4/16/2011

Metal: A Headbanger's Journey, Jessica Joy Wise & Sam Dunn & Scot McFayden

Hier und hier. Musikjournalismus! Fans für Fans! Auweia. Trotzdem ist diese Genreschau sehr unterhaltsam, da der Herr Anthropologe auch nach Skandinavien fährt und dort die Schwärzestmetallmusikanten trifft. Das ist eine Schau. Freilich darf da auch Wacken nicht fehlen, ist ja gleich um die Ecke.

Die Problematik zu Beginn ist gar nicht so verwegen: warum muss man sich immer erklären, wenn man denn so eine Form populärer Musik mag? Das Feld scheint diese Ächtung aber auch zu brauchen, denn nur so kann sich die aggressive Pose halten. Aber ehrlich gesagt bleibt zu bezweifeln, ob im dritten Jahrtausend noch jemand von hartem und weichem und kommerziellem und "authentischerem"(?) Pop sprechen kann. Beim Metall ist man sich der Genealogien sehr bewusst. Da gibt es noch echte Diskussionen, wo welche Ahnentafel wie angelegt werden kann. Das gibt dann einen Mehrwert für den Konsumenten, denn der kann dann wie in einer Seifenoper die Verstrickungen seiner Unterhaltungsprodukte verifizieren und diskutieren. Das Außen bleibt auch stets definiert, vielleicht nicht immer trennscharf: der nichtmetallische Mainstream. Diesem Umstand verdankt diese Doku ihre Kurzweiligkeit.

Und Lemmy ist der Hohepriester des Überlebens. Keiner sonst darf solche Hüte tragen.

4/14/2011

Sucker Punch, Zack Snyder

Hier. Wir sind nicht mehr in Kansas, Toto. Vielleicht Ohio? Auf die Nuss gibt es jedenfalls schön bildgewaltig und die gesamte Einrichtung eines comic shops wird einmal durchgerendert und in Bewegung versetzt. Ein hoch auf die ultraästhetischen Auseinandersetzungen!

Sympathisch ist bei SP, dass kein sequel angelegt ist. Es ist einfach eine runde, stimmige Geschichte mit einem verblüffend klugen (aber nicht zu klugen) Ende. Die Hauptdarstellerinnen wissen, was sie tun: niemand hat ihnen den green screen bei den Dreharbeiten schön geredet. Auf das bloße Aussehen selbiger beim Stillstehen wird auch nicht soviel Zeit verwendet... denn in Bewegung sind die Dinge ja nochmal so schön.

Und es gibt Dampfdeutsche. Zischen beim Umfallen.

Snyder hat's ja schon mit gecapeten Herren getan und wird es mit einem besonderen auch wieder tun. So soll es weitergehen.

4/10/2011

Boardwalk Empire, Terence Winter & Nelson Johnson

Da und da und hier bei hbo.com. Neues Flaggschiff des seriellen Erzählens in den 10ern? Uh, ja... Und was für eins. Einer der vielen guten Effekte der Sopranos: ein neues Abmischen bewährter Techniken, hier aber mit historischen Umfeld und bedeutend mehr Geld für die Kulissen.

Die Überraschungen hielten sich in Grenzen: Buscemi ist ein Held, der wohl auch in Samstagssitcoms für Sympathien sorgen könnte. Doch hier hat er die sehr große Bühne als menschelnd-souveräner Korruptionsknoten im trockenen Amerika inne. Michael Pitt findet auch endgültig seinen Platz in der prime time und macht was für die Rente: als Kriegsveteran und Daumenbrecher verbindet er einen seltsam angeschlagenen und finsteren Eindruck. So war das halt mit den Schützengräben. Allen voran aber die Weiblichkeiten, die zeitgemäß teils auch mit sich selbst überfordert sind: mit sehr viel Inbrunst wird hier die Bevölkerungshälfte gezeigt, die plötzlich wählen darf und Schnaps schmuggeln kann. Wie immer ist niemand unschuldig, doch beim Boardwalk Empire wird der Unschuld so wunderbar nachgetrauert, dass man sich fast an einen Sinclair Lewis wagen will.

Ein famoses big-budget-Vehikel. Jetzt braucht man nur noch jemanden, der es mit Inland Empire in Verbindung setzt (früh, spät, Ost, West, hu?).

4/09/2011

Knockemstiff, Donald Ray Pollock

Kurzgeschichten aus Ohio von einem der Überlebenden. Das Dorf gibt es wirklich! Wahrscheinlich einer der furchterregendsten Orte Nordamerikas. Die Berichte hier gehen einmal um den trailer park, dann in die Jauchegrube und quer über den alten Parkplatz zum Friedhof, wo diese kranken Kinder wieder ein bbq aufgebaut haben.

