichem Dunkelrot. Der Sieg wird dann wieder erst bei Tageslicht und im staubigen Chaos der (bewaffneten) Masse deutlich. Die letzte Szene findet folgerichtig auf einer intakten, aber leeren Straße statt und an der Schwelle zum Heim, zur Wohnung, zum Ort der Sofas und der Bildverarbeitung.

Das Fest der Massen welches das Heim und die entsprechende Konsumfront huldigt verlangt nach Produkten wie "Krieg der Welten".

12/29/2007

Into the Wild, Jon Krakauer

Coming of Age, schon wieder. Doch nein: eher gleich Coming of Death. Krakauer hat ein längeres journalistisches Essay geschrieben welches Leben und Ableben des zornigen jungen Mannes Chris beleuchtet. Selbiger reiste mit Tolstoi, Gogol und einer second-hand-Flinte in die Wildnis Alaskas und verhungerte dort in dem Wrack eines Busses. Jaja, die wilden neunziger.

So weit, so finster die Geschichte. Doch sie ist doppelbödig. Gab es Chris wirklich? Schreibt Krakauer als Krakauer? Hier wurde absichtlich keinerlei Recherche betrieben, um die Lektüre so nüchtern wie möglich zu gestalten. Kann alles stimmen, muss aber nicht.

Zwei gequälte Seelen. Zum einen ist da Chris: zuviel gelesen, zuviel gezweifelt, zu sehr in die Arme des sibirisch-markigen Literaturpatriarchats getrieben. Jahre trampt er umher ohne wirkliche Ahnung. Er feiert sich selbst und stirbt jämmerlich. Er hat Jack London nie als großen Leider begriffen. Der Elch ist eigentlich ein Karibu und Inkompetenz kann nur zu den falschen Früchten führen. Zum anderen ist da Krakauer: als Alpinist, Naturbursche und Investigator steht er sich Fragen bezüglich Chris’ Drama und kommt letztlich bei sich selber an.

Warum muss (junge) Männlichkeit sich der Natur so unwirsch nähern? Sucht Mann Absolution, Ernüchterung oder Rausch? Der Autor benennt viele ähnliche Schicksale und Bedürfnisse: er erwähnt auch Thoreau und Konsorten nicht nur beiläufig. Wie legitim sind Nationalparks als Fight Clubs? Into the Wild ist das erste Werk, das von Chuck Palahniuks Lektüreliste konsumiert wurde.

Achso: bald kommt der Film. Der Weg wird kein leichter sein, denn Sean Penn wird einem wohl das Herzlein brechen. Den Soundtrack machte Eddie Vedder, der Anfang der neunziger auch einiges um die Ohren hatte.

300, Zack Snyder

Doch, das ist ein Weihnachtsfilm. Denn zu Weihnachten ist die Welt auf die Stabilität des Zuhauses reduziert und die Welt sinkt in leise simmernde Dümpfe hinab. Und dumpf, hui, das ist 300 mit Wonne und Pracht. Die eigene Plautze wird zum Rollcontainer bei soviel Pfunden Kriegsfleisch, aber egal: die sterben da und wir hier beileibe (ha!) nicht.

Der Film macht immer noch Spaß, so wie eben Comics Spaß machen können. Die zahlreichen Verwurstungen des Neo-Grind-Schinkens machen natürlich auch Spaß. Vor allem South Park wäre da zu nennen: der gender-gebendete Mr. (also Mrs.) Garrison wird lesbisch und verteidigt seine neue Lieblingsbar gegen die neuen persischen Besitzer. Ausgezeichnet. Spaß, Spaß, Spaß.

Es sei noch bemerkt, dass die Verwurstung von alten Spielzeugserien recht lukrativ ist. Somit bleibt zu hoffen, dass Transformers 2 von einem zeitgemäßen He-Man gefolgt wird. Hope dies last, sucker. Die Gerüchte sind jedenfalls da draußen und Skeletor ist bestimmt voll gruselig, im Gesicht und so. Fast wie ein Perser.

Suttree, Cormac McCarthy, pt. 2

Am Ende merkt man, dass Suttree nicht als enger Plot sondern als collagenhaftes Panorama geschrieben wurde. Aber selten ist das so großartig wie hier.

Nach diversen weiteren Eskapaden verschwindet Suttree. Ein Toter liegt in seinem Bett und der Morast schluckt seine Spuren. Zuvor war er in die Stadt gezogen, ist mit einer Prostituierten zusammengekommen und wurde sehr krank. Die Stadt hat ihn vergiftet und sein Leben am Fluss unmöglich gemacht. Das Gift mag er ausgespien haben, doch ein kalter Fleck bleibt.

