10/06/2008

Wall-E, Andrew Stanton

Wirklich neu sind digital erarbeitete Animationsfilme ja nicht mehr. Warum wird dann nicht endlich einmal ein wirklich schlechter Film produziert? Wall-E ist großartig und hebt den Genre-Standard weiter an. Die erwartete optisch-akustische Drolligkeit wurde noch übertroffen. Die zu erzählende Geschichte ist mehrdimensionaler als gedacht und das Auftreten redender fetter Menschen wirft den hübschen Film noch einmal gut herum.

Zu den beiden Protagonisten: Panzerketten müssen nicht bedrohlich sein, doch sie sind das Zeichen einer älteren Generation von Maschinenwesen wie Wall-E. Die neue Sonde Eve schwebt - und sie strahlt hell wie ein iPod bzw. clone trooper. Das besondere sind die Augen, die ausdrucksstärksten Elemente des individuellen Antlitzes: Wall-E surrt obenrum und kleine Servos lassen ihn menscheln. Eve ist anders. Sie hat ein gestaltbares Pixeldisplay als Gesicht. Sie ist theoretisch nicht auf zwei Augen festgelegt und bleibt mimisch flexibel. Zum Glück sind die anderen Roboter auf dem Kolonieschiff weniger ätherisch.

Maschinen sind Menschen überlegen, denn sie können nicht fett werden. Fett ist in diesem Film auch drollig, aber auch müde, dumpf, behäbig und schwach. Auf die Humanoiden wartet also kein Maschinenkrieg sondern eine Schlacht gegen die ungebildeten, schlaffen, entschleunigenden (siehe Gravitation) Fetten und ihre verfleischlichten Leiber.

9/26/2008

Snow Crash, Neal Stephenson

Da sprühen die Funken. In einer einmal lässigen Geste kreuzt Stephenson pynchonesque massive Leichtigkeit mit Gibsons Cyberpunk-Maximen (halbwahre Kaufargumente auf der Rückseite). Es bietet sich ein erhabenes, detailliertes, auf Umwegen glaubwürdiges Bild der (um 1990) nahen Zukunft. Der Held heißt Hiro Protagonist (!) und ist sowohl ein Hacker, der im Metaverse (ein im Genre bekanntes dreidimensionales WWW) umhergaunert als auch mit Samuraischwertern umgehen kann. Das ist an Coolness kaum zu überbieten. Er trifft auf YT, die als Kurierfahrerin die Heiligkeit des Skateboards auf dem Highway demonstriert.

Stephenson wirft mit den fantastischen Ideen nur so um sich und ist kaum zu stoppen. Auf jeder Seite bieten sich abstruse und trotzdem merkwürdig glaubwürdige Panoramen. Die Geschichte ist wahrlich episch: es geht um die ersten Hacker und ihre Tontafeln in Sumer. Ja, Sumer. Snow Crash ist eine Ausarbeitung von kommunikationswissenschaftlichen Theorien und postuliert die grandiose Virulenz von Information durch Sprachen, Migration, Köpfe und Ideen: Wissen ist wie Herpes. Dabei ist der Roman keineswegs schwierige Lektüre. Unheimlich! Man muss es lesen, um es zu glauben.

Außer Wakizashis, gatling guns für die Aktentasche, Fernsehen, Wasserstoffbomben, KI-Bibliothekaren, Babylon, unscheinbaren US-Präsidenten und der Mafia als Franchise-Unternehmen spielt auch das sogenannte Floß eine Rolle: es ist eine schwimmende Stadt aus Pontons, Gerümpel, und dem Flugzeugträger Enterprise. Waterworld lässt grüßen. Da Snow Crash über 15 Jahre alt ist, hat Herr Costner diese Idee anscheinend gestohlen.

Deshalb macht man hier im Graben gern Platz für Géricault.

Tropic Thunder, Ben Stiller

Herr Stiller ist ein Problem, denn er ist so furchtbar harmlos. Dies ist auch das Problem von seinem Film - mit Krieg kann man eigentlich derber rumspaßen. Schade. Die Erwähnung von Drogen oder Flatulenz oder Landminen ist nicht wirklich revolutionär. Herr Stiller tut einfach alles für die gute Laune - die versprüht Tom Cruise im fat suit aber auf jeden Fall. Mit dramaturgisch angezogener Handbremse wird der Konsum einer Bulette im Brötchen nach dem Film gewährleistet, siehe Indy 4.