Der Siff trieft aus Menschen und Motoren, beide husten ordentlich und sind trotzdem in diese existentiellen Kuhle gefangen, die dem durch und durch heruntergewirtschafteten Ödland ihren Schwerpunkt gibt.

Was bleibt zu tun? Die einzige Anweisung wird halblaut ausgesprochen: Knockemstiff, hau'se alle um. Ob es nun die Termiten unter der Bar sind oder die verfetteten Drecksbälger der Exotik-Tänzerin, die sie dem Schlachtergehilfen unterjubelte: wer hier nicht möglichst hart und früh und mehrfach zuschlägt, wird bei den Futterluken nach unten rutschen.

Der Autor kennt diesen Ort. Der MFA kam spät zu ihm... schön, wenn dabei so ein herbes Brett herauskommt. Oh, Ohio.

Drugstore Cowboy, Gus Van Sant

Dieser. Flink manövert sich der Hallodri und seine Gang durch die Provinz, um chemische Ungleichgewichte auszugleichen. Dabei sehen alle gut aus und könnten zunächst als Green-Party-Sympathisanten herhalten. Aber alles bricht entzwei wie die konsumierten Molekülketten und so gefriert alle Leichtigkeit in Atemlosigkeit. Cold turkey, Sozialversicherungsnummer, ein Zimmer mit Etagen-WC.

Moralische Keulen gibt es hier keine, eher eine ästhetische Ehrfurcht vor dem schönen Gefühl, nicht nüchtern zu sein. Burroughs selbst referiert mit ungeniertem celebrity-Faktor über die Prinzipien, für die er steht. Den Van-Sant-Spielraum hier beginnen lassen zu wollen, gelingt: brechende (zerstaubende) Jugend als Zentralthema machen dieses sorgsam bebilderte Bühnenstück zur Hausmarke. Das Ding mit dem Mainstream und der aktiven Kamera kam später. Sei's drum: mit Drugstore Cowboy fing es an. Ordentlich.

Spun ist anders.

The Union: The Business Behind Getting High, Brett Harvey

Oh, Canada... hier. Eine durchaus erfrischende Dokumentation über das alte Thema der Legalisierung und Nutzung diverser Pflanzen. Besonders interessant ist der sehr bizarre nördliche Grenzverkehr.

Und obwohl Tommy Chong dabei ist wird nicht einfach nur das durchromantisierte Stoner-Exil beschworen: es ist ein Blick auf das Prinzip des Marktes, das immer wieder verschwimmt, wenn es nicht um Butterberge und Erdöl sondern um Wellness-/Genuss-/Heilmittel geht.

Hier die offizielle Seite.

The Union - Marijuana Documentary from British Columbia
The Union - Marijuana Documentary from British Columbia Hosted by Beer Steak Bullshit

4/08/2011

Mehr Vorfreude: Hesher

Nicht nur wegen Frau Portman Pflicht.



Danke, Nerdcore.

4/05/2011

Californication, Tom Kapinos

Vier Staffeln voller Strandgut. Hier. Jawohl, erfolgreiche Musikanten haben wegen des Titels bereits geklagt. Sehr kalifornisch.

Der Schock kam früh: was ist nur aus der Kleinen aus der verbratzten Nanny geworden?! "Fucking and Punching"?! Nagut, das kann für eine dramedy eine komfortable Mischung bedeuten. Vielleicht hat der Porsche auch deshalb nur ein Auge: er drückt das andere zu.

Jede Staffel hat ein Motto, eine Rahmenrahmenhandlung: somit hat jedes Staffelfinale eine gewisse Brisanz. Duchovny hat die Eskapaden des Helden formvollendet umgesetzt und ein sehr prägnantes Schreibäffchenschema in die Welt entlassen. Und etwas lernen kann man auch: von diesem und jenem lebt quasi der Grundton der Sendung wie auch die Welt, in der sie zu spielen droht. Und es gibt noch so viel mehr zu entdecken. Aber wer liest denn jetzt noch die Bücher, die weniger Sex und mehr Gewalt haben?

Grand Theft Auto IV: Episodes from Liberty City, Rockstar Games

Das hier nochmal. Einmal Motorräder und einmal Fallschirme... der beschleunigte Körper in einer Stadt aus Zitaten. Vielleicht wird GTA5 endlich einen weiblichen Protagonisten haben. Rockstar Games könnte das Echo von Lara Croft exorzieren.