In seinem Romanen bewegen sich McCarthys Protagonisten entweder zwischen Wüstenstaub oder Uferschlamm. Letzterer wird bei Suttree mehr als nur geworfen. So wie bei Blood Meridian etwa die Wüstensonne das Leiden in die Knochen hineintrocknet so dringt die alte Nässe des Flusses durch die Haut der Schiffbrüchigen und trübt Sicht und Seele gleichermaßen.

Ein weiteres herrliches, weises und wichtiges Buch von McCarthy. In einigen Jahren wird es wieder gelesen. Mal sehen, was es dann anrichtet.

Welch unverhohlener Hype.

12/23/2007

Leben mit Fleisch

Es gibt ein frisches Magazin da draußen welches dem Geist des Konsumgrabens in vielerlei Hinsicht entspricht.

Es ist das meatpaper und kommt sowohl geschnitten als auch am Stück. Auf den ersten Blick scheint es aber über derlei Kalauer erhaben zu sein. Im Geleitwort fasst man zusammen: "It’s a full-blown fleischgeist out there."

In der Zwischenzeit wurde Suttree fast fast fast ausgelesen. Einige Kapitel mussten vor lauter Frohlockung doppelt gelesen, einige Sätze laut gesprochen werden. Die nächste Sitzung bringt die letzten Seiten und unter konvulsischen Zuckungen wird hier dann auch ein Abschlusswort vermerkt.

So. Immer noch keine Bescherung. Hoffentlich schieben die Raupen mit den Gaben den Graben nicht ganz zu, so dass ein Durchkommen noch möglich ist. Stillstand ist der Tod und Fleisch ist auch nur eine flüchtige Molekülkombination.

Es ist immer Mahlzeit.

12/20/2007

Saisonbedingte Ausfälle

Zu gewissen Zeiten im Kalendarjahr muss man sich stetig präsenten Ängsten stellen. Und es gibt ja zweifellos wenige Menschen auf der Welt die bedrohlicher sind als Billy Idol. Das war so und das wird immer so sein.

Billy ist mit der Gabe der Lungenentzündungsimmunität gesegnet. Deswegen braucht Billy auch nie einen Schal oder die oberen fünf Knöpfe vom Hemd. Billy hat nie etwas zu verschenken gehabt und sein Musikant trägt die Sonnenbrille nur weil Billy ihm soeben die Augen herauskaute.

Billy freut sich so weil hinter der Kamera ein Bus voller Klosterschüler brennt.



Ist das ein Symptom? Ist das ein Zeichen? Ist das die letzte Warnung oder der Anfang vom Ende? Hoffentlich ist Billy auf unserer Seite.

Mehr infame Jahresendzeittracks bei der Times Online.

Todeszug nach Yuma, James Mangold

Warum Western? Weil sie das wohl gnädigste Vehikel für klassische Dramatik sind. Die Bühne ist vorgefertigt und jedes neue Werk kann sich wahlweise ins Genre einnisten oder es in Frage stellen.

Mangold hat auch Cop Land und Walk the Line gemacht. Die Stilisierung von hadernden Herren scheint ihm im Blut zu liegen. Hier sind es Bale und Crowe, die sich ein knackiges Duell liefern, wie es in so vielen Western abläuft: der ehrliche Farmer ist verkrüppelt und arm und nur der Gesetzlose kann sich kultivieren und sich die Freiheit nehmen, die das Land verspricht. Wie bei Jesse James wird die Frage der nachwachsenden Männlichkeiten auch angesprochen: der respektlose Farmerssohn lernt seine Lektion doch der psychopathische Robin des Gangsters hat keine Zukunft mit seinem haltlosen Lebensstil. Unheil ist für alle da, doch nur einige haben die richtigen Strategien dagegen.

Yuma hat jede Menge Abstand zu Jesse James, Western/Fanboy-Schema/Todeszelebration hin oder her. Yuma ist griffiger, ruppiger und geradliniger. Die Bilder von Jesse sind herber, frischer und verstörend elegisch. Aber Kumpanenwirtschaft, die Logik von Revolvern und Dynamit sowie die tickende Uhr bleiben Grundmotive in Yuma und anderswo.

12/17/2007

Suttree, Cormac McCarthy

Wie kann das sein? Wie macht er das?

Das große Bild ist der Fluss. Ja klar, gähn-gähn. Aber nein.

Manche leben unter Brücken, manche werden hier ihren Müll los. Andere brechen winters ins Eis und verschwinden. Dann sind da noch Fischer wie Suttree: sein Hausboot steht im stehenden Gewässer.

