12/17/2007

Suttree, Cormac McCarthy

Wie kann das sein? Wie macht er das?

Das große Bild ist der Fluss. Ja klar, gähn-gähn. Aber nein.

Manche leben unter Brücken, manche werden hier ihren Müll los. Andere brechen winters ins Eis und verschwinden. Dann sind da noch Fischer wie Suttree: sein Hausboot steht im stehenden Gewässer.

Suttree ist ungebunden und somit haltlos. Da waren nie Stricke die hätten reißen können. Unter den Menschen ist der Sumpf. Wo hört das schwarze Wasser auf und wo fängt die Erde an? Manchmal tritt der Fluss über die Ufer und frisst eine Straße oder unterhöhlt den Friedhof und versenkt Grabsteine. Die Menschen sind blinde, einfarbige Insekten, die zwischen Provisorien und Fäkalien arbeiten, saufen und strampeln.

Im Knast lernt Suttree Gene kennen, einen Menschen der bald zum Child of God werden kann. Das Attribut "einfach" hat schon zuviele Silben, um ihn zu beschreiben. Wie er versucht, ein waidwundes Schwein mit einem Zinneimer und einem Holzscheit zu erschlagen, ist atemberaubend. Oder die Sache mit den 42 Fledermäusen.

Vielfarbige Galle ist und bleibt ein Thema.

Faulkner war nie so sichtbar wie hier. Diese Sprache: grob und körnig und treffend und schwarze Löcher reißend. Das Unwort "Erhaben" geistert herum, aber nein: das würde ja heißen, das Verstand und Vernunft irgendwie beteiligt wären. McCarthy schreibt nicht für Menschen. Harold Bloom nennt ihn den wichtigsten alten weißen Literaten der USA neben Roth, Pynchon und Delillo. Recht so. Bei Suttree ist der Leser eines der Insekten, das nur kurz in jenem Kosmos zu Besuch ist, ohne ihn ganz zu verstehen.

Und das verstörendste daran ist der humoristische Einschlag. Jawohl, Suttree ist irgendwie komisch. Wie kann das sein?

Dieser Eintrag mag verfrüht sein, denn er entsteht auf halber Strecke. Suttree ist eines der wenigen Bücher, bei denen das Umblättern weh tut weil man damit dem Ende näher kommt.

Jagut, das mag nur eine effiziente Selbsthypnose sein. Keiner ist wie Cormac und der Enthusiasmus lässt sich nur schwer zügeln.

Kaufen, fressen, lachen, weinen.

12/12/2007

Gone Baby Gone, Ben Affleck

Es wird schon deutlich, dass die Geschichte vom Verursacher von Mystic River kommt. Aber auch ohne Sean Penn ist Gone Baby Gone ordentlich.

Die Motive sind bekannt doch der Fokus liegt zwingend auf der Darstellung der traumfreien amerikanischen Unterschicht. Gone Baby Gone befasst sich sehr explizit mit weissem Müll und Affleck (verdammt, ja!) stellt die Bilder so zusammen, dass man das billige Plastik und den kalten Rauch fast riechen kann. Der Showdown muss dabei im Grünen stattfinden.

Aber obacht: Dies ist ein fast schon altmodisch-moralischer Film und das ist man (zumindest im Graben) nicht gewohnt. Hier gibt es auch Gangster aber es sind nicht die bösen Absichten, die sich verstecken, sondern die guten. Das macht die Sache nicht einfacher und das ist spannend zu beobachten.

Noch was zu Casey: Jesse James' größtem Fan gelingt die Wandlung zum außerordentlichen Ermittler durchaus. Die wässrigen Augen sind nicht nur zum Staunen gut und zusammen mit Michelle Monaghan wirkt er von Anfang an als geschundene, aber ehrliche Haut.

Es sei noch gesagt, dass Shutter Island auch von Lehane ist. Wer mag da wohl die Filmrechte dran erworben haben? Genau der.

12/10/2007

A Long Way Down, Nick Hornby

Der Abbruch kam auf Seite vierundvierzig. Konzept klingt gut, aber die Gier auf die anderen Titel im Regal ist zu stark. Bei High Fidelity war damals die Aufmerksamkeit schon auf Seite zwei gesichert.

Vielleicht später, im nächsten Jahr.