Mit Bill Murray wäre das nicht passiert. Was macht eigentlich der gereifte und scheinbar un-unterschätzbare Jim Carrey derzeit?

9/24/2008

12 Monkeys, Terry Gilliam

Es beginnt im Schnee. Sacht und fein ist die Welt. Ein reines Weiß durchzieht sie - und der Protagonist Bruce Willis muss sich durch einen mehrlagigen Schutzanzug davor schützen, denn diese Welt ist so ganz anders als die zugerümpelte unterirdische Bunkerwelt der Zukunft.

Vielleicht kann Zeit genauso unaufgeräumt sein wie Raum. Vielleicht kann eine Schlamperei im Vorher eine große Unordnung im Nachher bewirken. Vielleicht können die Knotenpunkte von den Kategorien Zeit und Raum ebenso durcheinander geraten - als Beispiel dürfte der wunderbar wahnsinnige Brad Pitt herhalten.

Es beginnt im Schnee und es endet am Flughafen - gebohnerte Böden, helles Licht, saubere Menschen. 12 Monkeys ist eine Ode ans "Draußen" und die Definition desselbigen. Endet es wirklich am Flughafen? Nein, es beginnt von vorn. Gilliam bietet durch diese Rümpelei eine größere Ordnung. Ein herrlicher Film.

Das Appartement, Billy Wilder

Wilder und das moderne Leben, schon wieder. Der Aufbau der Bühne erinnert an moderne Sitcom-Mechanismen. Und Jack Lemmon ist teilweise tatsächlich eine Art Chandler, der hier sein Appartement immer wieder kleinlaut für die Seitensprünge seiner Chefs zur Verfügung stellt.

Allerdings ist Das Appartement von einer gewissen traurigen Ernüchnerung durchzogen, die vor allem an Shirley MacLaines Rolle festzumachen ist. Als kleine Fahrstuhl-Mieze hat sie sich scheinbar mit ihrem Dasein als zweitklassige Geliebte abgefunden. Sie ist teil der Einrichtung, ein Möbel, das von den hohen Herren genauso ausgenutzt wird wie Lemmon. Ihr Selbstmordversuch ist nicht wirklich lustig. New York City ist ein kalter Ort voller steriler Bürokatakomben und Treppenhäusern.

Nein, Billy Wilder scheint kein reiner Komödienmensch zu sein, auch wenn er das bestreiten mag.

9/20/2008

The Departed, Martin Scorcese

The Departed ist ein langer Film, der viel Geld gekostet und eingebracht hat. Er wurde als Blockbuster konzipiert und erfüllte seine Rolle. Die Geschichte über zwei Spione, die jeweils bei der Polizei und bei der örtlichen Mafia eingeschleust werden und ihre wahren Identitäten verhüllen müssen ist spannend und nüchtern.

Aber es ist überhaupt nicht originell! Es ist alles von der 102ten Episode von South Park abgekupfert! In Lil Crime Stoppers werden die vier Jungs zu junior detectives und werden gezwungen, meth labs und Mafiosi hochgehen zu lassen. Und am Ende bekommt fast jeder, wie auch beim vorliegenden Scorcese-Werk, einen erfrischenden Kopfschuss. Außerdem arbeitet der tapfere Butters zwei Tage daran, eine Spermaprobe abzuliefern und es gibt eine Duschszene. Jagut, The Departed beinhaltet weniger Sperma aber dafür einen gutgelaunten Jack Nicholson (heil seiner Plautze), doch das täuscht über den dreisten Raub nicht hinweg. Wann wird die Welt begreifen, dass man sich nicht einfach am Mythenschatz von South Park bedienen darf?

Für jemanden, der hinterm Mond lebt, ist The Departed natürlich nicht nur unterhaltsam sondern auch originell.

Dermaphoria, Craig Clevenger

Vieles im Konsumgraben verdient nicht mehr als einen Halbsatz als Kommentar und oft wird aus reinem Mitleid ein Text von mehreren Absätzen daraus. In diesem Fall hier kann aber gar nicht genug geschrieben werden, um die Erfreulichkeit der Lektüre von Dermaphoria zum Ausdruck zu bringen.