Suttree ist ungebunden und somit haltlos. Da waren nie Stricke die hätten reißen können. Unter den Menschen ist der Sumpf. Wo hört das schwarze Wasser auf und wo fängt die Erde an? Manchmal tritt der Fluss über die Ufer und frisst eine Straße oder unterhöhlt den Friedhof und versenkt Grabsteine. Die Menschen sind blinde, einfarbige Insekten, die zwischen Provisorien und Fäkalien arbeiten, saufen und strampeln.

Im Knast lernt Suttree Gene kennen, einen Menschen der bald zum Child of God werden kann. Das Attribut "einfach" hat schon zuviele Silben, um ihn zu beschreiben. Wie er versucht, ein waidwundes Schwein mit einem Zinneimer und einem Holzscheit zu erschlagen, ist atemberaubend. Oder die Sache mit den 42 Fledermäusen.

Vielfarbige Galle ist und bleibt ein Thema.

Faulkner war nie so sichtbar wie hier. Diese Sprache: grob und körnig und treffend und schwarze Löcher reißend. Das Unwort "Erhaben" geistert herum, aber nein: das würde ja heißen, das Verstand und Vernunft irgendwie beteiligt wären. McCarthy schreibt nicht für Menschen. Harold Bloom nennt ihn den wichtigsten alten weißen Literaten der USA neben Roth, Pynchon und Delillo. Recht so. Bei Suttree ist der Leser eines der Insekten, das nur kurz in jenem Kosmos zu Besuch ist, ohne ihn ganz zu verstehen.

Und das verstörendste daran ist der humoristische Einschlag. Jawohl, Suttree ist irgendwie komisch. Wie kann das sein?

Dieser Eintrag mag verfrüht sein, denn er entsteht auf halber Strecke. Suttree ist eines der wenigen Bücher, bei denen das Umblättern weh tut weil man damit dem Ende näher kommt.

Jagut, das mag nur eine effiziente Selbsthypnose sein. Keiner ist wie Cormac und der Enthusiasmus lässt sich nur schwer zügeln.

Kaufen, fressen, lachen, weinen.

12/12/2007

Gone Baby Gone, Ben Affleck

Es wird schon deutlich, dass die Geschichte vom Verursacher von Mystic River kommt. Aber auch ohne Sean Penn ist Gone Baby Gone ordentlich.

Die Motive sind bekannt doch der Fokus liegt zwingend auf der Darstellung der traumfreien amerikanischen Unterschicht. Gone Baby Gone befasst sich sehr explizit mit weissem Müll und Affleck (verdammt, ja!) stellt die Bilder so zusammen, dass man das billige Plastik und den kalten Rauch fast riechen kann. Der Showdown muss dabei im Grünen stattfinden.

Aber obacht: Dies ist ein fast schon altmodisch-moralischer Film und das ist man (zumindest im Graben) nicht gewohnt. Hier gibt es auch Gangster aber es sind nicht die bösen Absichten, die sich verstecken, sondern die guten. Das macht die Sache nicht einfacher und das ist spannend zu beobachten.

Noch was zu Casey: Jesse James' größtem Fan gelingt die Wandlung zum außerordentlichen Ermittler durchaus. Die wässrigen Augen sind nicht nur zum Staunen gut und zusammen mit Michelle Monaghan wirkt er von Anfang an als geschundene, aber ehrliche Haut.

Es sei noch gesagt, dass Shutter Island auch von Lehane ist. Wer mag da wohl die Filmrechte dran erworben haben? Genau der.

12/10/2007

A Long Way Down, Nick Hornby

Der Abbruch kam auf Seite vierundvierzig. Konzept klingt gut, aber die Gier auf die anderen Titel im Regal ist zu stark. Bei High Fidelity war damals die Aufmerksamkeit schon auf Seite zwei gesichert.

Vielleicht später, im nächsten Jahr.

12/09/2007

American Gangster, Ridley Scott

Breitwand! 70er! Viel Budget! Ridley Scott und seine Mitarbeiter wollen einen Oscar. Oder mehrere. Die heimliche Hauptrolle hat aber mal wieder die Bühne: der New Yorker Sprawl ist der Ort an dem die Helden hausen. Hier ist der Schmutz und hier muss man mit verwischten Grenzen leben: Korruption hat den Asphalt unterhöhlt und macht die Herren grimmig und knirschend. Die Fasern sind toll. Alles ist abgewetzt und stumpf. Schweiß, Blut, H, Rauch, Pfützen aller Art und Kies. Man beachte außerdem, wieviel Zucker der schwarze Pate in seinen Kaffee macht!