12/09/2007

American Gangster, Ridley Scott

Breitwand! 70er! Viel Budget! Ridley Scott und seine Mitarbeiter wollen einen Oscar. Oder mehrere. Die heimliche Hauptrolle hat aber mal wieder die Bühne: der New Yorker Sprawl ist der Ort an dem die Helden hausen. Hier ist der Schmutz und hier muss man mit verwischten Grenzen leben: Korruption hat den Asphalt unterhöhlt und macht die Herren grimmig und knirschend. Die Fasern sind toll. Alles ist abgewetzt und stumpf. Schweiß, Blut, H, Rauch, Pfützen aller Art und Kies. Man beachte außerdem, wieviel Zucker der schwarze Pate in seinen Kaffee macht!

Die Schwarz-Weiss-Semantik wird zugegebendermaßen sehr ausgespielt. Der schwarze Gangster, der weiße Cop. Der eine ist sauber in optischer Hinsicht, der andere in moralischer. Diese Gegenüberstellung wird aber nicht flach, denn Crowe beziehungsweise Washington spielen ernsthaft und füllen nicht nur ihre Kostüme aus. Vor allem aber rennt der Film nicht der wahren Geschichte hinterher beziehungsweise vergewaltigt sie auch nicht. Ja gut, diesbezüglich müsste man jetzt den echten Gangster fragen. Das Ding fließt jedenfalls voran.

Und der Gangster an sich achtet ja nicht wirklich auf PC, also auch dieser Film nicht. Dass der Alt-Mobster und sein drogendealender Nachfolger für manche mit MLK verglichen werden kann nur übel aufstoßen. Dass Uniformen nicht für Loyalität stehen verunsichert noch weiter. Blöd nur, dass der Film auf Tatsachen beruhen soll. Hell, yes: Geschichte ist noir und teils stockfinster. Beim American Gangster kommt's recht dicke.

Gleich in den ersten Minuten fliegt Blut auf Badezimmerkacheln. Das kann ja nur ein Verweis an den beängstigend auratischen Scarface sein. Tradition verpflichtet. Der Gangster ist mehr als ein gieriger Bandit, er scheint die amerikanischste aller Lebensstil-Ikonen zu sein, wie schon bei Jesse James hier angemerkt wurde.

Inland Empire, David Lynch

Uh, Mr. Lynch, seien Sie sanft. Au, nicht so doll. Au! Nein! Aufhören! Langsamer! Iiih, das schabt! Verflixt noch mal! Wieso machen Sie das immer wieder? Ach, verflucht.

Inland Empire ist vom Umfang her sicherlich ein Hauptwerk von Herrn Lynch. Er hat aber bisher immer bizarr-schöne Bilder aufgefahren, um das Interesse und die Faszination des Zuschauers zu wecken und zu halten. Er bot Szenen als Inseln zum Herumspringen. Hier geht das aber eher schlecht. Bei fast drei Stunden Spielzeit geht einfach alles unter. Der einzige optische Anker, den man hat, ist Laura Dern. Die macht das alles toll aber sie kann nicht zur Re-Vision des Werkes verleiten. Lynch hat sich selbst dekonstruiert, er hat aus mehreren Teilprojekten einen Film gebaut und absichtlich so viele Links und Klammern in den Plot eingefügt, dass er zum Ende hin zerfasert.

Vergleich zu Lost Highway: Hier geht es um klassischere Detektivromankonstruktionen, wenn auch in Fragmenten. Die Töne sind hier deutlich maskuliner (wenn auch als Klischee): Frau Arquette ist die Hyper-Ische schlechthin. Einer der Helden ist ein viriler Automechaniker, der andere ein Jazz-Mann mit offenem Kragen. Aggressionen werden mit Marylin Manson und Rammstein unterlegt.

Inland Empire hat jetzt Beck im Programm. Beck passt derweil allzu gut ins Nerd-Chic-Hollywood und ist weit weg von wuchtiger Plakation. Beck ist un-gothic und das ist schön für ihn aber auch schade.

Die Newtonisten wird Inland Empire mehr aufregen als die Derridarianer, aber selbst letztere könnten die Spielzeit auch nutzen, um ein nettes Buch zu lesen.