Endlich kommt hier einmal ein Autor, der die Themen Erinnerung, Wahrnehmung und (bio-) chemische (Re-/De-) Konstruktion der Wahrheit ernst nimmt und mit einer wuchtigen, eindringlichen und allegorischen Geschichte thematisiert. Kaufargumente auf der Rückseite des Produktes sind unter anderem Memento und McCarthy und, verdammt, das passt.

Clevenger befreit den Begriff der Paranoia aus dem Gefängnis der Lächerlichkeit und weist ihn als Basiswerkzeug des modernen Überlebens aus. Die Käfer im Zimmer werden farbig markiert und an der Wand zeigen sie dann die wahrhaftigsten Molekülketten. Und letztlich sind taktile Reize die letzte Grenze, die den Einen von der Außenwelt trennen. Amen. Dazu hört man dann eiskalte Interpol oder schwitzige QOTSA. Oder nur das rasselnde Atmen der Spione hinter der Tapete.

Vielleicht hat Clevenger bei irgendwem abgeschrieben, doch dieses Original ist hier unbekannt. Somit bleibt zu vermerken, dass diese läppischen 200 Seiten das inspirierendste Textvergnügen seit langem waren. Ähnlich wunderbar war kein geringeres Produkt als Clevengers Debüt, The Contortionist's Handbook. Recht so.

Hier zu erwerben.

Survivor, Chuck Palahniuk

In einem gesunden Körper steckt auch ein gesunder Geist, oder? Aber nein! Hier doch nicht. Die Frömmigkeit ist in dieser Massenreligions-Groteske ein Hilferuf und letzten Endes geht es auch nur ein wenig offensichtlicher um die Apokalypse als im sonstigen irdischen Leben.

Der zarte Tender, Putzfee und Haussklave, erzählt seine Geschichte der black box eines bald abstürzenden Flugzeugs. Wie so oft beginnt Palahniuk beim Ende und der Leser darf genüsslich erfahren, wie alles so furchtbar (komisch) werden konnte. Die Monstrosität des modernen Lebens zwischen materieller und ideeller Hygiene wirft den zarten Messias-Azubi hin und her.

Fragen kommen auf: Inwiefern sind Pornographie und Religion gleichermaßen ein heilsamer Ritus für verstörte/gesunde Seelen? Wie langweilig ist die Welt, wenn man hellsehen kann? Wie kompliziert ist die Welt, wenn Fertility (Tenders love interest und hellsehender sidekick), also die Fruchtbarkeit, die einzige Hoffnung ist, die von der Gegenwart in die Zukunft führt? Wie fühlt sich ein Dodo, wenn er Gefühle zulässt? Und freilich kommt man um Palahniuks Lieblingsfrage nicht herum: wie böse ist Sex wirklich?

Dies alles und noch viel mehr findet der nicht notwendigerweise atheistische Leser in dem wohl pädagogischsten aller Palahniuk-Romane. Wieder ein Fest.

Casino Royale, Martin Campbell

Der hypermaskuline Action-Avatar hat es eigentlich schwer. James Bond gehört ins U-Museum und ist unverzichtbarer Bestandteil ziviler Standardzerstreuung. Aber wie rettet man so ein Vehikel und kann es weniger offensichtlich belanglos machen und somit trotzdem Geld damit verdienen? Mit Körperlichkeit! Es wird mehr geschwitzt, gekloppt und gekaspert als je zuvor. Bond muss einstecken wie nur was und der schöne Schein seines gleißenden Automobils hält auch nicht lange. Anzüge werden ruiniert und Wut bewegt. Gebläuten Augen muss geglaubt werden.

Eine kurzweilige Mischung aus Masochismus und Konsumanleitung.

9/17/2008

Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra, Matteo Garrone

Eine fiktionalisierte Dokumentation über ein Segment des organisierten Verbrechens in Italien. Der Film ist vergleichsweise schwer zu verdauen, da er anhand mehrerer Handlungsstränge eine Wirtschaft beschreibt, die von Gewalt und Gier getrieben wird. Diverse Perspektiven zeichnen ein Bild des Grauens. Die unterschiedlichsten Charaktere versuchen auf ihre Art, sich in der barbarisch bis mittelalterlich gestalteten Welt voller Plattenbauruinen zu orientieren. Der Film erzählt nicht, sondern zeigt. Es gibt keinen wirklichen Showdown oder sonstige erzählerischen Strukturelemente. Das Elend war da, wird beleuchtet und existiert immer noch. Dies mag die einzig sinnvolle Methode sein, mit dem Thema umzugehen.

