11/29/2010

The Virgin Suicides, Jeffrey Eugenides

Haare, Haare, Haare. Hier. Der obskure Mädchendunst erobert die amerikanische Vorstadt im Zeitalter der muscle cars, wo und als die amerikanische Welt eigentlich noch in Ordnung war. Fünf Schwestern fallen um, nacheinander. Vier folgen der Pionierin in den Tod, da sie ihren Ur-Suizid nicht in die kollektive Lebenswelt integrieren können. Letztere ist eh in Gefahr, da das Erwachsenwerden den geschwisterlichen Bund zu sprengen droht. Vielleicht hat das erste Opfer diese Apokalypse geahnt oder dies ist nur ein weiterer letztendlich nutzloser Erklärungsversuch.

Eugenides lässt den Chor erzählen: die erste Person Plural verdeckt die staunende Jungsmeute, die sich in der Gegenwart an das tragische Idyll erinnert. Somit ist TVS auch ein Roman, der das unheimliche Gebiet der Nostalgie erforscht. Um-Heim-lich. Kein Heim. Heimatlos. Nicht hier, aber auch nicht richtig da. The Uncanny.

Wie kann man so jung schon so konservativ und konsequent sein? Diese Frage kann man sowohl den Protagonistinnen (man darf sie nicht Heldinnen nennen, denn der Freitod entlarvt ja die Saboteure) als auch dem Autoren stellen. Bei so einem Debüt konnte ja nur das ebenso grandiose (aber auch viel umfassendere) Middlesex folgen.

11/21/2010

Chronic City, Jonathan Lethem

Uff. Doch! Hier. Endlich wieder die letzte Seite eines Buches erreicht. Und wie war die Reise?

Der Titel hat den Konsumenten auf die Zeitmechanik-DonnieDarko-SeelenSciFi-Schiene gelockt. Schon falsch. So ist es ja nun einmal hier nicht, obgleich sich alles in einer Art Paralleluniversum abspielt: in einem trüben Moloch namens Manhattan mit seltsamen Einwohnern und noch infameren Namen. Ein Tiger gräbt sich durch die Schluchten und Starlets konspirieren mit Politikern. Lethem nutzt surreale Elemente, wie zum Beispiel auch in Gun with Occasional Music. Utopia, Dystopia - somit schifft der Autor in ähnlichen Gewässern wie Michael Chabon.

"Chronic" bezeichnet hier das Symptom einer kollektiven Geisteskrankheit, exemplifiziert an dem Über-Nerd Perkus, der sich am geistigen Schluckauf der Popkultur verhebt und dann an der physischen Variante zugrunde geht. Ein auf Marlon Brando oder antike Kelche (Gräle?) ausgelegter Fan-Kult zerstört da mehr als dass er hilft. Der Erzähler ist ebenso Fiktion wie die gesamte Stadt - er ist in eine verschollene Astronautin verliebt, die unerreichbar und engelsgleich Nachrichten aus dem interstellaren Minenfeld sendet (hier hat er von Coupland abgeschrieben). Jener Erzähler war einmal Schauspieler. Im Fernsehen. Metametameta.

So ist das mit Lethem. Pop wird nicht groß oder sonstwie geschrieben sondern ist längst in die Zeilen eingesickert. Keiner entkommt dem Jahrmarkt der Nichtigkeiten - die einen bauen sich eine Hütte und die anderen genießen das Wetter. Der Leser beobachtet beides.

Kurzum: die Reise war lang, aber keineswegs so erhaben wie bei Motherless Brooklyn oder der Fortress of Solitude.

11/19/2010

November ist grausam...

... denn man kommt zu nichts mehr. Das Blog ist nicht tot, doch es wurde tatsächlich gar nichts vollständig konsumiert.

Hier liegen herum: Lethems Chronic City, Hammetts The Dain Curse und U-Schrunz von Abercrombie. Mal sehen.

11/08/2010

The Girl with the Dragon Tattoo, Stieg Larsson

Das musste ja so kommen. Der Mainstream lachte und der Konsument sprang rein. Wieder einmal ging es um die alte Frage: was rechtfertigt den Hype?

Ganz einfach: Männer, die Frauen hassen (aber auch umgekehrt). Uh, die alte Geschichte: all die gegengeschlechtliche Aggression, die eine Trennung in xx und xy mit sich bringt, findet Halt in der Unterhaltungsliteratur. Sexploitation? Das konnte schon Edgar Wallace ganz gut.

War es nett? Ja, aber eigentlich sehr zahm. Die Triebtäter sind moralisch äußerst untief es wird enorm viel nebenbei gegessen. Dauernd kocht jemand Kaffee und es gibt Brote und Abendessen und Frühstück. Der Held geht sogar einmal zu McD und schaut Herr der Ringe im Kino. Ist das der Erfolg eines Gassenhauers? Die Ähnlichkeit des banalen Lebens abbilden und ein bisschen Totschlag dazu? Nee, Mr. Poe und andere hatten stets mehr im Sinn.