Beim Inhalt kann man (wie so oft) seine eigenen Wahrheiten finden. Hier eine Option: Laura/Nicki ist der Filmstar, die Ikone, die die eingangs gezeigte Zuschauerin benutzt, um ihr Unterbewusstes aufzuräumen. Probleme hat sie ja, denn polnische Oger kloppen sie ins Gesicht. Der TV-Schirm bzw. die Leinwand werden zum Spiegel (auweia, Lacanisten haben hier eh viel zu kauen), nicht nur für die Zuschauerin, sondern auch für die Schauspielerin. Ein Film im Film, gefilmt als Film mit filmischen Mitteln. Wer spielt, wer schaut zu? Das sind die üblichen Fragen, die gestellt werden. Hatte Lynch die Hollywoodhölle nicht schon in Mulholland Drive eindringlich dargestellt?

Symbolisch fallen hier vor allem Innenräume auf, die es zu erforschen gilt. Hallen, Zimmer, Flure, Gänge und Türen sind eine überdeutliche Metapher für erzwungenen und vorenthaltenen Zugang. Bei Lost Highway gibts Autos und der echte Mulholland Drive ist eine schlingernde Serpentine am Rande des Wunderlands. Inland Empire ist eine Totalität und führt somit zu Stagnation auf hohem Niveau. "Da ist mehr" wird an einer Stelle gehaucht. Wieviel "mehr" verträgt das Auge bzw. der suchende Blick?

Aber die Häschen rocken arg.

12/06/2007

Confessions of a Dangerous Mind, George Clooney

Was verbindet dumpfe Fernsehunterhaltung und Geheimdienstmorde? Sex natürlich.

Der Erfinder des Herzblatt-Konzepts kann ja sowieso kein glücklicher Mensch gewesen sein. Und Fernsehmenschen traut man ja den einen oder anderen Mord schon zu. Allerdings trauert man professionellen Mistproduzenten auch nicht wirklich hinterher. Glauben kann man denen auch nicht, somit sind ihre Geständnisse höchstens schmuddelige Wahnvorstellungen. US-TV im 20. Jahrhundert hat Clooney auch noch einmal ein wenig nüchterner verarbeitet, mit "Good Night and Good Luck".

Sam Rockwell und Drew Barrymore (sind die sich nicht schon beim absurden "Charlie's Angels" begegnet?) sind goldig bis genial, Clooneys Freundeskreis reiht sich brav und stimmig ins Werk ein. Der Film ist jenseits von erzwungener Coolness und auch keine dröge Geschichtsstunde. Unterhaltsam weil verkatert-gebeutelt. Besser als Fernsehen.

Sphären I - Blasen, Peter Sloterdijk

Kein Roman, neinein, also auch keine Geschichte. Oder? Dochdoch! Herr Sloterdijk erzählt die Geschichte vom Raum - Weg von der Diktatur der Geschichtlichkeit und hin zu den weiten Feldern, die sich zwischen Gesichtern aufspannen, im Selbst, im Mutterleib und sonstwo.

Damit hat er die Haupt-Direktive modernder Romanciers erfüllt: nimm was simples und mach was episches draus. Ideenmarktlückenfüllung also? Das kann nicht im Graben sitzend entschieden werden.

"Sein und Raum" statt "Sein und Zeit", schreibt er, aber Heidegger wird eher erweitert als korrigiert. Jedenfalls scheint es so.

Herr S. ist kein Anthropologe und somit ist seine Raumgeschichte auch nicht chronologisch. Die einzelnen Kapitel, durchsetzt mit Exkursen, regen eher jeweils für sich dazu an, Räume neu (oder überhaupt) in variabler Theorietiefe zu denken. Erhellend ist die Lektüre allemal. Prächtig sind die kulturgeschichtlichen Beispiele und die Illustrationen. Eine wahre Schande ist es allerdings, dass bei dem Preis keine Kolorierung der Bilder drin war.

Überhaupt das Layout. Alle stöhnen über den Umfang der Trilogie, aber eigentlich ist das Ding künstlich aufgeblasen. Die Schrift ist riesig, das Format auf schwer getrimmt. Wahrscheinlich ist das bei S.'s Prominenz eine Bringschuld. Oder, mit Rückgriff auf das Thema Raum: nur, was genug Luft verdrängt kann auch genug Platz für zeitlose Gedankenreinheit bieten.