Die Schwarz-Weiss-Semantik wird zugegebendermaßen sehr ausgespielt. Der schwarze Gangster, der weiße Cop. Der eine ist sauber in optischer Hinsicht, der andere in moralischer. Diese Gegenüberstellung wird aber nicht flach, denn Crowe beziehungsweise Washington spielen ernsthaft und füllen nicht nur ihre Kostüme aus. Vor allem aber rennt der Film nicht der wahren Geschichte hinterher beziehungsweise vergewaltigt sie auch nicht. Ja gut, diesbezüglich müsste man jetzt den echten Gangster fragen. Das Ding fließt jedenfalls voran.

Und der Gangster an sich achtet ja nicht wirklich auf PC, also auch dieser Film nicht. Dass der Alt-Mobster und sein drogendealender Nachfolger für manche mit MLK verglichen werden kann nur übel aufstoßen. Dass Uniformen nicht für Loyalität stehen verunsichert noch weiter. Blöd nur, dass der Film auf Tatsachen beruhen soll. Hell, yes: Geschichte ist noir und teils stockfinster. Beim American Gangster kommt's recht dicke.

Gleich in den ersten Minuten fliegt Blut auf Badezimmerkacheln. Das kann ja nur ein Verweis an den beängstigend auratischen Scarface sein. Tradition verpflichtet. Der Gangster ist mehr als ein gieriger Bandit, er scheint die amerikanischste aller Lebensstil-Ikonen zu sein, wie schon bei Jesse James hier angemerkt wurde.

Inland Empire, David Lynch

Uh, Mr. Lynch, seien Sie sanft. Au, nicht so doll. Au! Nein! Aufhören! Langsamer! Iiih, das schabt! Verflixt noch mal! Wieso machen Sie das immer wieder? Ach, verflucht.

Inland Empire ist vom Umfang her sicherlich ein Hauptwerk von Herrn Lynch. Er hat aber bisher immer bizarr-schöne Bilder aufgefahren, um das Interesse und die Faszination des Zuschauers zu wecken und zu halten. Er bot Szenen als Inseln zum Herumspringen. Hier geht das aber eher schlecht. Bei fast drei Stunden Spielzeit geht einfach alles unter. Der einzige optische Anker, den man hat, ist Laura Dern. Die macht das alles toll aber sie kann nicht zur Re-Vision des Werkes verleiten. Lynch hat sich selbst dekonstruiert, er hat aus mehreren Teilprojekten einen Film gebaut und absichtlich so viele Links und Klammern in den Plot eingefügt, dass er zum Ende hin zerfasert.

Vergleich zu Lost Highway: Hier geht es um klassischere Detektivromankonstruktionen, wenn auch in Fragmenten. Die Töne sind hier deutlich maskuliner (wenn auch als Klischee): Frau Arquette ist die Hyper-Ische schlechthin. Einer der Helden ist ein viriler Automechaniker, der andere ein Jazz-Mann mit offenem Kragen. Aggressionen werden mit Marylin Manson und Rammstein unterlegt.

Inland Empire hat jetzt Beck im Programm. Beck passt derweil allzu gut ins Nerd-Chic-Hollywood und ist weit weg von wuchtiger Plakation. Beck ist un-gothic und das ist schön für ihn aber auch schade.

Die Newtonisten wird Inland Empire mehr aufregen als die Derridarianer, aber selbst letztere könnten die Spielzeit auch nutzen, um ein nettes Buch zu lesen.

Beim Inhalt kann man (wie so oft) seine eigenen Wahrheiten finden. Hier eine Option: Laura/Nicki ist der Filmstar, die Ikone, die die eingangs gezeigte Zuschauerin benutzt, um ihr Unterbewusstes aufzuräumen. Probleme hat sie ja, denn polnische Oger kloppen sie ins Gesicht. Der TV-Schirm bzw. die Leinwand werden zum Spiegel (auweia, Lacanisten haben hier eh viel zu kauen), nicht nur für die Zuschauerin, sondern auch für die Schauspielerin. Ein Film im Film, gefilmt als Film mit filmischen Mitteln. Wer spielt, wer schaut zu? Das sind die üblichen Fragen, die gestellt werden. Hatte Lynch die Hollywoodhölle nicht schon in Mulholland Drive eindringlich dargestellt?

Symbolisch fallen hier vor allem Innenräume auf, die es zu erforschen gilt. Hallen, Zimmer, Flure, Gänge und Türen sind eine überdeutliche Metapher für erzwungenen und vorenthaltenen Zugang. Bei Lost Highway gibts Autos und der echte Mulholland Drive ist eine schlingernde Serpentine am Rande des Wunderlands. Inland Empire ist eine Totalität und führt somit zu Stagnation auf hohem Niveau. "Da ist mehr" wird an einer Stelle gehaucht. Wieviel "mehr" verträgt das Auge bzw. der suchende Blick?

Aber die Häschen rocken arg.