In diesem ersten Buch von dreien gibt es kein Anzeichen auf einen durchgehenden Handlungsbogen - die Protagonisten bekommen wohl einfach ein paar neue Probleme. Wie bei Tarzan oder Bonanza. Da es viel zu viele viel vielversprechendere Werke im Regal gibt, wird das Sequel wohl nicht mehr dieses Jahr konsumiert werden. Warum auch? Jetzt wird erst einmal die US-Filmversion abgewartet. Die schwedische hat wohl schon einige Rekorde gebrochen.

"In 2010 David Fincher was set to direct a Hollywood adaptation of the book, for release in December 2011.[17] According to The Guardian, George Clooney, Johnny Depp, and Brad Pitt were all interested in playing the central role of Mikael Blomkvist, but Daniel Craig was officially confirmed as the lead in July."

10/30/2010

Happy Halloween

Der wichtigste Feiertag des Jahres kündigt sich an.

Für alle, die den Fleischer schon sahen oder sich noch auf das Treffen vorbereiten hier die frischesten Deftones:


500.000 rock & metal videos on ROCKTUBE and METALHEAD

- oder: -

Boy, James Hanley

Kurz, simpel, 1930er. Ach, wir hatten ja nichts! Der Protagonist, der Junge, ist ein Arbeiterkind und wird entsprechend gebeutelt, geprügelt und winselt sich so durch. Dann flüchtet er auf ein Schiff und scheitert als Nachwuchsmatrose. An den Docks waren es die anderen Jungs, die ihn triezten und an Bord sind es die Seemänner samt Offizieren.

Jawohl, hier wird es recht herb, vor allem im Rotlichtviertel von Alexandria, wo die noch nicht mal Englisch sprechen. Eine Auflage des Romans wurde, nicht unüberraschenderweise, gleich indiziert.

Freudvoll ist die Lektüre nicht und erhabener sind Hogg und Blood Meridian (der Film kommt wohl auch bald) allemal, wenn es um geschundene Jungs geht.

10/26/2010

Neuer Link: Rumpus.net

Dieses... Magazin (?) hat ein sehr feines und langes Interview mit Jonathan Lethem und ordentlich viel Bolaño (dessen weitere Werke neben [unter?!] 2666 erst noch zu ernagen sind): Rumpus.net.

Låt den rätte komma in, Tomas Alfredson

Mörderteil. Superding. Ganz großes Tennis. Hier. Die noch nicht konsumierte US-Version gibt es hier.

Nervige Kinder gibt es ja viele im Kino. Und gerade bei latentem bis herbem Grusel sind die Bälger seit The Shining ein willkommenes Mittel zur Pulsfrequenzerhöhung. Aber hier wird die Kindheit selbst in all ihrem Stumpfsinn und Horror in die Mitte gestellt - dass dann das neue Nachbarskind nachts barfuß nicht friert, verwundert da auch nicht mehr. Der Konsument musste dauernd an tiefgekühlte ostdeutsche Kinderleichen im Plattenbau denken.

Ein wundervoller leiser Film über das unausweichliche Grauen des Aufwachsens (≠ Erwachsenwerden). Ah, Schweden: Schnee schluckt die Schreie. Das Vampirgelumpe ist ja in der Unterhaltungsindustrie so gegenwärtig wie Werbepausen und Nabelflusen. Vielleicht ist das eine der Großen Erzählungen, die geblieben sind? Dieser Relationsdruck, der durch den "Infizierten" und seinen Blutdurst auf seinen Wohnblock ausgeübt wird, bringt immer wieder gute Geschichten hervor - wenn man sie denn so wundervoll wie Herr Alfredson bebildert. Hunger bleibt Hunger. Da kann man nichts machen. Letztlich ruft der Magen von unten hoch: "Friss oder stirb." Ist das eine Drohung? Nein, eine Erinnerung.

Tree of Smoke, Denis Johnson

Das war eine sehr schwere Geburt. Dammrisse konnten verhindert werden. Hier. Wie war das doch gleich mit Vietnam? Niemand weiss es eigentlich genau... das Dickicht des Dschungels versperrte die Sicht. Die VC versteckten sich in Tunneln. Einer der Helden von ToS spekuliert, dass ganz Asien unterwandert ist, dass es enge Tunnel aus Lehm gibt, die von Saigon bis Peking reichen und dass in diesen Katakomben, die stetig neu gegraben werden, Geister aus Vergangenheit und Zukunft hausen.

Die dunkelsten Tunnel führen von Hanoi bis nach Ohio. Her mit dem Opium!

ToS ist Metaparanoia. Einfache Kausalketten enden im Schlamm. Das erschwert die Lektüre, belohnt aber mit einem Panoramabild des potentiellen und potenzierten Horrors. Der Baum aus Rauch des zwanzigsten Jahrhunderts ist vieles: Atompilz, Streubomben, ein X auf einer Karte, eine Ablenkung, ein Manöver, ein Ablenkungsmanöver, ein Ende|Anfang|Knoten - ein weißer Wal zum Inhalieren.

Jawohl, Artaud wird zitiert und Bataille auch. Da hat der Autor ordentlich querrecherchiert. Mit dem Ende der Mehrzahl amerikanischer Dinge hat sich Johnson schon in Fiskadoro auseinandergesetzt. Im Vergleich dazu ist ToS äußerst unprägnant und wolkig statt knackig. Rauchig halt.