Herr S. schreibt sehr lebendig und entschuldigt sich (zu Recht) an keiner Stelle für seinen weitreichenden Wortschatz. Das trägt zu dem Unterhaltungswert des Werkes bei. Er reiht sich in keine Fachdebatte ein und schließt keinen interessierten, aber uninformierten Leser aus (so wie er hier im Graben sitzt und blättert). Ist Peter S. etwa der deutsche Umberto U.? Und soll das ein Gesichtspunkt für das Sphärenlesen sein?

Der nächste Band befasst sich mit den Räumen da draussen, den Atlanten. Der erste Band der Trilogie verursachte keinen Argwohn. Sphären I scheint wie ein sehr selbstsicheres Sprungbrett, eine gelungene erste Raumfahrt. Aber vielleicht sollte sie doch eher erstmal zu Heidegger führen, bevor man sich der Kartographie zuwendet. Bei manchen Geschichten machen die Hausaufgaben mehr Spaß als das spätere Abfragen.

12/05/2007

Mr. Brooks, Bruce A. Evans

Na sowas. Kevin Michael Costner glänzt und Moore auch und der Film thrillert gut voran bis zum Schluss.

Dabei fällt auf, wieviel Genre-Kenntnis das Drehbuch beim Zuschauer anscheinend schon vorraussetzt. Der Film hält sich nicht lange mit Erklärungen auf sondern schildert fix die Verschlitterungen der einzelnen Charaktere. Großartig ist die Spannung/Komplizenschaft von Brooks und Marshall.

Mr. Brooks hat zahlreiche prominente Vorbilder, die allesamt erkannt werden können aber trotzdem wirkt er nicht wie eine simple Hi-Fi-Kopie. Training Day, Fight Club, American Psycho und weitere Werke waren den Autoren bekannt. Aber das ist schon OK so. Mit ganz viel Wohlwollen kann man sogar (nicht nur wegen William Hurt) eine leichte Nuance von History of Violence erkennen, Cronenbergs Geschenk von 2005.

Ach, der Schluss. Der Epilog mit dem Alptraum ist ein wenig weich - ein echtes Ende mit großem E wäre konsequenter gewesen. Nächstes Mal. Ansonsten aber angenehm RTL-Kino-Sonntag-inkompatibel (nagut, die Hoffnung stirbt zuletzt).

Elizabeth Costello, J.M. Coetzee

Genialität ist ein schweres Wort, doch es mag hier treffend sein. Der Kurzroman ist ein Proseminar der Geisteswissenschaften. Coetzee stellt Grundprobleme dar deren Besprechungen jeweils schon seit Jahrhunderten ganze Bibliotheken füllen. Es geht um die Tätigkeit des Lesens, des Schreibens und um die Position des Menschen dabei in der Mitte oder am Rand. Herr Coetzee, wer hat Ihnen das beigebracht?

Disgrace war schon so ein Kunstück: da hat er die Agonie und die Tiefe der postkolonialen Epoche als klassisches, aktuelles und auch noch zügiges Drama inszeniert.

Das U verabschiedet sich bei der Lektüre von Elizabeth Costello nie. Die Fahrten der alternden Literatin rahmen die philosophischen Exkurse und bieten eine spartanische und doch zweckmässige Bühne für sehr prägnante Erörterungen. Costello trifft auf Menschen, die aus der Perspektive von Nicht-WASPs, Christen oder Familienangehörigen ihre Berufung beurteilen. Denken und Schreiben ist spannend - wer hätte das gedacht? Für Coetzee ist die Sache ernst - ein verstaubtes Bildungsbürgerideal verteidigt er nicht. Der Campus ist nur eine Arena von vielen.

12/02/2007

Die Unbesiegten, William Faulkner

Klingt der Name schwer und wuchtig und Kanon-kompatibel? Das wäre vollkommen unangebracht. Zum einen: Faulkner hat’s für Geld getan. Er hat in Hollywood Romane verdaut und ähnliche Brot-Jobs gemacht. Der Nobelpreis hat ihn auch nicht vom Saufen abgehalten. Faulkner ist kein Weiser vom Berg.