4/03/2011

Letztes Jahr in Marienbad, Alain Resnais

Oh. Hier. Tatsächlich ein Klopper, endlich in Gänze konsumiert. Im barocken Schlosshotel huschen die Erinnerungen durch die Hallen. Doch: dieser Film hat eben keine bebilderte Handlung, sondern handelnde Bilder. Der ganze Film setzt sich mehr und weniger zusammen, er vibriert und schwingt. Die Szenen (Mensch und Mobiliar ähneln einander in Funktion und Farbe und sind gleichermaßen durchgestylt) fallen immer wieder in größere Zusammenhänge, ruhen kurz, und entspannen sich dann wieder. Intensiv, extensiv... freilich sehr leicht zu persiflieren. Und vollkommen werbeblockinkompatibel.

3/30/2011

Ordinary Affects, Kathleen Stewart

Hier. Stewart räumt auf mit der Kniffligkeit der Affekttheorie, indem sie sich aufs Allgegenwärtige (vielleicht sogar DAS Gegenwärtige) konzentriert: die Affekte, die es jeden Moment zu empfangen gilt. Dabei theoretisiert sie nicht sondern notiert Szenen und Momente der Affizierung von Menschen, Bewusstsein, und sonstigem.

Da gibt es die Benzingeruch, die Glotze, Tischplatten, Wetter, Müll, Störgeräusche, Rhythmen (stimmig oder abbrechend) und Grübeleien. Das vollkommene Fehlen der Anwendung einer Fachsprache stimmt auch nachdenklich: ist es wirklich so einfach? Ist Affekt so ein gewaltiges Ding, ein so mächtiges Überwort, dass es sich jeder Beschreibung entzieht? Ist es zu einfach, um (in sonstwie motivierten Diskursen) fassbar zu sein?

Schöne Fragmente, die den Blick auf die feine Bibliographie richten lassen.

3/28/2011

Hondo, Louis L'Amour

Ja, so heißt er. Aus einem seiner Produkte wurde dieser Film und daraus wiederum wurde dieses Produkt. Verblüffend. Ein Text wie aus einer anderen Zeit - selten hat man so unironische Sexismen erlebt. Der virile top guy erschießt und ersetzt den Vater eines potentiellen Weicheis, nebenbei beglückt er die Ranch-Mamsell nachhaltig. Die bösen Indianer werden abgeknallt, die guten können keine Grammatik und auf die Kavallerie kann man sich eigentlich auch nur werktags verlassen.

Geradezu bizarr, dieses Textlein! True Grit ist da wahrlich sehr anders, in allen Versionen.

Der Konsument hat Mister (Monsieur?) L'Amour gefunden, weil Stephen Graham Jones ihn in einem Interview erwähnte. Das soll jetzt also echter amerikanischer pulp sein? Ein kitschiger Western-Bockmist? Ja gut, der Autor posiert mit Hut in der Natur auf dem Buchrücken... und es gibt Fanclubs. Und etwa neunhundert ähnliche Romane. Der weite Westen hat Platz für alle.

Scorch Atlas: A Belated Primer, Blake Butler

Natürlich wird man sich noch Geschichten erzählen, wenn alles im Schlamm versunken ist und die Insekten Oma und Opa fraßen. Natürlich wird da noch Lärm im Kinderzimmer sein, nur mehr mit erstickten Schreien und einem unrettbaren Grunzen. Butler zerrt den Leser in eine der Welten, die nach dieser kommt und in der das gesamte Konzept der "Ruine" keinen Sinn mehr macht, da sich eh keiner mehr an ihren spezifischen Entstehungszeitpunkt (den event, die Stunde Null, den Tag der Abrechnung) erinnern kann und will.

Wie grandios ist doch Schlamm. Im Wasser kann man sich rein waschen, im Schlamm wälzen. Eine Taufe im Schlamm hält länger, denn das Zeug kriecht in die sieben Menschenlöcher und bleibt. Nachhaltigkeit. Noch nachhaltiger wird es, wenn der Schlamm radioaktiv ist. Da zirpen dann die Moleküle im Takt und die Zellen bilden einen Metastasenreigen.

Ähnliches gilt für Asche. Konzentrierter Schlamm, quasi. Instant mud. Herkunft ausradiert und bereit zur Kontamination. Atme ein, atme aus... und höre, wie das Husten einfach so im grauen Himmel versickert.

Scorch Atlas ist Experimentalliteratur, die unter dem Motto des Endes zusammenfassbar sein könnte. Alles endet: das Ich, die Frisur, der Leib, die Familie, der Vorort, Amerika. Und all das *dauert*. Das Ende der Dauer dauert. Not with a bang but with a fucking whimper.