10/08/2010

Generation A, Douglas Coupland

Die Bienen sind tot und die Apfelernte wird ein Problem. Fünf Menschen werden dennoch von ersteren gestochen und können sich letztere kaum leisten. Wie schon bei Generation X beleuchten abwechselnde Perspektiven und Unterhandlungen ein größeres Panorama - dieses umfasst vor allem die Pharmaindustrie, die wahrscheinlich einzige Institution in der ad nauseam durchglobalisierten Welt mit spirituellem Potential.

Selten ist eine Wiederaufbereitung eines Erstlings so gelungen: Coupland kann es wirklich. Enorm süffig perlt das Zeitgeistinferno über die Seiten und William Gibson's Name steht als Referenz auf der Rückseite. Die Lektüre ist fast schon zu schnell, um wahr zu sein: lernt man diesen unprätentiösen Sprachgebrauch in Kanada? Coupland thematisiert nicht nur memes und Kollektivgedächtnis und Kulturkluften sondern arbeitet auch mit ihnen. Der Aufbau seines Romans mag zufällig, albern und unkonzentriert wirken, doch am Ende spiegelt sich Inhalt in der Form.

Oh, und lustig ist das Ding auch noch.

Hier bei DC auf der Heimseite.

Resistance: Fall of Man, Insomniac Games

Der Platzhirsch auf der Konkurrenzkonsole kam jüngst als "Reach" heraus. RFoM erinnert nicht nur daran - die Schergen so wortlos wie bei Doom und die Weltkriegsoptik wie bei diesen unzähligen Shootern, die nach Saving Private Ryan aufkamen. Der Held redet eher wenig - Gordon Freeman tat das ja auch nie. Und die Aliens haben ihn irgendwie infiziert: das erinnert an den ins Fleisch gegrabenen Kristallsplitter von Diablo.

Kurzweilig, jawohl. Aber das Ding wird nicht kurzfristig erneut durchgespielt, um neue Vehikel freizuschalten. Wahrscheinlich ist das wieder so ein Multi-Player-Ding, welches erst im PS-Netzwerk fesselt. Uriger Charme wie bei GTA baut sich so nicht auf.

10/04/2010

I Write Like... FAZ testet die Schreibe

Friedrich Schiller


Was würde JCF von Schiller nur selbst dazu sagen? Schreibt er eigentlich wie er selbst? Und heißt das nun, dass die Aufklärung (die olle Spaßbremse) den Konsumgraben im Griff hat? Schnell wieder sitcoms schauen, zur Beruhigung.

Gentlemen of the Road, Michael Chabon

Die Widmung lässt tief blicken: Michael Moorcock will Chabon ehren, einer jener Giganten, die mehr als nur pulp for pulp's sake geschrieben haben. Im zwanzigsten Jahrhundert scheint der Buchmarkt ja explodiert zu sein, und sowohl an der einen als auch an der anderen Flanke formten sich Intertextualitäten, die nebeneinander existieren. Und jetzt, anything goes, findet das Ganze wieder zusammen. Chabon hat dazu maßgeblich beigetragen, als er die genialen Kavalier and Clay verfasste.

Und so geht es um die Haudegen und Schurken der phantastischen Literatur, die Chabon hier auf genreunüblichen 200 Seiten paradieren lässt. Da wo Orient und Okzident am wildesten sind trifft man sich und hetzt von Scharmützel zu Stand-off, zum Todesstern und zum Showdown. Geradezu tollkühn aber irgendwie funktionabel ist die Erwähnung diversester Ethnien. Juden werden zu Elben, der Afrikaner zur Gimli-mäßigen Axtmaschine. Das ist echt genug für eine spannende Handlung. Echt: ha!

Nach dem kurzen Vergnügen fragt man sich aber doch, wann Chabon sich einmal wieder die volle Distanz zutraut und einen schicken 600-Seiter braut.

God Jr., Dennis Cooper

Mit God Jr. widmet sich Dennis Cooper einem toten Sohn und schickt den Vater in ein mittelmäßiges Konsolenspiel.

Bemerkenswert ist die Kunst des Minimalen - der Roman hat nur 150 Großdruckseiten und es fehlt kein einziger Buchstabe. Die großmütterlichen Leser können da gern mit dem Konzept Trauma (der erzählende Vater hat den Unfall verursacht, bei dem der Sohn starb und er selbst im Rollstuhl landete) kommen: das arme Opfer kann ja gar nicht "richtig" erzählen... Unfug. Hier geht es nicht um Sinn, der sich auf der letzten Seite enthüllt. Es ist eher eine Expedition in die Sinnsuche, die auch zu den Pixelavataren führt, mit denen der Sohn seine letzten Tage verbracht hat. Der Vater nimmt den gespeicherten Spielstand auf und sucht nach obskuren Blaupausen für eine Architektur, die der Tote mit sich herumtrug. Da kann man nicht mit vielen Worten kommen: Spiele und Bauten erklären sich ja auch nicht.