Zum anderen ist ein Roman wie Die Unbesiegten jenseits von Wucht, haut einen aber trotzdem um. In der bekannten fiktiven Südstaatenregion tobt erst der Bürgerkrieg und dann die Rekonstruktion: eigentlich eine prächtige Bühne für Heldenmut und Glorie. Doch die Figur des weißen Gentleman der alten Schule, inkarniert in Daddy Sartoris, wird in in vielerlei Hinsicht gebrochen und aufgeweicht. Der Erzähler der Geschichte ist des Vaters Sohn und der Sklavenjunge Ringo wächst quasi als sein Bruder heran. Die Sklaven des Hauses sind Fürsorger und Beschützer. Hier sind die Rassen weder getrennt noch gleich.

Die Gewinner des Bürgerkriegs sind im Süden keine Sieger. Hier, rund um Jefferson, zeichnet man sich eher dadurch aus, im einen oder anderen Sinn nicht besiegt worden zu sein.

Und Oma ist die Größte: während der virile Herr des Hauses im Gebüsch den Yankees auflauert, muss sie den Haushalt durch das Chaos und den schwarzen Exodus geleiten. Zum Ende steht der Sohn am Totenbett des Vaters und ihm fällt auf, dass er dessen Gesicht nie unentspannt gesehen hat. Schmerzhaft muss er den alten Südstaatentugenden abschwören. Wie gesagt: keine Wucht, aber das Erhabene im Detail.

Die Perspektive des Kindes beziehungsweise des Heranwachsenden ist eingeschränkt und das Geschehen hat eine verstohlene Qualität; der Protagonist ist gleichzeitig von seiner Welt umschlossen und gleichzeitig kein Teil von ihr. Er formuliert seine Zweifel selten und so wird der Leser mit den Schilderungen allein gelassen – auf die Spitze getrieben hat Faulkner diese Perspektive mit dem zurückgebliebenen Benji, der den ersten Teil von The Sound and the Fury bestimmt.

Jawohl, das Ding wurde auf Deutsch gelesen. Es stammt von einem Flohmarkt auf Sylt und sieht fein braungelb und vergessen aus. Was für ein Geruch.

Faulkner hat auch eine Kurzgeschichte geschrieben, in der ein Graben vorkommt. Bei Gelegenheit wird deren Titel hier vermerkt. Es ist eine ziemlich finstere kleine Geschichte. Man weiss nie so recht, was in Faulkners Kosmos noch so lauert.

Altered Carbon, Richard Morgan

Solcherart Literatur muss einen gleichzeitig in den Arm nehmen und ein bisschen zu fest zudrücken. Morgan schafft beides. Zunächst trifft man auf altbekannte Motive und Kaufgründe für den Fan an sich. Bei Altered Carbon wäre das Philip K. Dicks Blade-Runner- Ästhetik und die Aufbereitung von William Gibsons Erbe. Autos, die fliegen, Mistwetter und die verzeckten Massen in finsteren Betonschluchten. Saubere Virtualität und zeternde AIs. Naniten im Neonblut quasi. Dicks L. A. ist hier konsequenterweise nur eine ’Bay City’.

Aber Morgan kann diese Landschaft noch erweitern und wahrlich einen eigen nuancierten Lektüregeschmack erreichen: statt Zeitreisen gibt es Körperreisen. Die Betonung liegt nicht auf Replikanten obwohl die Maskerade durchaus eine Rolle spielt. Die Menschen speichern ihren Geist in Maschinen und werden dann in ’sleeves’ geladen, Körper von der Stange oder von der Straße. Und so kann man knackige Noir-Elemente wunderbar vom Leder reißen: ’Methusalems’ leben schon ewig und haben Geld für genug Backup-Kopien ihrer selbst. Das sind perfekte General Sternwoods. Die Wertigkeit von Blut, Schweiß und Tränen verschiebt sich und der Protagonist Kovacs kann nun in verschiedenen sleeves auf’s Maul bekommen. Allerdings bekommt auch der gelegentliche Beischlaf eine beunruhigende Komponente. Kurz vor dem Showdown wird die Wahrheit formuliert: das Fleisch wächst von allein doch um die Maschinen muss man sich kümmern. Selbstkontrolle ist sinnlos in einer Welt der gelebten Selbst-Losigkeit.

Die Existenz in Altered Carbon ein stetiges Ringen mit dem Content Management System der Körperkonsumkultur.

Morgan drückt aber auch zu: stets hat man das Gefühl, dass da noch viel mehr ist in dem Universum, das er sich ausdachte. Kovacs ist nur ein Partikel in einer größeren, eigenständigen Dynamik. Da werden dutzende von interessanten Dingen und Geschichten nur angerissen. Und außerdem gibt es Schießereien, Prügel-Sessions und Splatter-Sequenzen. Eine Punktlandung im postcyberpunkigen (doch, das Wort gibt es wirklich) dritten Jahrtausend.