Der Film ist dabei über gängige Scherze über den derzeitigen Cäsaren in Rom erhaben. Was bleibt, ist ein ungutes Gefühl hinsichtlich der Idee Europa.

9/16/2008

Babylon A.D., Mathieu Kassovitz

Schade.

Wenn Diesel nicht gerade grausige "Komödien" dreht, kann er eigentlich überzeugen, solang genug Dinge um ihn herum explodieren. Und Kassovitz war im letzten Jahrtausend immerhin in der Lage, La Haine zu machen.

Genutzt hat dies Babylon A.D. nicht. Die Bilder mögen für sich genommen stimmen aber dramaturgisch macht das alles eher Krach als Sinn. Die Nemesis wird zu spät eingeführt, die Charaktere sind seltsam unentschlossen und das Ende ist unbefriedigend langatmig. Nee, brennende Autos und Tätowierungen allein machen noch kein gutes Actionkino. He, Moment, diese Erkenntnis passt auch auf Wanted. Wie unheimlich.

9/15/2008

RIP, Mr. Wallace

Link.

Star Wars: The Clone Wars, Dave Filoni

Doch, musste sein. Franchise ist franchise und man könnte ja was verpassen. Die Rahmenhandlung bleibt unberührt und bekannte Charaktere dürfen mal wieder so posieren, wie man es gewohnt ist.

Auffallend ist die Rolle der Klone. Sie sind ja genetisch gleich, doch nehmen sie innerhalb der Armee unterschiedliche Rollen ein. Sie haben auch unterschiedliche Frisuren. Manche Klone befehligen andere. Sie sind den genetisch unterschiedlichen Jedi immer gehorsam. Sie sind individuell aber eben doch austauschbar. Alles was zählt ist die Mission. Sie sind gezüchtete Statisten. Sie sind humanoide Werkzeuge und zweifeln nicht daran.

Vielleicht ist es nur das Echo vom jüngst geschauten Apocalypse Now Redux, aber die fliegenden Truppentransporter erinnern ein wenig zu stark an die Hubschrauber in Vietnam. Die Klone sind ein Echo der GIs, hochmotiviert und in ramponiertem iPod-Weiß gekleidet. Somit kann auch einem so knallbunten Unterhaltungsprodukt wie Star Wars ein dunkler Beigeschmack unterstellt werden. George Lucas, wann erklären Sie Sich der Welt?

9/14/2008

The Good, the Bad and the Ugly, Sergio Leone

Warum muss das Ding auf deutsch "Zwei glorreiche Halunken" heißen? Erstens gibt es drei Halunken. Der Gute, der Böse und der Hässliche bieten jeweils eine Facette der Halunkigkeit. Und zweitens ist keiner der Beteiligten glorreich. Der Film selbst hingegen ist das schon.

Mit einer ziemlich langen Laufzeit und ausufernd kargen Landschaften verlangt das Werk recht viel Kondition vom interessierten Zuschauer. Aber der Konsument wird belohnt. Die Filmmusik beispielsweise ist beispiellos. Hier wird der bekannteste Western-Jingle überhaupt uraufgeführt und klingt nicht albern. Die drei rivalisierenden Herren sind harte Knochen und somit Produkt der hoffnungslosen und staubigen Leere in der Ruinenlandschaft eines entvölkerten Wilden Westens. Viel Platz für dicke Egos.

TGTBATU hat enorme popkulturelle Strahlkraft. Das Finale auf dem Friedhof erinnert zwangsläufig an Metallica: die Reihen der Kreuze erinnern an Master of Puppets und der Score dazu ist freilich die bekannte Einmarschmelodie der kalifornischen Musikanten. Der Film ist ein schnoddriges Epos das nicht durch die Tarantino-Ironiemaschine gewuchtet wurde sondern selbige mit verursacht hat.