3/27/2011

The Sopranos, David Chase

Ein "davor" und ein "danach" werden meistens durch einen Schnitt getrennt, hier ist es ein smash cut. Das ist das Ende. Endlich ein leuchtendes Beispiel für die Emanzipation des Fernsehens vom Medium der bloßen Verdauungsförderung hin zur echten Erzählmaschine.

Die Welt ist voller Lob für die Sopranos. Geradezu klischeehaft gut sollte diese Serie sein. Geradezu klischeehaft hat der Konsument sie gemieden. Wollte der Stimme des Volkes nicht trauen. Und das Unheimliche daran: die Welt hat recht. Die Sopranos sind die beste Fernsehserie, die es gibt bzw. die es zur Zeit ihrer Ausstrahlung gab. Es packt, es rührt, es widert an, es ist weitab von der Mehrheit der Fernsehproduktionen, inklusive Wetterbericht und breaking news. Die Produzenten und Darsteller haben Monster geschaffen, die zu finster sind, um wahr zu sein: Tony ist (und das hat der Konsument tatsächlich irgendwie erwartet, ach wie doof war er doch...) KEIN aufgebrühter Brando ohne Frucht im Mund, Tony ist das allumfassende Scheusal der Gegenwart, mit dem der bloßgelegte Fernsehzuschauer trotzdem Zeit verbringen möchte. Das "Wie kann er nur?" wechselt sich ab mit dem "Warum muss er das?" und die Antworten tun jeweils ein bisschen weh. Das Brutale ist weit mehr als die kurze Schaulust mit Goodfellas-Zitat, es ist in die Textur der Serie eingewoben: wie kann man so weitermachen, sowohl die da als auch wir hier? Wieso vertieft jede Staffel das Interesse und die Abscheu gleichermaßen?

Das ausgenudelte (Ah! Nudeln! Supersexy Hauptgerichte werden hier oft in Szene gesetzt... Carmela sollte ein Kochbuch schreiben) Motiv des organisierten Verbrechens residiert hier in ganzer Breite und Allgegenwart. Die alternativen Genealogien leben ja am Ende: an den losen Enden der zivilen Wirtschaft, an den Tresen und Kassen, den stetigen kleinen Materialflüssen von Abfall und anderen Finanzen. Fleischabfälle, Abfallfleisch. Diese Serie ist quasi die radikalste Darstellung von Wertekreisläufen überhaupt. Parasiten? Wie nennt man Parasiten, die ihre Wirte buchstäblich zermalmen können? Diese Mafia ist ein Maul, ein Kieferapparat. Das Gegenteil aller sitcoms - und das Motiv der Psychoindustrie, die Tony helfen kann und es teils auch tut, ist keinesfalls politisch-hämisch zu verstehen. Lebensfreude ist auch ein Wert. Der eine hat sie, der andere holt sie sich. Von wegen Ende der Nahrungskette und so. Da war der Bauchschuss durch den schwerverdauenden Alten sehr naheliegend. Mit dem Zahnverlust ist man heraus aus der Konsumentensippe.

Wie kann es schlechten Menschen schlecht gehen? Das ethische Dilemma ist bei den Sopranos weit mehr als nur pastorale Gutmenschromantik, es ist die falsche Frage. Sieht das die lobende Mehrheit auch so? Oder kommen die nicht weiter als zur (wahren) Feststellung dass alle Familien irgendwie beschädigt sind, die meisten aber (?) weniger kriminell? Toi, toi, toi. Die Sopranos sind allumfassend, mit Ethik und solchen Käuflichkeiten geben sie sich nicht ab.

Jede Folge ein Gedicht - Mad Men hat sich zurecht erfolgreich an diesem Standard orientiert (Matthew Weiner durfte hier ja üben). Beeindruckend ist die dramaturgische Konsequenz, die man (wie immer) besonders am Ende bemerken kann: der Zuschauer wird so allein gelassen wie jeder in einer Welt aus Gier und Gewalt. Kommt der Hieb, der Schnitt? Kam er schon? Hängen wir alle in der alten Lackiererei von der Decke, leise in eine Ölwanne blutend? Diese Serie hat die betörendsten Geräuschkulissen überhaupt wenn es um stumpfe Gewalt und präzises Sterben geht. Wo mag New Jersey aufhören? Bestimmt nicht in Manhattan. Das richtige Leben im falschen gibt es nirgendwo, vielleicht auch nicht das Gegenteil davon. Die Sopranos sind ganz großes Tennis, ihnen gehört der Platz... am Ende ist der Zuschauer der Korrumpierte, der Infizierte, der Angefixte. Augenzeuge und vielleicht auch Mitspieler.

Zerschmettern. Abschneiden. Smash. Cut. Alles andere ist nur Abspann.