11/28/2007

Machtlos, Gavin Hood

Gavin Hood kommt aus Südafrika und hat einen gescheiten Film gemacht, der trotzdem ein wenig beunruhigt. Das Publikum verlangt offenbar nach filmischen Verarbeitungen von Patriot Act und Abu Ghuraib und seltsam ist nun, dass so offene Kritik an der US Politik einfach verhallt. Ein bisschen Naivität muss sein. Man könnte meinen, dass auch hier eine Verdauung stattfindet. Die verstörenden Bilder von CNN und sonstwo haben ein neues Refugium des Konsumentenkosmos erreicht: den Blockbuster-Kinosessel. Zuckrig-schöne Darsteller machen die Wahrheitsfetzen ein wenig erträglicher, so dass man sich ihrer leichter entledigen kann.

Die finstere Ästhetik der modernen Kriegsführung wird sichtbar. Die diversen und singulären Körper selbst sind das Schlachtfeld. Die Suizidbomber möchten das Fleisch vieler nachhaltig versehren und die Folterknechte nutzen die Schmerzkapazitäten des Einzelnen. Die einen spielen mit Massenpanik, die anderen mit dem brechenden Ego-Widerstand.

Schön auch Idee und Ausführung der geschachtelten Handlungsstränge. Einfach, aber ein stimmiger Schlusspunkt für grimmige Bilder.

11/26/2007

Stalingrad, Joseph Vilsmaier

Und hopp-zwei-drei steckt man im Zynikergefängnis: die Szenen mit den weissgewandeten Soldaten erinnern an nichts geringeres als Star Wars. Sturmtruppen mit Schusswaffen, anonym und vor schweren Maschinen drappiert, sind Teil der bedrohlichen Außenwelt. Der Imperator ist natürlich dunkel gekleidet und bar jeder Menschlichkeit.

Und dann hebt auch noch der letzte Y-Wing vom Eisplaneten ab.

Jetzt kann man sagen, dass der hiesige Konsument ein Opfer von korrumpierten Kausalverknüpfungen ist. Erst war da der zweite Weltkrieg, dann wuchs eine Generation mit dessen Bildern aber ohne Feuergefechte und Vertreibung auf und dann brauchte eine Unterhaltungsindustrie Blaupausen für episches Kasperletheater. Der Konsument hier wiederum kam noch später und wurde erst mit den verwursteten Bildern gefüttert bevor ihm die Urmotive dargereicht wurden. Da ist Herr Vilsmaier freilich nicht dran schuld.

Wo bleibt die Unterhaltung? Das ist bei solchen Stoffen immer ein Ausloten der Tiefe: entweder man denkt, da ist ein authentischer Abgrund, etwas wichtiges und dunkles oder aber man denkt an AT-AT-Walker und Ewoks. "We are sliding down on the surface of things" sagte B. E. Ellis und mit dem Bezug zu Kälte, Finsternis und Einsamkeit im Konsum- wie auch im Schützengraben hat er immer noch recht. Geschichte ist seltsam und Filme darüber auch. "Just the facts, ma'am"? Nee.

11/25/2007

Possession, Neil Labute

Zwei Literaturwissenschaftler rekonstruieren die Art des Kontakts zweier toter englischer Poeten und nehmen darüber selbst Kontakt zueinander auf. Zwei Beziehungskisten entwickeln sich parallel und man kann dann als Zuschauer beim Vergleichen oft "Hach!" sagen. Die Bilder des 19. bzw. 20. Jahrhunderts gleiten wiederum zueinander wie akademisch Liebende das wohl täten.

Das Preisen der Literatur ist in Filmen generell recht knifflig. Wer lesen will, der soll es halt tun und keine Filme drüber schauen. Beachtenswert hierbei ist das hohe Maß an Bibliopornographie: altes Papier, bleiche Tinte, erhebene Handschriften und wuchtige Bände. Das macht freilich Sinn bei dem Thema. Jaja, schauen und lesen sind zweierlei.

Ansonsten ein mittelmässig spannender Film mit netten Bildern und zum Glück nicht zu lang.